Wenn nicht sein kann, was nicht sein darf, dann ist die Lösung des Problems meist damit verbunden, ohne Aussicht auf Vergebung Schuld auf sich zu laden. In seinen Romanen entwirft Harlan Coben komplexe Geflechte von unausgesprochenen Abhängigkeiten, Schuldgefühlen und Sündenfällen, über denen ein bleiernes Netz aus Schweigen lastet. Für den Kinderpsychologen Alexandre (François Cluzet) knüpft sich dieses Netz in Guillaume Canets Thriller „Kein Sterbenswort“ durch mysteriöse Videobotschaften seiner geliebten Frau Margot (Marie-Josée Croze), die vor exakt acht Jahren das Opfer eines brutalen Serienkillers wurde. Bevor er sich jedoch den seltsamen Videos widmen kann, muss sich Alexandre erst einmal selbst aus der Klemme befreien: Ein Leichenfund am damaligen Tatort wirft Fragen auf, die bereits vor acht Jahren einige Zweifel am Tathergang hinterließen und nun den Verdacht auf Alexandre lenken. Immer mehr Indizien deuten auf das Unfassbare hin und machen den Witwer zum Jäger und Gejagter zugleich.
Bereits an jenem lauen Sommerabend, den Margot nicht überleben sollte, waren Unstimmigkeiten zwischen Alexandre und seiner Schwester (Marina Hands) spürbar. Diese wurden jedoch nicht ausgesprochen und auch das Ehepaar trennte sich mitten in einem angebrochenen Gespräch. Auch acht Jahre später kämpft Alexandre noch immer mit Schuldgefühlen und neigt dazu, sich in sich selbst zurückzuziehen. Mit Margots Eltern pflegt er das fast makabre Ritual, den Todestag seiner Frau zu feiern. Als er glaubt, Margot auf einer Videobotschaft zu erkennen, zieht er sich schnell die Missgunst seiner Umwelt zu. Nicht nur, dass ihm keiner glaubt, er wird auch noch selbst zum Verdächtigen, da er einige Vorfälle der Mordnacht nicht schlüssig erklären kann. Seine eigenen Nachforschungen scheinen keinen Sinn zu ergeben, ebenso wenig wie die der Polizei. Die zieht allerdings ihr Netz immer enger um den verzweifelt kämpfenden Alexandre, als weitere Morde geschehen. Es beginnt ein Wettlauf mit der Zeit, in dem jede Menge Haken geschlagen werden müssen, um nicht auf der Strecke zu bleiben und dem gnadenlosen Gegner direkt in die Arme zu laufen…
Regisseur Canet versteht es, Harlan Cobens geschicktes Vexierspiel stimmig vom Buch auf die Leinwand zu übertragen. Den Zuschauer lässt er nie mehr wissen als die Beteiligten, obwohl das Geschehen von mehreren Seiten her beleuchtet wird. Man erlebt die in sich verschlossene Welt des Witwers, der sich immer wieder die Vergangenheit vor das innere Auge ruft, ohne dass ihm dies Klarheit verschafft. Die Zweifel an der psychischen Gesundheit des Psychologen werden zusätzlich genährt durch die Ermittlungen der Polizei, die immer wieder auf Ungereimtheiten stößt. Spätestens wenn die übereifrigen Gangsterjäger den Täter aufgrund immer neuer und offensichtlicher Beweise ausgemacht zu haben glauben, weiß der Krimifan jedoch, dass die Indizien einfach zu deutlich sind, um auf die richtige Spur hinzudeuten. Miträtseln ist möglich, aber nicht ganz einfach, denn die Lösung ist hinter genügend Verschachtelungen versteckt.
Trotz der vielen Wendungen bleibt die Krimihandlung gut nachvollziehbar und lässt Raum für stimmige Nebenstränge und Einblicke in die Persönlichkeiten der Figuren. So fließt in den Thriller auch die Geschichte einer Liebe über alle Grenzen mit ein, die unaufdringlich mit dem Geschehen verquickt wird. Für einen unvoreingenommenen Blick in die Halbwelt, der die Noblesse an Rücksichtslosigkeit und Intriganz keineswegs nachsteht, sondern sie gar locker überbietet, bleibt auch noch Platz. An zwei entgegengesetzten Enden der gesellschaftlichen Skala werden hier Väter gezeigt, die eine sehr eigene Auffassung von Fürsorge haben und trotz ihrer konträren Lebensumstände aus durchaus ähnlichen Motiven heraus agieren.
Auch wenn der Cast mit nur wenigen großen Namen wie Kristin Scott Thomas (Der englische Patient, Gosford Park, Vier Hochzeiten und ein Todesfall) und Jean Rochefort (Wir verstehen und wunderbar, Mr. Bean macht Ferien) in Nebenrollen aufwartet, sind doch alle Figuren durch die Bank weg großartig besetzt. Einen eher kleinen, aber für die Story bedeutsamen Auftritt als Bösewicht gönnt sich auch der Regisseur selbst. Das Thema Loyalität wird nicht nur zu einem der Dreh- und Angelpunkte des Hauptplots, sondern auch in anderen Konstellationen immer wieder durchgespielt und gewinnt dadurch an Tiefe. Leider weist mancher Dialog allzu platt auf die Motive des jeweils Handelnden hin und stört damit die ansonsten sorgfältig aufgebaute Atmosphäre.
Letztere schafft Mathieu Chedid auch durch gut ausgewählte Musik, die einen hohen Wiedererkennungswert aufweist. Sie markiert deutlich und unmittelbar das Lebensgefühl und die vorherrschende Stimmung, ohne dass sie dabei zu nervendem Dauergedudel verkommen würde. Weitgehend überflüssig und etwas zu emotionsgeladen sind die verklärenden Rückblenden geraten, die außer Sentimentalität wenig wecken. Trotz einiger kleiner Schwächen bleibt der Film aber absolut taugliche Kost für Fans durchdachter Krimis.