Kann man sich nach etwas sehnen, das gar nicht existiert? Die Poesie ist ein einziges Sehnen nach Dingen, die es nicht gibt. Und wenn es sie gibt, dann entsprechen sie nicht dem verklärten Sehnen. „The Night Listener“ von Regisseur Patrick Stettner ist die Geschichte zweier Sehnenden. Menschen, die sich so viel zu sagen haben und dessen Kenntnis voneinander ein Abenteuer und tiefe Freundschaft bedeutet. Wenn jedoch die verneinende Wirklichkeit das Sehnen und den Wunsch, dass es den anderen tatsächlich gibt, einholt, dann zerbricht man daran - aber nicht am Sehnen, sondern an der Wirklichkeit. Erst später gelangt man zu der Erkenntnis: Das Sehnen ist so tief, dass es alles andere überdauert. Basierend auf dem Roman „Der nächtliche Lauscher“ (englisch: „The Night Listener“) von Armistead Maupin erzählt Regisseur Stettner bedächtig und leise die Geschichte einer beginnenden Freundschaft bis zu ihrem eigentümlichen, bitteren Ende.
Gabriel Noone (Robin Williams), prominent und einsam, ist ein Poet. Seine faszinierenden und bewegenden Geschichten über das Leben sind Alltagspoesien und Lebenshilfen zugleich. Seine Zuhörer, die Einsamen da draußen, sind Nachtschwärmer und Träumer - fernab von jeder Wirklichkeit sitzen sie jeden Abend gebannt vor dem Radioapparat. „This is Noone at night“, klingt es dann in einer warmen, großväterlichen Stimme in die Haushalte.
Eines Tages bekommt Noone einen Anruf von dem schwerkranken Jungen Pete (Rory Culkin), der von den sexuellen Misshandlungen in seiner Kindheit erzählt. Schnell entwickelt Noone Mitgefühl für den bemitleidenswerten Jungen. Er sieht in Pete etwas Außergewöhnliches, etwas das ihn sehnen lässt. Mit 14 Jahren hat Pete bereits die ihm widerfahrenen, schrecklichen Erlebnisse in seinen Memoiren literarisch verarbeitet. Der bevorstehende Tod des Jungen und sein Leiden versetzen Noone zunehmend in eine emotionale Verantwortung. Er will dem Jungen zu literarischem Erfolg verhelfen, weil er tief berührt von seiner ungebrochenen Persönlichkeit und bewegenden Vergangenheit ist, aber auch von seinem ungewöhnlichen schriftstellerischen Talent. Petes blinde Adoptivmutter Donna (Toni Collette) ist sehr glücklich über die Bekanntschaft ihres adoptierten Sohnes mit dem sanftmütigen Radiomoderator. Auch mit ihr reift eine immer tiefer gehende Bindung heran. Doch etwas scheint an der Sache nicht zu stimmen: Noones Umfeld zweifelt an der Existenz des Jungen und befürchtet, dass Noone leichtsinnig in eine Falle tappt...
In einer Mischung aus Sozialdramatik und Suspense beginnt „The Night Listener“ vielversprechend. Die spätere Entwicklung des Films ist anfangs überhaupt nicht absehbar. Schleichend und mit leisen Tönen wird der Zuschauer zunächst auf die falsche Fährte gelockt. Dieses Vorgehen hat sehr viel mit One Hour Photo - ebenfalls mit Robin Williams in der Hauptrolle - gemein. Die Charaktere machen innerhalb des Films eine Wandlung durch, die aber nicht auf Erfahrungen und Entwicklungen der Darsteller innerhalb der Geschichte beruht, sondern auf einer besonderen Erzähltechnik, die den Zuschauer zunächst in eine vorgespielte Sicherheit wiegt. Schritt für Schritt wird diese aber im weiteren Verlauf gezielt zerstört. Die psychisch belasteten Akteure offenbaren ihr Innerstes und Wesenhaftes erst in einer auf das Ziel zugespitzten Dramatik. Vor allem die Darstellung von Realem und Irrealem, das aber als real erscheint, ist ein Mittel, um dem Zuschauer zu falschen Schlüssen zu bewegen.
