Eins ist so sicher wie das Amen im Adventsgottesdienst: Alle Jahre wieder flimmern sie über die Fernsehbildschirme. Die Weihnachtsfilme! Neben zeitlosen Klassikern wie „Ist das Leben nicht schön?" oder der „Stirb langsam"-Reihe hat der TV-Zuschauer an den Dezemberabenden nach Plätzchenbacken und Tannenbaumschmücken regelmäßig die Wahl zwischen allerlei kitschigen Romanzen, diversen „Grinch"- und „Sissi"-Ausgaben sowie weihnachtlichen Familienkomödien in jeder nur denkbaren Variante. Da dürfen in der Regel auch die „Kevin"-Filme nicht fehlen, die Jungdarsteller Macaulay Culkin („My Girl – Meine erste Liebe") Anfang der 90er Jahre zum gefeierten Kinderstar machten. In der Fortsetzung ihres Megaerfolgs „Kevin - Allein zu Haus" verzichten Regisseur Chris Columbus („Percy Jackson - Diebe im Olymp") und der 2009 verstorbene Drehbuchautor John Hughes („Ferris macht blau") fast auf jede nennenswerte Innovation, liefern mit dem Sequel „Kevin – Allein in New York" aber eine überdurchschnittliche Familienkomödie ab, die sich trotz etwas geringerer Gagdichte in punkto Spaß und Unterhaltungswert vor ihrem populären Vorgänger nicht zu verstecken braucht. Schließlich wartet der Film im Gegensatz zu den überflüssigen Fortsetzungen „Wieder allein zu Haus" und „Kevin – Allein gegen alle" noch mit der glänzend aufgelegten Originalbesetzung auf und vermag den Zuschauer dank prächtig geschmückter Großstadtkulisse und verträumt-melancholischen Glöckchenklängen fast auf Knopfdruck in Weihnachtsstimmung zu versetzen.
Ein Jahr nach ihrem gemeinsamen Frankreichtrip brechen die McCallisters zum zweiten Mal gemeinsam in den Urlaub auf: Diesmal soll die Reise über die Feiertage ins vermeintlich sonnige Florida gehen. Weil am Tag des Abflugs aber wieder einmal der Wecker seinen Dienst versagt, hetzt die vielköpfige Sippschaft erst auf den letzten Drücker zum Flughafen. Im allgemeinen Trubel verliert Kevin McCallister (Macaulay Culkin) den Rest seiner Familie aus den Augen und setzt sich versehentlich ins falsche Flugzeug. Statt wie geplant mit seinen Verwandten nach Miami zu jetten, findet sich der Kleine nach der Landung plötzlich im weihnachtlichen New York wieder. Wie praktisch, dass er die Kreditkarte seines Vaters dabei hat – so ist es ein Leichtes, sich erst mal im mondänen Plaza-Hotel einzuquartieren und dort fleißig Eis und Süßigkeiten beim Zimmerservice zu bestellen. Doch nicht nur in Person des misstrauischen Hotelconcierges Mr. Hector (Tim Curry) droht Kevin Ungemacht: Die „feuchten Banditen", die der Sprössling ein Jahr zuvor hinter Gitter gebracht hatte, sind aus dem Gefängnis ausgebrochen und stellen dem verlorenen Sohn im Big Apple nach...
