Liebe Cinephile,
ich und Tarantino, das war einmal eine unsterbliche Liebesgeschichte: Der Funken schlug über bei Pulp Fiction und das Feuer loderte dann so richtig bei Jackie Brown. Reservoir Dogs war der Rüpel, den ich nicht so wirklich mochte, der aber irgendwie sexy war. Und Kill Bill war dann die große Ernüchterung am Morgen danach. Wie tief der Fall von Jackie Brown! Und Inglorious Basterds machte nicht den Eindruck als würde er diese Meinung ändern. Und leider hat er das auch nicht. Der Film bekommt nur eine 4+. Die Frage ist: Wieso?
Um es gleich vorweg zu nehmen: Der Film ist wie immer und mal wieder randgefüllt mit ikonenhaften Filmfiguren hinter denen teilweise fast ebenso ikonenhaft deren Schauspieler stehen. Absoluter Höhepunkt ist da natürlich ein Österreicher (nein, nicht der... :lach: ): Christoph Waltz. Es heißt, ein Film ist immer so gut wie sein Bösewicht. Würde das stimmen, wäre Basterds einer der besten Filme aller Zeiten. Waltz' Col. Hand Landa ist wie eine wunderschöne und absolut tödliche Giftschlange, die sich zuerst auf unglaublich betörende und elegante Weise um sein Opfer bewegt und es mit seinen schönen Farben einlullt...um dann pfeilschnell und mit unglaublicher Präzision loszuschlagen. Dabei wirkt Waltz' Spiel nicht aufgesetzt oder "bemüht böse". Dieser Mann ist böse! Wie er sein Wiener Schmäh einsetzt, um eine noch bösere Atmosphäre zu erzielen, ist phänomenal. Nichts für ungut: Aber Waltz hätte einen Oscar verdient.
Aber auch die anderen sind natürlich wieder eine sehr illustre Runde, insbesondere die deutschen Darsteller: Daniel Brühl spielt den schleimigen Karrieristen, August Diehl brilliert als tödlicher Major Dieter Hellstrom und Diane Heidkrüger überrascht positiv als schauspielernde Agentin. Die amerikanischen und französischen Darsteller bleiben für mein Dafürhalten etwas dahinter zurück: Brad Pitt ist natürlich ganz amüsant, kommt aber über seinen kuriosen "Tennessee-Akzent" nicht groß zum Spielen. Mélanie Laurent spielt zwar toll, ihr bleibt aber leider nur die kämpferische Opferrolle. Das ist ein bisschen schade, da man merkt, dass sie wesentlich mehr könnte.
Vom Standpunkt des Storytelling verzichtet Tarantino zum Glück auf alberne Zeitsprünge und zieht seine Handlung linear durch...höchstens einmal gespiekt von einigen teilweise ganz amüsanten Einspielern. Doch Tarantinos wahre Stärke ist ohnehin etwas anderes: Das Erschaffen von überragenden Atmosphären in Zusammenarbeit mit seinen Schauspielern (offensichtlich kann er sehr gut mit Schauspielern umgehen) und einem großen Auge für tolle Bilder. Die Szene ganz am Anfang in der französischen Bauernhütte ist umwerfend: Zwei Männer, die sich einfach unterhalten. Nichts bedrohliches, nichts irritierendes. Und doch herrscht die ganze Zeit ein unglaubliches Gefühl der Gefahr in der Luft. Das gleiche gilt für die Szene in der französischen Schenke: Selten wirkte Gemütlichkeit so bedrohlich. Und das Bild von Shosanna Dreyfus, wie es am Ende in den Rauch des brennenden Kinosaals projeziert wird, ist schlichtweg genial. Tarantino hat einfach ein unglaubliches Gespür für Stimmungen. Das erklärt auch, warum alle Dialoge in der Muttersprache geschrieben wurden (die deutschen übrigens von Tom Tykwer!). Während in anderen amerikanischen Produktionen einfach der nächstbeste "Pseudo-Deutsche" genommen wird, der dann radebrechend irgendeinen Quatsch erzählt, gibt sich Tarantino wirklich Mühe, der Schönheit und der besonderen Atmosphäre einer Sprache (sei es Deutsch, Französisch, Italienisch) gerecht zu werden. Einem OV-Freak wie mir, der eben genau aus diesem Grund ein OV-Freak ist, nötigt so etwas riesigen Respekt ab! Umso witziger ist natürlich die Szene am Ende im Kino, in der ein perfekt (und anscheinend akzentfrei!) sprechender Christoph Waltz einen völlig verduzten Brad Pitt auf Italienisch zutextet...während Pitt nur mit dem üblichen, amerikanischen Schauder-Italienisch antworten kann (was der Autor dieser Zeilen schon selbst gehört hat! Amis reden WIRKLICH so Italienisch...zumindest alle aus Texas und New York... :lach: ).
Doch wenn alles so toll war, warum dann eine 4+? Weil auch Basterds genau an dem krankt, was ich bei Tarantino eben nicht mag: Tarantino ist ein toller Regisseur...man könnte sogar sagen, er ist ein genialer Regisseur. Doch er kann nur Comics verfilmen. Selbst wenn es gar keine Vorlage zu seinen Filmen gibt. Aber unter'm Strich sind alle seine Film Comicverfilmungen. Sie sind flach, grell, haben hervorstechende, überzogene Charaktere, eine abgefahrene Handlung...alles die üblichen Zutaten eines Comicbuches. Zugegeben: Es sind Comics für Erwachsene und besonders gute Comics noch dazu. Aber eben nur Comics. Bei Reservoir Dogs und insbesondere bei Pulp Fiction war das neu und spannend und grenzte sich angenehm von allen wichtigtuerischen Independent-Produktionen ab, bei denen es nur hochgestochene Dialoge und bedeutungsschwangere Bilder gab. Aber spätestens mit Kill Bill wurde es zur Masche. Die "Pulp Fiction"-Masche. Basterds dreht das Rad zwar in dieser Hinsicht zum Glück ein bisschen zurück. Aber die comichafte Grundstimmung bleibt. Und das ist eben nur eine Zeitlang witzig und originell...aber nicht 15 Jahre lang. Kill Bill hatte den Vorteil, dass es überragende Kamerafahrten hatte, Basterds hat dafür einiges an Atmosphäre und eben die besagten Charaktere. Trotzdem bleibt alles Oberfläche, auf die einige Eimer grelle Farbe äußerst kunstvoll aufgetragen wurden...sehr "reizend" (im wahrsten Sinne des Wortes), aber eben auch sehr abweisend. Man fühlt eigentlich mit keiner der Charaktere mit, am Ende wünscht man sich fast, Col. Hans Landa würde als einziger überleben, ist er doch der einzige mit so etwas wie einer Seele...wenn auch einer sehr düsteren Seele. Die anderen und dessen Schicksale sind nur Staffagen in einem Schießfigurenkabinett. Und genau das ist der große Unterschied zu Jackie Brown: Auch hier gab es kunstvolle Einstellungen, coole Musik und eine geile Atmosphäre, die sich positiv von irgendwelchen bleischweren Arthaus-Dramen unterschied. Doch ging es dabei um etwas, was eine Idenfikation und Anteilnahme ermöglicht: Um echte Menschen mit echten Problemen. Und für einen Moment dachte ich, Tarantino hätte ein echtes Interesse, echte Geschichten von echten Menschen echt spannend und kreativ erzählen zu wollen.
Ich habe mich geirrt. Schade.