Robin Williams, der gerade mit Die Chaoscamper in den USA seit langer Zeit wieder einmal einen annehmbaren Publikumserfolg feiert, kehrt mit „The Night Listener“ eher zum ernsten, anspruchsvolleren Kino zurück. Kaum eine Filmografie ist so sehr geprägt von Extremen. Mit Filmen wie „Good Will Hunting“, Der Club der toten Dichter oder Good Morning, Vietnam inszenierte Williams tiefgründige und ernsthafte Rollen, die unter die Haut gehen. Auf der anderen Seite wurde er mit Filmen wie „Flubber“ oder „Hook“ zum gefeierten Star der Kinderwelt.
Authentisch und beseelt waren seine ernsten Schauspielrollen ausnahmslos. In „The Night Listener“ schließt Williams an seine konsequent guten Leistungen an und hat dabei wohl seinen bisher emotionalsten Auftritt als alternder, schwuler und halbprominenter Radiomoderator, der nicht recht weiß, wo hin ihn sein Leben noch führen wird – die Darstellung des Gabriel Noone irgendwo zwischen von äußeren Umständen Getriebenem, kindlicher Naivität und weiser Lebensklugheit macht aus ihm einen vielschichtigen Charakter.
So spielt Robin Williams in seiner Rolle tiefgründig und mitfühlend einen von Widersprüchen geleiteten Mann, der in seiner Naivität und Idealistik beinahe sein Leben für seine Freundschaft zu Pete aufs Spiel setzt. „Gabriel Noone“ ist durchaus vergleichbar mit Williams psychotischer Rolle des Sy Parrish in „One Hour Photo“, obwohl diesmal nicht er, sondern sein Gegenpart Toni Collette diejenige Figur ist, die für die psychotische Entwicklung des Films verantwortlich ist. Collette spielt eine blinde und verzweifelte Frau, deren Motive und Handlungen nicht gänzlich offenbart werden. Zwischen krankhafter Persönlichkeitsspaltung und eiskalter, berechnender Wahnsinnigkeit verleiht sie dem Film eine erschütternde, aber auch interessante Wende. Die Annahme einer tiefen Verzweiflung, die ihre Seele zu bestimmen scheint, ist nicht definitiv erschließbar. Ihre schauspielerischen Fähigkeiten sind allerdings beeindruckend. Ebenso wie Robin Williams spielt sie ihre Rolle glaubhaft und überzeugend. Dies gilt ebenso für den kleinen Bruder von Macaulay und Kieran Culcin, Rory Culkin, der unter anderem in Dramen wie Igby und Mean Creek schon mehrfach bewiesen hat, dass er für sein Alter eine bemerkenswerte schauspielerische Reife besitzt.
Woran der Film aber trotz der guten schauspielerischen Leistungen letztendlich scheitert, ist die Umsetzung der Geschichte, die oft unbeholfen und verworren wirkt. Regisseur Patrick Stettner hat sichtbar starke Probleme, aus der Romanvorlage einen kompakten Film zu machen, der den Kern der Geschichte trifft und gleichzeitig ohne Gedankenstriche und Leerpausen auskommt.
So ist aus „The Night Listener“ trotz guter Ansätze das typische Beispiel für einen Film geworden, der seine zahlreichen Versprechungen nicht einhält. Für ein Sozialdrama bewegt er sich zu sehr an der Oberfläche. Als Psycho-Thriller ist sein Ende zu seicht und unoriginell. Regisseur M. Night Shyamalan zeigte bereits in The Village, dass diese Vermischung von Suspense und Drama zu viel Inhalt für einen Film dieser Kürze bedeutet.
Gut und gerne hätte man „The Night Listener“ auch auf die Hälfte der Spielzeit reduzieren können, weil sich der dramatische Aufbau des Films zu schleichend und ausdruckslos gestaltet. Oder aber: Seine Spielzeit hätte wesentlich länger sein müssen. Die Erwartungshaltung, die sich bis zum Ende errichtet, wird in einer Spiellänge von anderthalb Stunden jedoch nicht annähernd befriedigt. Die eigentliche Freundschaft der beiden Außenseiter Pete und Gabriel wird zu knapp und zu kraftlos thematisiert, um dem Film einen stärkeren psychologischen Effekt zu verleihen. Die suspensiven Elemente des Thrillers verblassen aufgrund ihrer unabgeschlossenen Entwicklung und letzten Endes unzureichenden Dramatik.