Im Abseits können bekanntlich nicht nur Fußballspieler stehen. Auch beim Fußballgucken gibt es Menschen, die unfreiwillig außen vor bleiben. Und da Fußball ein wichtiges gesellschaftliches Ereignis ist – was zurzeit wohl jedem in diesem Land spontan einleuchten dürfte –, ist es auch eine wichtige gesellschaftliche Tatsache, wer nicht mitfeiern darf. Zum Beispiel die iranischen Frauen in den Fußballstadien ihres Landes. Ihnen braucht ganz bestimmt kein Mann zu erklären, was „Abseits“ bedeutet. Und es ist auch absolut zu befürworten, dass ihnen mit der augenzwinkernd-politischen Komödie „Offside“ nun ein filmisches Denkmal gesetzt wird.
„Offside“ heißt der fünfte Film des iranischen Regisseurs Jafar Panahi. Jeder seiner Filme wurde bislang mit einem bedeutenden internationalen Preis ausgezeichnet: „The White Balloon“, sein Filmdebüt aus dem Jahre 1995, bekam in Cannes die Camera d’Or zugesprochen, „Der Spiegel“ 1997 den Goldenen Leoparden in Locarno, „Der Kreis“ 2000 den Goldenen Löwen in Venedig, „Crimson Gold“ 2003 den Großen Preis der Jury in Cannes und „Offside“ schließlich den Silbernen Bären dieses Jahr in Berlin. Aber keiner seiner Filme durfte je in einem iranischen Kino gezeigt werden. Panahi hofft weiter, dass „Offside“ vielleicht der erste sein möge. Mit großer emotionaler Kraft zeigt Panahi die Fußballbegeisterung in seinem Land. Daran dürfte die Zensur mit Sicherheit nichts auszusetzen haben, aber an allem anderen, so steht zu befürchten, sehr wohl. Insbesondere zeigt er nämlich die Begeisterung derjenigen Hälfte der Bevölkerung, die auf Weisung der religiösen Sittenwächter nicht in aller Öffentlichkeit in Ekstase zu geraten hat, wenn sich überdurchschnittlich athletische junge Männer auf einem Fußballplatz bewegen. Er bezieht eindeutig Stellung gegen die Unterdrückung der Frauen im Iran. Er führt die widersinnigen Reglementierungen des Regimes gekonnt vor. Das mag nicht sonderlich schwierig sein, sondern "nur" mutig und wichtig.
Er stellt ihnen am Ende ein „Wunder von Teheran“ entgegen: Männer und Frauen tanzen euphorisch zusammen auf den Straßen und die Ordnungshüter und Sittenwächter können nur noch zusehen oder mitmachen. Fußball, politisches Wunschdenken und politische Propaganda scheinen untrennbar zusammenzugehören. Panahi gibt der gleichen Sache aber einen entschieden anderen Drall als der iranische Präsident, der sich (bis zum erwartbar ruhmfreien Ausscheiden Irans aus dem Weltmeisterschaftsturnier) ja auch als ein ganz, ganz großer Fußballfan präsentierte. Obwohl der Film eine leichte Komödie ist, die ihre Kritik, besonders wenn man den Maßstab anderer Filme Panahis anlegt, in fast versöhnlichem Tonfall vorträgt, wird "Offside" wahrscheinlich nie im Iran zu sehen sein.
Der Aufbau des Films ist schlicht, aber eindrucksvoll. Wir erleben das entscheidende Qualifikationsspiel für die Weltmeisterschaft in Deutschland mit. Für ein Land wie den Iran, der bei einem Sieg erst zum dritten Mal an einer Weltmeisterschaft teilnehmen würde, hat allein eine solche Qualifikation einen höheren Stellenwert als für Brasilien der Gewinn des Titels. Wir erleben das Spiel in Echtzeit, allerdings sehen wir nur einen einzigen, ganz kurzen Ausschnitt, der Rest spielt sich auf der Tonspur ab. Denn zusammen mit den Protagonisten des Films nimmt der Zuschauer die Perspektive im Abseits hinter der Stadionwand ein. Dort ist eine Gruppe junger Frauen eingepfercht, die allesamt versucht hatten, als Männer verkleidet ins Stadion zu gelangen. Einige Wehrpflichtige haben die undankbare Aufgabe, sie dort bewachen zu müssen, bis die Frauen irgendwann kurz vor dem Ende des Spiels zur Sittenpolizei gekarrt werden sollen. Die Bewacher sind ihren Gefangenen allerdings keineswegs gewachsen, zumal sie selbst nicht wirklich hinter der Politik stehen, die sie dort im Zwangsdienst fürs Vaterland vertreten müssen.
Nicht jede Pointe in diesem Film gehört der neusten und überraschendsten Sorte an. Die schon fast verzweifelte Situationskomik wird, zumindest für den Zuschauer, der die Situation im Iran nicht erleben musste, hin und wieder etwas überreizt. Von kleineren schwächeren Abschnitten (der ärmlich langatmige Witz mit dem Rollstuhlfahrer auf der Toilette zum Beispiel) abgesehen, hat der Film aber ein hohes komödiantisches Niveau. Vor allem die Besetzung aller Rollen mit Laiendarstellern - nicht immer eine gute Idee - ist hier sehr überzeugend. Panahi hat nicht bloß ein, zwei typische Klischees gecastet, sondern ganz unterschiedliche Individuen, denen der Film seine besondere Wärme und Lebhaftigkeit verdankt. Allein die Besetzung der Frauenrollen wird so - eine Szene führt es eindrücklich vor Augen – zu einer Demonstration gegen ihre erzwungene Entindividualisierung. Dass einer der Soldaten wirklich nur einen Gesichtsausdruck drauf hat, ist anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, passt aber letztlich ganz gut zur Figur. Und die Darstellung seines mehr als nur gut verkleideten androgynen Gegenübers ("Bist du ein Mann oder eine Frau?" - "Was wäre dir denn lieber?") ist über jeden Zweifel erhaben.
Möglich, dass "Offside" es wegen der Weltmeisterschaft paradoxerweise sogar schwerer haben wird, erfolgreich in den deutschen Kinos zu laufen. Während der Spiele ist vor lauter Fußballansehen keine Zeit mehr fürs Kino und danach besteht kein Bedarf mehr nach ausgerechnet noch einem Fußballfilm. Aber das wäre wirklich mehr als schade, hat sich dieser ausgesprochen sympathische Film ein größeres Publikum doch absolut verdient.