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    Silence becomes you
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Silence becomes you
    Von Christoph Petersen

    Immer mehr Kinofilme werden nicht mehr mit herkömmlichen 35mm-Material sondern mit digitalen Kameras gedreht. Bisher mussten die digitalen Bilder aber noch immer nachträglich in eine normale Kopie umgewandelt werden, weil kaum ein Kino heute schon in der Lage ist, digitale Aufnahmen in einer annehmbaren Qualität direkt zu projizieren. Das soll sich jedoch in Zukunft ändern – immerhin kann man sich durch den Einsatz von digitalen Projektoren die teuren Filmrollen, die teure Umwandlung und damit viel Geld sparen. Der neugegründete Verleih Filmlichter hat sich nun das Ziel gesetzt, das digitale Kino mit Hilfe eines passenden Verleihprogramms auch in Deutschland voran zu bringen. Ihr erstes Projekt, Stephanie Sinclaires Mystery-Drama „Silence Becomes You“, ist hierfür genau die richtige Wahl, weil es mit seinen sehr künstlichen, sehr experimentellen visuellen Kompositionen jegliche Facetten des digitalen Filmemachens abdeckt. Allerdings wird das Gros des Mainstream-Publikums mit der ebenfalls sehr experimentellen Dramaturgie seine Schwierigkeiten haben.

    Seit dem Tod ihres herrischen Vaters (Leigh Lawson, Casanova) leben die Schwestern Grace (Sienna Guillory) und Violet (Alicia Silerstone) alleine in dem ehrwürdigen, aber sehr abgeschiedenen Familienlandsitz. Dabei verbindet sie mehr als nur familiäre Bande – als ob sie Zwillinge wären, können sie auch die Empfindungen des anderen wahrnehmen. Als eine Art Spiel holen sich die beiden den attraktiven Tagedieb Luke (Joe Anderson) ins Haus, den sie zunächst mit erotischen Andeutungen an den Rand des Wahnsinns treiben. Doch dann verliebt sich Violet in den gutaussehenden Gast. Als sie schwanger wird, will sie sogar mit Luke fortgehen, um ein Leben in der realen Welt zu beginnen. Damit kommt die alleingelassene Grace aber gar nicht klar und versucht mit allen Mitteln, ihre Schwester weiter an sich zu binden…

    Die visuelle Ausgestaltung von „Silence Becomes You“ erinnert an ein barock-surreales Gemälde, hat so zumindest auf der formalen Ebene durchaus Ähnlichkeiten mit Raoul Ruizs Maler-Porträt Klimt. Diese Ausgangsidee schlägt sich in jeder Einstellung, aber auch in der Auswahl von Kostümen und Ausstattung wieder. In manchen Szenen führt dieses Konzept sogar soweit, dass das Geschwisterpaar so auf einer Couch angeordnet ist, als ob es Porträt sitzen würde. Auf der technischen Seite hat Regisseurin Sinclaire, um die Verstörtheit der Figuren auch visuell auszudrücken, mit „Silence Becomes You“ den ersten unkomprimierten HD-Film gedreht - da der Film unkomprimiert auf den Festplatten gespeichert wird, hat man in der Postproduktion viel mehr Möglichkeiten, Farbkorrekturen und - änderungen vorzunehmen. Der Versuch ist geglückt, selbst die einfachsten und klarsten Bilder haben so noch eine unerklärbare und aufwühlende Komponente. Also die besten Voraussetzungen für David Fincher, der als zweiter Regisseur einen Film mit dieser Technik inszenieren wird.

    Die Geschichte selbst ist relativ simpel, vielmehr ist die Charakterstudie der beiden Schwestern das, was „Silence Becomes You“ so aufregend macht. Weil Sinclaire sich weder den Zwängen von oberflächlicher Logik oder herkömmlichen Dramaturgien unterwirft, hat sie die komplette Freiheit, die komplexen Charaktere der Figuren angemessen darzustellen – und diese Freiheiten versteht Sinclaire auch sinnvoll zu nutzen: Egal, ob durch die kleinen animierten Dinge im Hintergrund oder die großen Gefühlsausbrüche in vorderster Front, alles verschmilzt langsam zu einem stimmigen, aber verworren-surrealen Ganzen, das man als Innenleben der Schwestern interpretieren könnte, wobei die Mehrdeutigkeit auch eine der großen Qualitäten des Films ist.

    Vor zehn Jahren machte ihr verschmitztes, unheimlich süßes Lächeln Alicia Silverstone (Batman und Robin, Abgezockt, Ärger im Gepäck, Scooby Doo 2) als verwöhnte Teenie-Göre in „Clueless“ zum Star. Auch in „Silence Becomes You“ hat sie noch immer dieses Lächeln, aber neben der bloßen Niedlichkeit sind noch andere Facetten hinzugekommen – heute drückt es auch noch etwas Geheimnisvolles und Verletztes aus. Sienna Guillory (Time Machine, Resident Evil: Apocalypse), die demnächst als Arya in dem Fantasy-Epos "Eragon – Das Vermächtnis der Drachenreiter" zu sehen sein wird, ist in ihrer Rolle als eifersüchtige Schwester zunächst schwer einzuschätzen, stellt im Verlauf des Films das Böse aber mit einer beeindruckenden Subtilität dar. Newcomer Joe Anderson, der vorher außer kleineren Fernseharbeiten und einer englisch-indischen Low-Budget-Produktion nur eine Rolle als männliches Modell in Creep innehatte, kann den beiden starken Frauen wenig entgegensetzen. Aber er dient dem Zuschauer ja eh nur als Eintrittskarte in die abgeschirmte Welt der merkwürdigen Schwestern.

    „Silence Becomes You“ ist ein mutiger Film, der auf dem schmalen Grat zwischen Kunst und Prätentiösität wandelt, dabei aber nie ins Beliebige abstürzt, sondern ein durchgängiges – wenn auch schwer zu durchschauendes - visuelles und dramaturgisches Konzept verfolgt. Trotzdem ist nicht nur Stephanie Sinclaires Film, sondern auch der Kinobesuch ein Experiment. Kommt man schnell in die verworrene Filmwelt hinein, wird man mit einem surrealen Bilderrausch und einer schönen, wenn auch recht einfachen Geschichte reichlich entlohnt. Bleibt man aber außen vor, kann man sich auf knapp 90 Minuten schön anzusehende, aber unerbittliche Langeweile einstellen.

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