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    Last Exit Reno
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Last Exit Reno
    Von Björn Becher

    Casinos, rollende Würfel auf dem Spieltisch oder Kugeln im Roulette, Karten, die auf grünes Flies fallen, Automaten, in die ununterbrochen Münzen geworfen werden und die zwischendurch dann einmal auch welche ausspucken, viel verlieren, hin und wieder etwas gewinnen, diese Welt hat das amerikanische Kino schon immer fasziniert. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass es viele Genrebeiträge gibt. Sei es in Martin Scorseses Casino (1995), der den Auf- und Abstieg eines Casinobetreibers schildert, oder in Wayne Kramers The Cooler (2003), in dem der vom Pech verfolgte Spieler im Mittelpunkt steht, immer wieder bekommt der Zuschauer die Bilder dieser Glitzerwelt geboten, in der Freud und Leid so nah beieinander liegen, wie vielleicht nirgends sonst. Auch Paul Thomas Anderson hat diese Welt wohl fasziniert. In „Last Exit Reno“, seinem ersten großen Filmprojekt, das der mittlerweile mehrfach für den Oscar nominierte Drehbuchautor und Regisseur 1996 vollendete, liefert das Paralleluniversum Casino das Setting für die Geschichte.

    Anderson Werk unterscheidet sich von vielen Genrebeiträgen. Man kann es zwar durchaus als Spielerdrama bezeichnen, aber damit wird man dem Film nicht ganz gerecht. „Last Exit Reno“ ist ein Blick auf das Leben, kein typischer Film, der eine Story erzählt. Es gibt zwar etwas, was man als Anfang bezeichnen kann und auch etwas, was durchaus als ein Ende zu erkennen ist, doch beide haben nicht viel mit der typischen Dramaturgie eines Films gemein. Das Werk zeigt nur einen Ausschnitt aus dem Leben - vielleicht sogar einen willkürlich gewählten.

    Am Anfang folgen wir als Zuschauer den Beinen eines alten Mannes. Er heißt Sidney (Philip Baker Hall), ist ein alter Spieler, wohl schon sein ganzes Leben lang. Vor dem Café, auf das er zuschreitet, sitzt ein jüngerer Mann. John (John C. Reilly) hat auch gespielt und alles verloren. 6.000 Dollar wollte er verdienen, um das Begräbnis seiner Mutter zahlen können, keinen Cent hat er nunmehr. Sidney lädt ihn auf einen Kaffee ein und nimmt ihn unter seine Fittiche, gibt ihm 50 Dollar und zeigt ihm die Tricks, mit denen er im Casino mehr daraus macht. Zwei Jahre später sind die beiden ein unzertrennliches Duo. John folgt Sidney überall hin, kleidet sich wie er, verhält sich wie er. Sidney ist sein Vorbild, ist wie sein Vater. Im Spielerparadies Reno, Nevada, treffen die beiden auf Jimmy (Samuel L. Jackson), einen alten Freund von John, den Sidney sofort nicht leiden kann. Jimmy ist für die Sicherheit in einem Casino zuständig. In der Spielerstadt treffen sie auch auf die Kellnerin Clementine (Gwyneth Paltrow), die das nötige Geld zum Überleben mit Sex verdient.

    Das Treffen mit diesen beiden Menschen führt zum Einschnitt in der Beziehung zwischen den beiden. Sidney will der hübschen Clementine helfen, John verliebt sich in sie. Eines Abends ruft er Sidney an, bittet ihn zu einem Motel zu kommen, wo er seine Hilfe braucht. Ein Freier von Clementine wollte weniger als ausgemacht bezahlen, sie hat ihn niedergeschlagen und John um Hilfe gebeten. Nun haben sie den Mann als Geisel genommen und wollen das Geld von seiner Frau erpressen.

    Das sind die Geschehnisse, die sich in „Last Exit Reno“ abspielen, doch diese „Story“ ist nur ein kleiner Teil des Films. Wer nun einen echten Reißer erwartet, wird enttäuscht. Die große Thrillerhochspannung kommt so gut wie nie auf, wie im wirklichen Leben. Anderson zeigt Männer, die rauchen und sich über Banalitäten unterhalten, wie im richtigen Leben. Das ist es, worum es sich dreht. Doch auch damit würde man dem Film nicht gerecht werden. Man würde ignorieren, dass hier mit gerade einmal 26 Jahren eines der größten Regietalente seine Visitenkarte abgegeben hat. „Last Exit Reno“ weist stilistisch alles auf, was Andersons spätere Filme, wie sein wohl größter Erfolg Magnolia, auszeichnen sollte. Langsame Kamerafahrten, die die Personen begleiten, Großaufnahmen der Gesichter, der Rauch der Zigaretten, die sich selbst außerhalb des Bildes befinden, der vor der Kamera hochsteigt. Man hat manchmal den Eindruck einer Übung oder eine Bewerbung von Anderson beizuwohnen, die Produzenten und Studios zeigen soll, was er kann. Ist es aber nicht, denn dafür ist „Last Exit Reno“ ein viel zu rundes Gesamtkunstwerk, perfekt durchkomponiert und von eindrucksvoller Klasse.

    Es handelt sich zudem um einen klassischen Fall von Schauspielerkino. Vor allem Philip Baker Hall (Insider, Dogville, Zodiac) liefert eine grandiose Leistung ab. Die Rolle ist ihm eindeutig auf den Leib geschrieben und der oftmals unterschätzte Schauspieler kann zeigen, was er drauf hat. Mit John C. Reilly (Chicago, Gangs Of New York, Ricky Bobby - König der Rennfahrer) darf ein weiterer zu selten beachteter Darsteller, den Anderson auch in späteren Filmen öfter besetzte, brillieren. Dazu kommen Samuel L. Jackson (Pulp Fiction, Snakes On A Plane, Unbreakable) und Gwyneth Paltrow (Shakespeare In Love, Sieben, Die Royal Tenenbaums), die in vergleichsweise kleinen Rollen überzeugen können. Erwähnenswert ist noch ein kurzer Auftritt von Philip Seymour Hoffman (Capote, Der Krieg des Charlie Wilson, Owning Mahowny, Tödliche Entscheidung), der bis zu There Will Be Blood in jedem Projekt Andersons mitwirkte und den Film mit einer schrägen Darbietung bereichert.

    Bei „Last Exit Reno“ ist es schwer, ein Fazit zu ziehen. Wie inzwischen deutlich wurde, ist dies kein gewöhnlicher Film. Eine Story ist zwar vorhanden, aber nicht Mittelpunkt des Films. Das Ende kommt urplötzlich, ist auf den ersten Blick unbefriedigend, aber doch nur konsequent. Ein Film, auf den man sich einlassen muss, was vielleicht zu Beginn gar nicht so einfach ist. Wenn man sich die dafür nötige Zeit und Konzentration nimmt, bekommt man einen eindrucksvollen Talentbeweis von Regisseur und Schauspielern geboten, der nicht nur für Fans sehenswert ist. Ein Einstand, der wie bei kaum einem anderen Regisseur die zukünftige Karriere voranzeigt, die bei Paul Thomas Anderson immerzu nach oben zu gehen scheint.

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