Steven Spielberg hatte das Thema zum Tabu erklärt. Daran hielten sich bisher seine filmschaffenden amerikanischen Landsleute - abgesehen von einigen Dokumentationen, die in der Folgezeit entstanden. Lange hat es gedauert - immerhin gut ein Jahr - bis sich Kreative mit den Terroranschlägen des 11. Septembers 2001 in New York und Washington auseinandergesetzt haben. Der französische Produzent Alain Brigand durchbrach jetzt den Bann und verwirklichte sein hochinteressantes Kurzfilmprojekt „11’09’’01 – September 11“, das sich mit den Folgen des El-Kaida-Angriffs befasst - nicht immer gelungen, aber oft sehenswert.
Die Grundidee von „11’09’’01 – September 11“: Brigand bat elf international anerkannte Regisseure, jeweils einen Kurzfilm in der Länge von 11 Minuten, 9 Sekunden und einem Bild beizusteuern. Form und Ausdruck waren völlig frei wählbar, nur das Thema „11. September“ war vorgegeben. Unabhängig voneinander gingen die Filmemacher ans Werk. So spannend das Projekt auch ist, hat es doch einen gewaltigen Nachteil. Dass ein homogenes Werk entstehen kann, ist sowieso ausgeschlossen, aber das hat auch niemand erwartet. Allerdings ist die Qualität der einzelnen Beiträge extrem schwankend. Fünf Filme sind gut bis sehenswert, während die restlichen sechs wenig, bzw. teilweise gar nicht überzeugen können oder sich in Belanglosigkeit verlieren.
Gleich zu Beginn trifft die junge iranische Regisseurin Samira Makhmalbaf ("Schwarze Tafeln") in ihrem Beitrag den richtigen Ton. Eine Lehrerin versucht in einem afghanischen Flüchtlingscamp irgendwo in der iranischen Wüste, ihren Schülern die Bedeutung und Dimension des Terroranschlags klarzumachen. Allerdings fehlen den Kindern die Maßstäbe, etwas so Unfassbares realisieren zu können. Und doch gelingt es der engagierten Frau, den Kleinen eine Ahnung von der Katastrophe zu vermitteln. Typisch französisch geprägt ist der Film von Claude Lelouch ("Männer und Frauen"), der von einer kriselnden Beziehung zwischen einer taubstummen Fotografin und eines Fremdenführers für Gehörlose in New York erzählt. Die den Protagonisten auferlegte Stummheit wirkt sich auf den Betrachter eher quälend als mitfühlend aus. Zudem ist das Ende plakativ aufgesetzt, sodass der Beitrag nicht viel Eindruck hinterlässt. Der Ägypter Youssef Chahine ("L'Autre - Der Andere") enttäuscht ebenfalls. Sein traumdeuterischer Versuch, einen Kontext zu früheren Angriffen der Großmacht USA herzustellen, scheitert an der wirren Umsetzung. Belanglos ist auch der Kurzfilm des Oscar-Preisträgers Danis Tanovich ("No Man's Land") aus Bosnien-Herzegowina. Aus spontaner Anteilnahme an dem World-Trade-Attentat entwickelt sich ein routinemäßiger Protestmarsch bosnischer Frauen für die Opfer von Srebrenica zum Gedenktrott für die Toten des Anschlags.
Der einzige, der sich dem Thema mit einer gewissen Portion Humor nähert, ist Idrissa Quedrago ("Afrique, mon Afrique") aus Burkina Faso. Eine Gruppe von Schulkindern macht in ihrem Heimatdorf den Terrorführer Bin Laden aus. Und da die US-Regierung 25 Millionen Dollar für Hinweise ausgesetzt hat, wollen die Jungen Beweise sammeln, um mit dem Geld der kranken Mutter eines Schülers zu helfen. Das ist zwar naiv gedacht, aber durchaus amüsant und gelungen. Der renommierte britische Sozialfilmer Ken Loach ("Raining Stones") reißt den Zuschauer mit seinem kraftvollen Beitrag endgültig aus der vorübergehenden Lethargie. Er bringt das Attentat mit dem CIA-unterstützten Militärputsch des demokratisch gewählten chilenischen Präsidenten Allende am 11. September 1973 in Verbindung und lässt einen Zeitzeugen von den Gräueltaten berichten. Bilder des Bombenhagels auf die Hauptstadt Santiago de Chile kombiniert Loach mutig mit hohlen Phrasen George W. Bushs. Das ist bewegend, aufrüttelnd und kritisch zugleich. Der Mexikaner Alejandro Gonzales Inarritu ("Amores Perros") irritiert den Betrachter zunächst durch eine leere, schwarze Kinoleinwand und undefinierbare Geräusche. Nach quälenden ein, zwei Minuten mischen sich in das Wirrwarr letzte Botschaften der Eingeschlossenen in den oberen Stockwerken des WTC, dazwischen schneidet der Regisseur einzelne Bilder von Menschen, die aus lauter Panik und Verzweifelung aus den Zwillingstürmen springen. Ein schockierendes Hörspiel.
Der Israeli Amos Gitai ("Tag für Tag") versucht sich in einer tumben Medienkritik, die eine egomanische Reporterin zeigt, die sich vergeblich bemüht, mit ihrer Reportage von einem Selbstmordattentat in Tel Aviv auf Sendung zu kommen. Da zeitgleich die Katastrophe aus New York on air ist, werden ihre Bilder ignoriert. Der ganze Film ist eine einzige hektische, nervige Einstellung und in seiner Aussage zu platt. Letzteres trifft auch auf Mira Nairs Kurzfilm zu. Eine New Yorker Muslimin kämpft um das Ansehen ihres vermissten Sohnes, der zunächst verdächtigt wird, am Attentat beteiligt gewesen zu sein. Am Ende hat er scheinbar jemanden retten wollen und erhält ein Heldenbegräbnis. Die Inderin Nair ("Monsoon Wedding") bleibt viel zu plakativ, um überzeugen zu können.
Der amerikanische Querkopf Sean Penn ("Das Versprechen") zeigt ein stilles, gefühlvolles Porträt eines vereinsamten alten Mannes (Ernest Borgnine), der in seiner New Yorker Wohnung nahe des World Trade Centers quasi es ohne zu ahnen, von dem Einsturz der Türme profitiert und neue Hoffnung gewinnt. Das ist so mitfühlend-berührend wie unpatriotisch. Unerfreulicherweise beschert der Japaner Shohei Imarua ("Der Aal") dem Filmprojekt mit seinem Beitrag einen unwürdigen Abschluss, denn seine Vision ist der mit Abstand schlechteste Kurzfilm. Zudem nutzt er als Aufhänger für eine Verbindung zum 11. September nur die Tatsache, dass die USA durch ihre Atombombenabwürfe in Nagasaki und Hiroshima viel Leid verursachten. Das wäre noch zu verschmerzen, auch, wenn alle anderen Versionen konkreter werden, aber seine Parabel eines Mannes, der aus lauter Kummer und Zorn zu einer bösartigen, rattenfressenden Schlange mutiert und von seiner Verwandtschaft verstoßen wird, ist einfach am Thema vorbei und geht dem Betrachter gewaltig auf die Nerven.
So gelingt das gewollt heterogene Collage-Experiment „11’09’’01 – September 11“ zwar nicht vollends, jedoch entschädigen die fünf guten Shorties für die sechs weniger gelungenen Versuche, Leid und Folgen spürbar zu machen. Und eine erfreuliche Tatsache haben alle Beiträge gemein. Sie sind sympathisch unpatriotisch, aber nicht amerikafeindlich.