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    Couscous mit Fisch
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Couscous mit Fisch
    Von Andreas Staben

    Als in Tunis geborener Sprössling einer nordafrikanischen Einwandererfamilie gilt der Regisseur Abdellatif Kechiche vielen als wichtigste filmische Stimme einer in der französischen Kultur unterrepräsentierten Bevölkerungsschicht. Ähnlich wie bei seinem deutsch-türkischen Kollegen Fatih Akin (Gegen die Wand, Auf der anderen Seite) scheint Kechiches Herkunft in besonderer Weise die Wahrhaftigkeit seiner Erzählungen zu beglaubigen. Schon seine ersten beiden Filme „Voltaire ist schuld“ und „L'esquive“ wurden entsprechend gerne als Werke der Aufklärung und Vermittlung aufgefasst. Auch die Diskussion des autobiographisch gefärbten Familiendramas „Couscous mit Fisch“ in der französischen Öffentlichkeit hat eine deutliche gesellschaftspolitische Dimension, welche durch den überraschend großen Erfolg bei Publikum und Kritik noch verstärkt wird. Kechiche konnte wie bereits für „L'esquive“ die Césars für den besten Film, die beste Regie und das beste Drehbuch entgegennehmen, ein in der Geschichte des wichtigsten französischen Filmpreises nahezu beispielloser Erfolg. Dabei ist der vielschichtige Reigen keineswegs märchenhaft-versöhnlich ausgefallen, vielmehr unterläuft Kechiche gezielt erzählerische und dramaturgische Konventionen. „Couscous mit Fisch“ ist eine Folge meist nur sehr lose verbundener, ungewöhnlich langer und intensiver Einzelszenen, die für sich genommen mehr als einmal zu kleinen Meisterstücken verdichtet sind, ehe die Erzählung am Ende in einer ausgedehnten Parallelmontage kulminiert.

    Slimane Beiji (Habib Boufarès) wird nach mehr als 30-jähriger Tätigkeit auf einer Werft im Hafen des südfranzösischen Sète zunächst auf Kurzarbeit gesetzt und dann ganz entlassen. Anstatt sich in seiner nordafrikanischen Geburtsstadt zur Ruhe zu setzen, wie es ihm von seinem Sohn Kader (Abdelkader Djellouli) geraten wird, möchte Slimane mit seiner Abfindung ein Schiff renovieren und es in ein Bootsrestaurant mit maghrebinischen Spezialitäten verwandeln. In dieses Projekt wird über viele Konflikte hinweg bald Slimanes gesamte Familie eingespannt, von seiner Ex-Frau – einer meisterlichen Couscous-Köchin – bis zu Rym (Hafsia Herzi), der Tochter seiner neuen Lebensgefährtin, die ihm beim schwierigen Hindernislauf durch die bürokratischen Instanzen hilft. Ein großes Festessen soll als Sprungbrett und Generalprobe dienen. Als es schließlich soweit ist, wird der Abend von unerwarteten Spannungen geprägt.

    Slimanes Plan, in seiner zweiten Heimat ein Restaurant mit Spezialitäten seiner ersten Heimat zu eröffnen - noch dazu auf einem Schiff, das am Kai der Republik liegen soll -, ist natürlich hochsymbolisch aufgeladen. Kechiche lässt diesen Traum von Integration in prägnanten Szenen in weite Ferne rücken, denn die Behördenvertreter begegnen Slimanes Anliegen mit einer Mischung aus Herablassung und latentem Rassismus. Der Regisseur setzt diesen satirisch angehauchten Porträts der Vertreter der Nomenklatur aber eine Beschwörung familiären und freundschaftlichen Zusammenhalts entgegen, die für Augenblicke alle Idealvorstellungen möglich scheinen lässt. Fernab von polemischen Schlagwörtern dringt der Filmemacher vielfach zum emotionalen Kern der Situationen vor. Vor allem beim großen sonntäglichen Couscous-Essen der Familie verliert der Film alles Demonstrative und wirkt dadurch umso lebendiger. Hier herrscht keine falsche Harmonie, Konflikte sind in ihrer selbstverständlich und unmittelbar eingefangenen Vielstimmigkeit sowohl offen als auch unterschwellig präsent. Gerade deshalb ist das Einverständnis der Familienmitglieder so ergreifend.

