Mein Konto
    Zwei ungleiche Schwestern
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Zwei ungleiche Schwestern
    Von Björn Helbig

    Wenn zwei Lebensstile, zwei Mentalitäten aufeinander prallen, ist der Konflikt häufig vorprogrammiert. Oft ist dieses „Verschiedene“ – abhängig vom Grad der Verschiedenheit – nicht einmal in der Lage, miteinander zu kommunizieren. Es fehlt die gemeinsame Grundlage, die es fast unmöglich macht, die Verschiedenartigkeit zu überwinden und den Konflikt zu lösen. Genau darum geht es in Alexandra Leclères ersten größerem Film „Die ungleichen Schwestern“ nicht.

    Martine (Isabelle Huppert) hat jung geheiratet und lebt mit ihrem Mann Pierre (François Berléand) und ihrem Sohn Alexandre (Antoine Beaufils) in einer edlen Wohnung in Paris. Was nach außen hin den Eindruck einer glücklichen Familie machen könnte, ist in Wirklichkeit – das erfährt der Zuschauer schnell – Martines ganz private Hölle, denn sie ist in höchstem Maße unglücklich mit ihrer Ehe, ihrem Leben und – vor allem – mit sich selbst. Auch der Tag, an dem der Zuschauer in den Film einsteigt, beginnt schlecht: Martines Mann atmet beim Frühstück zu laut, ihr Sohn nimmt beim Abschiedskuss keine Rücksicht auf ihren schmerzenden Rücken und, was das Schlimmste ist, ihre Schwester Louise (Catherine Frot), die sie seit drei Jahren nicht gesehen hat, kommt sie dieses Wochenende besuchen. Die Welt ist schlecht und Martine ihr Opfer! Anders als Martine ist Louise eine lebenslustige Frau. Zwar arbeitet sie nur als Kosmetikerin in ihrem kleinen Heimatdorf, doch ist sie mit sich und der Welt im Reinen. Im Allgemeinen als grundsätzliche Konstitution ihrer Persönlichkeit, im Besonderen, weil sie sich darauf freut, ihre ältere Schwester in Paris zu besuchen und sich das mit einem Verlagstermin verbinden lässt. Louise hat nämlich den Wunsch, Schriftstellerin zu werden.

    Und so nimmt das Unheil seinen Lauf. Während die überschwängliche Louise versucht, Martine an ihrem Glück teilhaben zu lassen, reißt sie diese damit immer weiter in den Abgrund – bis hin zu der Erkenntnis, dass ihr Leben aus einem Haufen Lügen besteht. Der Film bietet viele Momente, sowohl tragische als auch komödiantische, an denen diese Entwicklung Martines hin zur Selbsterkenntnis durchexerziert wird. Beide Hauptdarstellerinnen machen dabei ihre Sache ganz vorzüglich. Isabelle Huppert („8 Frauen“) überzeugt durchweg in der Rolle der frustrierten Pariser Bürgerin, und auch Catherine Frot verleiht ihrer Rolle einiges an Sympathie. Diese hat lediglich das Problem, dass ihre Figur Louise einfach zu simpel – mitunter fast unglaubwürdig – agieren muss, so dass sie an ihren komplexen Widerpart nicht heranreichen kann. Der Zuschauer ist häufig verwundert, wie Louise die Missgunst ihrer Schwester aushält und nach einer traurigen Sekunde sofort wieder der naive Sonnenschein ist. Es hätte dem Film gut getan, ein wenig mehr Arbeit in diese Rolle zu investieren. Um „Zwei ungleiche Schwestern“ komödiantisch aufzulockern, reicht der Charakter der Louise allemal aus. Nur haben die Macher sich so ein weiteres Problem eingehandelt: Der Film ist so „leichter“, d. h. für den Zuschauer angenehmer konsumierbar geworden, doch wirkt er jetzt unentschlossen und wie ein Spagat zwischen zwei Genres.

    Die im Titel angesprochene Idee der „Ungleichheit“ bedient somit bestenfalls die humoreske Seite des Films, wobei es sich bei dieser Seite um einen kleineren, fast unwichtigen Aspekt handelt. Denn rasch offenbart sich, dass der Konflikt zwischen den beiden Frauen nicht in erster Linie in ihrer Verschiedenheit begründet liegt, auch wenn der Filmtitel derartiges suggeriert. Die Verschiedenheit ist lediglich ein kleiner Faktor, der dazu führt, dass Louise nicht in der Lage ist zu erkennen, was in Martine vorgeht, sonst würde sie – Gutmensch, wie sie ist – anders handeln. Denn während sie ihrer Schwester von ihrem Glück erzählt und ihren Träumen, während sie vor Freude fast überläuft, wird Martine beim Anblick ihrer zufriedenen Schwester Stück für Stück leerer. Sie erkennt, dass sie keine Träume hat und keinen Visionen hinterher läuft. Ihr Leben hat schlicht keinen Sinn. Somit muss der Gedanke über das Konflikt auslösende Aufeinandertreffen unterschiedlicher Lebensstile auch wieder relativiert werden: Sicher, Verschiedenheit kann zu fehlerhafter Kommunikation und die wiederum zu Konflikten führen. Mit diesem Thema hat der Film allerdings wenig am Hut. Der eigentliche Konfliktherd liegt in Martines Charakter.

    Einen schönen Bogen der Charakterentwicklung schlägt der Film gegen Ende. Es ist nicht die gemeinsame Vergangenheit der Schwestern, die bei Martine eine Entwicklung anzustoßen scheint, auch wenn diese Vergangenheit die wenigen Momente der Annährung zwischen den Schwestern liefert. So schaffen es Martine und Louise für einen Augenblick, angeregt durch ein Fernsehprogramm, dass sie als Kinder mochten, zusammen fröhlich zu sein. Es sind die „wirklichen“ Probleme, denen Martine am Schluss gegenübersteht und die sie langsam aus ihrem Dämmerzustand zu erwecken scheinen – und die somit die Voraussetzung dafür zu schaffen, den Konflikt zu beenden. Doch nicht den Konflikt mit ihrer Schwester, sondern den mit und in sich selbst.

    Schade aber, dass der Film dann auch noch mit Szenen aufwarten muss, die ganz und gar nicht gefallen, z. B. die, in denen der ansonsten sehr überzeugende François Berléand („The Transporter, „Transporter – The Mission“, „Romance“) seinen Charakter Pierre dem Zuschauer mit dem Holzhammer näher bringt, indem er an Louises Rockzipfel hängend ein paar Mal zu oft jammernd wiederholt „Ich will doch nur geliebt werden. Ich will doch nur geliebt werden. Ich will doch nur…“. Das wirkt nur plakativ und raubt dem Film Punkte.

    Alles in allem ist „Zwei ungleiche Schwestern“ ein gelungener Film, dem der Zuschauer die Leidenschaft der Regisseurin Leclère für einen Großteil ihrer Protagonisten anmerkt. Aufgrund des Spagats zwischen Tragik und Komödie dürfte er mehrere Zielgruppen ansprechen, aber keine davon völlig befriedigen. Was allerdings eine Freude für jeden Cineasten sein dürfte, ist die hervorragende Performance der Isabelle Huppert, die eine tiefgründig-traurige Figur erschafft, welche noch eine Zeit lang nach dem Kinobesuch widerhallt.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top