„Ich würde lieber einen Film über jemanden machen, der seinen Hund ausführt, als über den Kaiser von China." Dieses Jim-Jarmusch-Zitat spiegelt sich in jedem Film der Independent-Ikone wieder, angefangen mit Jarmuschs Filmdebüt „Permanent Vacation", in dem der Regisseur die komplette Lauflänge über nur von einer Person erzählt, bis hin zu dem Meisterwerk „Night on Earth", in dem er Episoden aus Städten von Los Angeles bis Helsinki bebildert. Jarmuschs Tragikomödie „Mystery Train" bleibt diesem Konzept treu und reiht sich nahtlos in seine Filmographie ein.
Memphis, Tennesse: Im Geburtsort des Kings of Rock-'n'-Roll treffen die unterschiedlichsten Menschen zusammen. Die japanischen Touristen Jun (Masatoshi Nagase) und Mitsuko (Youki Kudoh), die Italienerin Luise (Nicoletta Braschi), die ihren verstorbenen Mann in die Heimat überführen will, und die scheinbar unermüdlich redende Dee Dee (Elizabeth Bracco), die sich von ihrem Freund getrennt hat. Zentraler Handlungsort ist das heruntergekommene Hotel „Arcade", in dem alle Schicksale durch einen Pistolenschuss am Morgen zusammengeführt werden...
„Mystery Train" ist aufgeteilt in die Episoden „Far from Yokohoma", „A Ghost" und „Lost in Space". Jim Jarmusch erzählt keine geradlinige Geschichte; er beobachtet Menschen, skizziert deren Kulturen und bestaunt die Zufälle des Lebens und somit letzten Endes das Leben selbst. Jarmuschs Figuren sind keine Stereotypen, sondern voll ausformulierte Figuren, quasi Menschen, wie man sie jeden Tag auf der Straße treffen könnte. Angesiedelt in Amerika lässt Jarmusch nicht nur unterschiedliche Kulturen aufeinandertreffen, sondern vereint diese in einem skurrilen Zeitgeist-Porträt des Landes der unbegrenzten Möglichkeiten. So handelt „Mystery Train" nicht nur von seinen Figuren, sondern ebenso von Elvis, Amerika und einer auseinanderdriftenden Gesellschaft.
Die daraus entstehenden Situationen sind unterhaltsam und teilweise auch ziemlich grotesk. Jarmusch geniert sich nicht, dabei manipulativ vorzugehen und die Geschichten zu beschönigen, aber er zeigt auch eine ehrliche Seite der Menschen und gibt seinen Figuren Motive und Hintergründe, die ihr Handeln stets nachvollziehbar machen. Die Informationen über seine Protagonisten fädelt der Regisseur so geschickt ein, dass ihre Wandlungen jederzeit transparent bleiben. Dazu bedient er sich einer entschleunigten, lockeren Erzählweise, die durch die hervorragende Kameraarbeit des Jarmusch-Weggefährten Robby Müller unterstützt wird. Zwar verzichtet Jarmusch diesmal auf Schwarz-Weiß-Bilder, dennoch behält er auch hier die totalen Aufnahmen als Stilmittel bei.
Masatohsi Nagase („Das Meer kommt") und Youki Kudoh („The Limits of Control") glänzen in der ersten Episode als japanisches Paar und verbuchen die erste Dreiviertelstunde des Films für sich. Nicoletta Braschi („Down by Law") und Elizabeth Bracco („Die Sopranos") harmonieren nicht minder gut als gegensätzliches Paar in der zweiten Episode. Joe Strummer („Vertrag mit meinem Killer"), Mitbegründer der wegweisenden britischen Punkrockband The Clash, beweist schauspielerisches Talent und ist zusammen mit Rick Aviles („Carlito's Way") und Steve Buscemi („Fargo") in der dritten Episode zu sehen. Besonders sticht noch der Auftritt von Jalacy Hawkins heraus, der besser unter dem Namen Screamin' Jay Hawkins bekannt ist. Der Blues-Sänger agiert als Nachtportier im Hotel „Arcade" und amüsiert mit seiner ausdrucksstarken Mimik und Gestik.
Atmosphärisch unterstützt wird „Mystery Train" durch den pointierten Musik-Einsatz. Neben dem titelgebenden Song spielt „Blue Moon" von Elvis Presley eine tragende Rolle und verbindet die drei Episoden miteinander. Dazu kommen weitere Lieder von bekannten Vertretern des Rock-'n'-Roll sowie der Score von Jarmuschs damaligen Stammkomponisten John Lurie, der den Film durch ruhige Töne angemessen zurückhaltend untermalt.
Fazit: Den Sonderpreis für eine künstlerisch hochwertige Leistung hat „Mystery Train" bei den Filmfestspielen in Cannes 1989 zu Recht gewonnen. Selbst wenn Schicksale nicht durch einen Pistolenschuss zusammenlaufen, sind die Bewohner dieser Welt für Jarmusch durch mehr verbunden, als für gewöhnlich offenbar wird. Mit seinen tiefgründigen Figuren führt er aus, das schon derselbe Musikgeschmack oder dasselbe Lied, das Menschen zur selben Zeit hören, verbinden können. Er erzählt in der Tat nicht vom chinesischen Kaiser, sondern von ganz normalen Menschen mit ganz normalen Freuden, Fragen und Sorgen – und unter Jim Jarmuschs Regie erscheint gerade dieses Alltägliche als besonders erzählenswert.