„Don't imitate – innovate!", titelte vor einigen Jahren ein renommiertes Designerlabel im Rahmen einer Werbekampagne. Die Macher von „Kevin – allein in New York" verfahren da genau entgegengesetzt: „Don't innovate – imitate!" Neben dem extrem konstruierten und an Teil 1 angelehnten Showdown, in dem Kevin in der Millionenmetropole zufällig über das leerstehende Haus seines Onkels stolpert und seinen Schlachtplan in die Tat umsetzt, wird beginnend mit der ersten Einstellung im Flur der McCallisters so ziemlich jedes Motiv aus „Kevin – allein zu Haus" kopiert oder mit leichten Variationen recycelt. Kevins Auftaktstreit mit der Familie, Fullers Harndrangproblem, eine entscheidende Verwechslung in der allgemeinen Aufbruchshektik – man könnte locker zwei Dutzend Szenen aufzählen, die sich bereits im Vorgänger finden und nun erneut verwurstet werden. Selbst der akustisch ziemlich fragwürdige Fernsehertrick, mit dem der Dreikäsehoch im ersten Teil den Pizzaboten verscheucht, kommt mit neuem Dialog ein zweites Mal zum Einsatz und lehrt nun das Plaza-Personal das Fürchten. Böse sein kann man den Filmemachern aber trotzdem selten, nicht zuletzt weil Kevins Eltern Kate (Catherine O'Hara) und Peter McCallister (John Heard) ihr törichtes Verhalten immer wieder lachend reflektieren dürfen. Abgesehen von dieser angenehmen Selbstironie bleibt Kevins neues Diktiergerät, das sich schnell als Universalwaffe entpuppt und dem Blondschopf Tür und Tor im Luxushotel öffnet, die einzig nennenswerte Innovation im Sequel.
Die Kleinganoven Marv & Harry dürfen daher auch in New York wieder ahnungslos in sämtliche Fallen tappen, die der clevere Kevin sich für seine Erzfeinde ausgedacht hat. Wie in einer kindgerechten Ausgabe von „Saw" wird die Hinterlistigkeit dabei im Vergleich zum Vorgänger noch einmal gesteigert – natürlich ohne tödliche Folgen oder ernsthafte Verletzungen nach sich zu ziehen. Da die „klebrigen Banditen", wie sie sich neuerdings nennen, in bester Tom & Jerry-Manier auch nach übler Farbdosenbombardierung, haarsträubender Starkstromtherapie und allerlei fiesen Backstein- und Heftklammerattacken nimmermüde zum Gegenschlag ansetzen, darf der pädagogische Mehrwert sicher getrost bezweifelt werden – ob man ihn aber überbewerten sollte? Schadenfreude bleibt schließlich auch in „Kevin – allein in New York" die schönste Freude – sofern der Zuschauer an fast zeichentrickartigem Slapstick und zwei nie ernst zu nehmenden Gaunerkarikaturen Gefallen findet.
Oscargewinner Joe Pesci („GoodFellas", „Casino") und Daniel Stern („City Slickers - Die Großstadt-Helden") ist der Spaß an ihren Rollen als Harry und Marv jedenfalls anzumerken. Besonders Stern ist als begriffsstutziger Kleinganove köstlich und stößt mit seinem schmerzhaft verzerrten Gesicht mimisch immer wieder in Jim-Carrey-Dimensionen vor. Während er sein gebrochenes „Haaaarry" durch das zur Festung umgebaute Haus krächzt, hat sein muffelig-fieser Partner dazugelernt und darf sich zumindest das ein oder andere Mal damit rühmen, eine Falle rechtzeitig zu enttarnen (um im Anschluss natürlich umso mehr leiden zu müssen). Der kleine Kevin gibt sich auch im Sequel wieder frech und schlagfertig, nervt aber spätestens beim Philosophieren mit der gruseligen Taubenlady (Brenda Fricker, „Mein linker Fuß"), die im Central Park unverhohlen den schneeschippenden Nachbarn aus „Kevin – allein zu Haus" ersetzt und ihrem neuen Freund im entscheidenden Moment zur Seite steht.
Fazit: „Kevin – allein in New York" richtet sich wieder vorwiegend an das junge Publikum und knüpft nahtlos an die Erfolgsidee des Vorgängers an. Drehbuchautor John Hughes („Ein Hund namens Beethoven", „101 Dalmatiner", „Flubber") erweist sich einmal mehr als Spezialist für massenkompatible Familienkomödien und macht sich daher auch gar nicht erst die Mühe, das Sequel konzeptionell neu auszuloten. Nicht zuletzt dank des stimmigen Soundtracks, einem nostalgieschwangeren Besuch in Duncan's Spielzeugparadies und dem schmalzigen Finale unter dem weltberühmten Tannenbaum am Rockefeller Center versprüht aber auch der zweite „Kevin"-Film wieder reichlich Weihnachtsatmosphäre und darf sich daher zu Recht über die jährliche Präsenz im winterlichen TV-Programm freuen.