Niemand möchte gern an seinen bevorstehenden Tod erinnert werden. Ein Film, der sich mit dem Lebensabschluss eines Endzwanzigers auseinandersetzt, muss daher schon etwas Besonderes leisten, um seine Zuschauer zu überzeugen. Mit dem Drama „Die Zeit die bleibt“ versucht der französische Regisseur Francois Ozon, dieses heikle Thema aus seiner Sicht zu bearbeiten.
Romain (Melvil Poupaud) hat oberflächlich alles, was man sich nur wünschen kann: jugendliche Energie, gutes Aussehen und einen Erfolg versprechenden Job als Fotograf in der Modebranche. Nur mit seiner Familie versteht er sich nicht so recht. Der arrogante und karrierebezogene Emporkömmling lässt auf den Familientreffen besonders seine Schwester Sophie (Louise Ann Hippeau) spüren, wie sehr er sie verachtet und hasst - vor allem wegen ihrer nervigen Kinder. Auch sein Freund Sasha (Christian Sengewald) wird von ihm nur von oben herab behandelt und bekommt ständig Romains Überlegenheitsgefühle zu spüren. Doch dann erfährt der Fotograf, dass er an einer unheilbaren Krankheit leidet und in wenigen Monaten sterben muss. Eine Heilung ist ausgeschlossen. Romain versinkt in einem Schockzustand und kann sich nicht mit der Endgültigkeit seiner Krankheit abfinden.
Zunächst sucht Romain die Nähe seiner Großmutter (Jeanne Moreau), um sich ihr anzuvertrauen. Nur bei der alten Dame, die seiner Meinung nach ja selbst nicht mehr weit vom Tod entfernt ist, fühlt er sich geborgen und verstanden. Er schwelgt in Kindheitserinnerungen und beginnt auf den Rat der Großmutter hin, sich mit seinem Leben auseinander zu setzen. Auf dem Weg zu ihr lernt er auch ein junges Paar kennen, das verzweifelt versucht, einen Samenspender zu finden. Romain lehnt anfangs empört ab. Aber als er weiter über sein Leben und das, was er der Welt hinterlassen kann, nachdenkt, beginnt auch seine Meinung über Kinder ins Wanken zu geraten. Dadurch wachgerüttelt, fängt er an, auch über die Beziehung zu seiner Schwester nachzudenken. Während sich sein Zustand verschlechtert, arbeitet der junge Mann an seinem Nachlass für die Welt und seine Familie und versucht gleichzeitig, auch sich selbst ein paar letzte Wünsche zu erfüllen…
Der Franzose Francois Ozon ist der Filmwelt eher als Meister des spitzzüngigen Humors sowie knallharter Beobachtung und Reflexion bekannt. Mit Werken wie „8 Frauen“ und Swimming Pool sowie zuletzt dem Drama 5x2 hat sich der noch nicht einmal 40-jährige Regisseur auf internationaler Ebene schon einen eindrucksvollen Ruf erarbeitet. Aber gerade wegen seines Stils und der oft verwendeten Ironie wäre er sicher nicht der erste Name, der mit einem derart melancholischen und feinfühligen Projekt wie „Die Zeit die bleibt“ in Verbindung gebracht werden würde. Doch auch in diesem ernsteren Genre kann sich Ozon bewähren. Mit einem langsamen Erzähltempo und genügend Zeit zur Ausarbeitung der einzelnen Charaktere und ihrer Beziehungen zueinander beginnt Ozon die Auseinandersetzung mit seinem Sujet. Ohne klischeehafte Weichzeichnereffekte durch Dramaturgie oder Kameraführung kann sich der Zuschauer dem verzweifelten und nicht einmal durchgängig sympathischen Protagonisten annähern und seinen Werdegang beobachten. Dabei wird in „Die Zeit die bleibt“ sehr viel Wert auf Details gelegt. Sowohl die Dramaturgie der kleinsten Erzählschritte als auch die Inszenierung der zum Teil nur angedeuteten Gesten zeugen von der guten Leistung des Regisseurs und seinem großen Interesse am Thema selbst.
Die Geschichte wird hauptsächlich von der Darstellung Romains getragen. Der hierzulande eher unbekannte französische Schauspieler Melvil Poupaud gibt Romain nicht nur ein attraktives Gesicht, sondern bringt auch die Verletzlichkeit und den teilweise fast schon (selbst-)zerstörerischen Zorn des jungen Mannes einfühlsam zur Geltung. Besonders in den wenigen Szenen mit der Leinwand-Veteranin Jeanne Moreau kann Poupaud irgendwie noch mehr aus sich herausholen. Vielleicht liegt es auch daran, dass er hier zum ersten Mal die Position des knallharten kreativen Geschäftsmannes verlassen darf und wieder zum schutzsuchenden, fast hilflosen Jungen wird. Gerade diese Sequenzen schaffen eine emotionale Verbindung zum Protagonisten, ohne je Gefahr zu laufen, ins Kitschige abzurutschen.
Im Verlauf von „Die Zeit die bleibt“ büßt der Film jedoch einiges an gerade gewonnenen Zuschauersympathien wieder ein, münden die Überlegungen Romains über seinen Nachlass doch in einem blöden dramaturgischen Glücksfall der theoretischen Möglichkeit, einen Nachkommen zu hinterlassen. Diese zufällig entstandene Begebenheit wirkt ziemlich konstruiert und bleibt - auch wenn sie spannende Konsequenzen und das Überdenken der Beziehung zu Romains Schwester einleitet - ein sehr auffälliger und hergeleiteter Wendepunkt der Geschichte. Nur wer bereit ist, diesen per narrativen Holzhammer geschaffenen Wandel zu akzeptieren, kann „Die Zeit die bleibt“ widerspruchslos annehmen. Die Zuschauer, die sich an der konstruierten Zufallsbegegnung mit dem kinderlosen Paar stören, stellen eher das darauf Folgende ebenfalls in Frage, weil es auf dieser Gefühlswandlung basiert. Schade, dass Ozon seinem Film auf diese Weise ein wenig seiner Aussagekraft wieder entzieht, nachdem er sie so mühevoll aufgebaut hat.
Trotz dieses Einbruchs ist „Die Zeit, die bleibt“ ein durchaus sehenswerter Film, der vor allem von der kreativen Leistung seines einfühlsamen Regisseurs lebt. Auf jeden Fall kann das Publikum einige interessante Denkanstöße über die Nutzung seiner Lebenszeit, Vermächtnisse und Wege, mit sich und anderen ins Reine zu kommen, mitnehmen. Man sollte sich aber darauf gefasst machen, dass der Abend kurz nach dem Kinobesuch endet, weil man doch eine gewisse gedämpfte Stimmung aus dem Film mitnimmt.