JAGD AUF EINEN UNSICHTBAREN
von Michael Grünwald / filmgenuss.com
Was genau haben all die uns bekannten und so verehrten Meister des Filmschaffens eigentlich so berühmt gemacht? Steven Spielberg, Roman Polanski, Jean Pierre Jeunet oder Quentin Tarantino – sie alle konnten mit ihren ersten Arbeiten ihr außerordentliches Talent unter Beweis stellen, ihren Stil aus der Taufe heben oder zeigen, in welchen Kategorien sie bestimmt keinen Meister mehr bräuchten. Eines dieser sogenannten Lehrstücke oder Anfangswerke hat auch Oscarpreisträger Bong Joon-Ho vorzuweisen. Ein Werk, schon 17 Jahre alt, erstaunt mit einer narrativen Selbstsicherheit, hinter der ein wahres Naturtalent stecken muss. Ich bin sogar versucht zu sagen, dass das Kriminaldrama Memories of Murder zu den besten Arbeiten zählt, die der Koreaner jemals aufs Kinopublikum losgelassen hat. Dabei ist mein persönlicher Favorit immer noch die postapokalyptische Parabel Snowpiercer, unmittelbar gefolgt von einem Film, der stark an das Vokabular eines David Fincher erinnert, insbesondere an dessen True Crime Drama Zodiac.
Auch Memories of Murder beruht vage auf wahren Begebenheiten, oder sagen wir: hat sich davon inspirieren lassen. Schauplatz ist natürlich Korea, allerdings das Korea der 80er Jahre, das noch unter der Fuchtel des Militärs stand. Ein Frauenmörder treibt zu dieser Zeit sein Unwesen. Und zwar einer, der nirgendwo Spuren hinterlässt, der aber anscheinend immer zu einer bestimmten Wetterlage seine Verbrechen verübt. Darauf angesetzt werden ein Kommissar und seine Entourage, wobei diese alles andere als geeignet dafür scheint, gewissenhaft und fokussiert der Sache nachzugehen. Prestige unter den Kollegen ist immer noch oberstes Gebot. Der Fall will gelöst werden, unter welchen Voraussetzungen auch immer. Da kann es durchaus sein, dass so manch Unschuldiger, der sich nicht wehren kann, zum Handkuss kommen könnte.
Und genau hier schafft das koreanische Kino wieder mal etwas, was selbiges aus anderen Ländern sonst nicht kann – oder auch nicht will, weil die Gefahr vielleicht zu groß wäre, durch konterkarierende Elemente und Stimmungen den eigenen Film zu verhauen: es ist die Sache mit der selbstironischen Überzeichnung. Memories of Murder nährt mitunter den Eindruck, in einer genrebezogenen Parodie zu stecken, die mit grotesken Charakterstudien nur so um sich wirft. Kenner des österreichischen Kottan-Fernsehkults werden sich vielleicht manchmal daran erinnert fühlen, allerdings: sobald sich auch nur die geringste stilistische Tendenz für diesen Film manifestieren will, ist der Eindruck auch schon wieder weg. Joon-Ho kontert mit melodramatischen, teils epischen Versatzstücken. Lässt die Kriminaltragödie wie Fritz Langs M – Eine Stadt sucht einen Mörder wirken. Lässt seine imperfekten Figuren in ihrer Verantwortung straucheln wie in Dürrenmatts Krimiszenarien. Dazwischen das in fast schon abstrakten Details eingefangene Verbrechen, wie Panels einer Graphic Novel. Dieser Mix ist aber kein Potpourri roter Fäden, sondern ein wohlkomponiertes Stück großes Krimikino, das berührt, irritiert und sich selbst nicht immer ernst nimmt. Sowas kann leicht in die Hose gehen, sowas kann geschmacklos und fahrig sein. Nicht in Memories of Murder: hier ist die Psyche der Ermittelnden genauso relevant wie die Psyche des Mordenden, hier findet die Ohnmacht vor etwas Unberechenbarem seine Bühne für irrationales Verhalten. Dieses Versagen einer Mission – ob resignativ, schadenfroh oder einfach nur melancholisch traurig – so dermaßen facettenreich herauszuarbeiten, ist beeindruckende Filmkunst, auch wenn man fernab jeglicher Genugtuung ratlos zurückbleibt.
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