    Kechiches freier, sehr origineller Einsatz von zeitlicher Dehnung und Auslassungen sowie die sorgfältige Arbeit mit dem überwiegend aus Laien bestehenden Darstellerensemble erhalten das Interesse und die Spannung über die immerhin zweieinhalb Stunden des Films hinweg. Mit Slimanes Restaurant-Projekt kristallisiert sich erst mit zunehmender Laufzeit so etwas wie ein roter Handlungsfaden heraus, zunächst scheint die Erzählung immer wieder neu anzusetzen und neue Zentren und Stimmungen zu finden. Schon die Eröffnungsszene ist in dieser Hinsicht rätselhaft, zeitigt später aber ungeahnte Folgen. Zunächst wechselt Kechiche jedoch das Register und schlägt sozialrealistische Töne an. Das Gespräch zwischen Slimane und seinem Vorgesetzten ist ein bitterer Befund der Wirkungsmacht ökonomischer Zwänge und der menschlichen Hilflosigkeit dieser unbarmherzigen Logik gegenüber. Slimane erfüllt das Soll nicht mehr, die bei einem solchen Gespräch üblichen Floskeln werden durch das Mienenspiel als solche entlarvt. Kechiche verharrt mit der Handkamera auf den Gesichtern der beiden alten Männer. Beim einen zeigt sich Unverständnis und Fassungslosigkeit, dem anderen stehen Erschöpfung und eine Spur von Selbstekel im Gesicht. Die Sequenz besticht durch ihre Genauigkeit, es wird um jedes Wort gerungen und zwischen den Sätzen herrscht unbehagliche Stille. Später greift Slimanes Überforderung auf das Privatleben über. Als Slimane das begonnene Liebesspiel abbrechen muss, bekommt auch seine Lebensgefährtin von ihm den Satz „Ich verstehe das nicht“ zu hören.

    Die Figur des Slimane ist Kechiches inzwischen verstorbenem Vater nachempfunden und wird von einem alten Freund der Familie gespielt. Der Schauspielneuling Habib Boufarès strahlt Würde aus und verleiht Slimane eine trotzige Beharrlichkeit, die im Widerstreit mit leise nagendem Zweifel steht. Die treibende Kraft sind in Kechiches Filmen aber stets die Frauen. Beeindruckend ist die Energieleistung der Newcomerin Hafsia Herzi als Rym, die mit Herzblut um die Zusammenführung der Patchwork-Familie kämpft. Ihr tränenreicher Versuch ihre Mutter zu überreden, an Slimanes großem Abend teilzunehmen, gehört zu den emotionalen Höhepunkten des Films, und für ihren bis zur Erschöpfung gehenden körperlichen Einsatz am Schluss gibt es wenig Vergleichbares. Im konsequenten Einsatz der Dauer liegt einer der Schlüssel für die Intensität des Films. Die Szenen werden oft gleichsam bis zur Auflösung oder Zerfaserung ausgedehnt, darin ist Kechiches Werk Vorbildern von John Cassavetes („Eine Frau unter Einfluss“) und Maurice Pialat („Der Loulou“) nicht unähnlich.

    Am Ende erweist sich Kechiches Gesamtentwurf als ein wenig überambitioniert. Gerade die inhärente Unausweichlichkeit mit der Anleihe beim neorealistischen Klassiker Fahrraddiebe widerspricht der Offenheit, die der Film vorher trotz aller Widerstände ausstrahlt. Dieser Eindruck einer gewissen Uneindeutigkeit verleiht dem Erlebnis tiefer Menschlichkeit einen kleinen Widerhaken, was „Couscous mit Fisch“ aber vielleicht nur noch faszinierender macht.

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