Manche Berufe passen einfach nicht gut zu der Vorstellung, im trauten Heim eine brave Familie sitzen zu haben – so auch der von Paul Walker in Wayne Kramers Action-Thriller „Running Scared“, wo er einen Gangster im Drogenmilieu verkörpert. Gerade wenn man nicht der Boss ist, bleiben immer die heiklen Jobs an einem hängen. Wenn man diese dann auch noch im Geheimen verrichten muss, damit die lieben Angehörigen nichts von den eigenen Schattenseiten erfahren, kann das manchmal ganz schön nervenaufreibend sein. Richtig anstrengend wird das Ganze, wenn der allzu neugierige Nachwuchs meint, die Dinge selbst in die Hand nehmen zu müssen.
Die Tour de Force beginnt, als bei einer Geldübergabe im Drogenmilieu plötzlich maskierte Männer auftauchen und die Situation eskaliert. Der Junior-Mafioso eröffnet das Feuer, in dem alle Parteien Opfer lassen. Unschön nur, dass die Maskierten von der Polizei waren. Unbedingt muss die Mordwaffe – ein auffälliges und seltenes, weil besonders schönes mit Perlmutt verziertes Stück – verschwinden. Joey (Paul Walker), der Spezialist für solch lästige Aufgaben, nimmt die Waffe an sich und entsorgt sie bei sich zu Hause in einem vermeintlich sicheren Versteck im Keller. Was er nicht weiß: Die Aktion wird von seinem 10-jährigen Sohn Nicky (Alex Neuberger) und dessen bestem Freund, dem russisch-stämmigen Oleg (beängstigend ernsthaft: Cameron Bright) aus dem Nachbarhaus, beobachtet. Beim Abendessen fliegen der Familie plötzlich Kugeln um die Ohren. Joey, der sofort den einfältigen und gewalttätigen Anzor (Karel Roden), Olegs Vater, in Verdacht hat, staunt nicht schlecht, als er diesen mit einer Schusswunde auffindet: Oleg hat geschossen – mit einer auffällig schönen, perlmuttverzierten Waffe. Jetzt ist der Junge mitsamt der heißen Waffe auf der Flucht. Die Panik steht Joey ins Gesicht geschrieben: Findet die Polizei den Jungen und kann die Waffe den Polizistenmorden zuordnen, ist er dran. Kaum besser, wenn seine Gangster-Kollegen erfahren, dass er seinen Auftrag nicht erfüllt und die verräterische Waffe einem 10-Jährigen in die Hände hat fallen lassen. Die Zeit läuft gegen ihn, also schnappt er sich seinen Sohn und begibt sich auf eine turbulente Fahrt durch die Nacht auf der Suche nach Oleg.
Regisseur Wayne Kramer, Gangster-Genre-Freunden seit seinem grandiosen The Cooler ein Begriff, schickt seine Protagonisten auf eine Reise durch die Halbwelt einer Untere-Mittelklasse-Vorstadt, bei der immer deutlicher wird, dass das Leben hier eher einem Kamikaze-Unternehmen als einem langen ruhigen Fluss gleicht – und das gilt nicht nur für den anfangs in die Bredouille geratenen Joey, sondern für alle Beteiligten. Bei dem mit überraschenden Wendungen und noch überraschender zusammenlaufenden Handlungssträngen gespickten Spießrutenlauf wird deutlich, dass der Wahnsinn nicht nur am Rande der Gesellschaft zuhause ist: Die Grausamsten in diesem verrückten Spiel sind diejenigen, die hier nur am Rande auftauchen und zunächst als Rettung erscheinen.
Das wirklich Böse offenbart sich nur höchst widerwillig hinter der Fassade aus Pastell und Plastik und lädt doppelte Schuld dadurch auf sich, dass es weder Bewusstsein noch Einsicht über die eigene Perversion zu entwickeln in der Lage ist. Der vermeintliche Abschaum legt dagegen zuweilen hinter den rauen Umgangsformen, die hier zum Überleben notwendig sind, eine zaghafte Menschlichkeit an den Tag. So entsteht ein Puzzle-Bild von den in vielerlei Erscheinungen auftretenden (finanziellen und moralischen) Verlierern der Gesellschaft und davon, wie sie sich ihren eigenen Weg durch den menschlichen Dschungel suchen. Die grundlegende Erkenntnis für alle Beteiligten dieses Katz- und Maus-Spiels ist, dass nichts so ist, wie es scheint. Joeys attraktive Frau Teresa (Vera Farmiga) weiß darum, dass die Kenntnis des Anderen, selbst des eigenen Mannes, immer noch blinde Flecke aufweist, und sie akzeptiert das - vorausgesetzt, sie vertraut der Person, wie das bei ihrem Mann der Fall ist. Wo sie jedoch instinktiv etwas Bösartiges vermutet, lässt sie sich vom schönen Schein nicht in die Irre leiten. Diese Haltung führt sie zielsicher durch die Wirren dieser Nacht.
Der unabhängig vom Studiosystem entstandene Streifzug durch eine nervenaufreibende Nacht fesselt mehr durch das visuelle Konzept und die Montage als durch die zu viele Haken schlagende Story. In schnellen, blitzlichtartig aufleuchtenden Rückblenden werden Lücken im chronologischen Erleben einzelner Personen gefüllt – die teils unscharfen und mit variiertem Tempo daherkommenden Einschübe lassen jedoch offen, ob hier ein auktorialer Erzähler dem Zuschauer wirklich Hinweise auf ein Geschehen gibt, das der handelnden Person nicht bekannt sein kann, oder ob wir einen Gedankengang eben dieser Person mitverfolgen dürfen. Eine sehr agile Kamera tut ein Übriges, um die Angespanntheit der Protagonisten unmittelbar auf den bequemen Kinosessel zu übertragen.
Etwas überdeutlich ist die Gestaltung der Gegenwelten geraten. Wer nicht ahnt, dass russische Immigranten und Junkies in einer tristen, beengten, farb- und freudlosen Welt ihr Leben fristen, der bekommt es hier idiotensicher präsentiert. Das schafft in dieser Deutlichkeit keine Atmosphäre, nimmt dafür aber Spannung aus der Geschichte. Bei aller Maskerade, die die Figuren voreinander aufführen, schreit ab und an die Kulisse und die Charakterzeichnung allzu deutlich heraus, wer auf welcher Seite steht. Durch diese undifferenzierte Darstellung gängiger Rollenbilder konterkariert Kramer seinen eigenen Plot, der doch gerade davon lebt, dass jeder undurchschaubar bleibt. Zu sehr steht im Mittelpunkt, eine verwirrende und doch logisch nachvollziehbare Story aufzufächern, als dass man sich noch mit den charakterlichen Feinheiten der Figuren allzu ausführlich befassen könnte. Hier und da gelingt das lediglich bei Joey und Teresa, was Joey und Oleg angeht, ist Psychotherapie light angesagt. Ein großes Vergnügen ist der an Vorlagen nicht arme „Running Scared“ trotz dieser kleinen Schwachpunkte, weil die Darsteller sich in atmosphärisch dichten Settings und einer spannenden Geschichte geschmeidig bewegen.