Wetten, dass ihr von diesem Film überrascht sein werdet? Für die einen ist Wetten tabu, für die anderen eine Leidenschaft. Die „Top oder Flop“-Frage ist für Sophie und Julien sogar ein wesentlicher Teil ihres Lebens. Sie ist Bereicherung und Thrill - oft aufregender als ein Bungeesprung. Mit seinem Regiedebüt legt Yann Samuell einen Film vor, der stets zwischen Drama und Komödie, zwischen Liebe und Romantik wechselt. Der Franzose zeigt mit teilweise großen Zeitsprüngen die Geschichte der Freundschaft der beiden Hauptfiguren und beweist mit ungewöhnlichen Filmtechniken und auch mutigen Erzählweisen, dass von ihm vielleicht noch großes zu erwarten ist.
„Dreckspolakin, Dreckspolakin“, schreien die Kinder aus dem Schulbus. Alle starren und rufen in eine Richtung - in Richtung Sophie Kowalski, die gerade ihre von den gleichen Übeltätern in eine Pfütze geworfene Schulsachen aufhebt. Nur zwei helfen ihr: Der Busfahrer und ein kleiner Junge, der Mitleid mit ihr hat. Sophie bietet dem Gleichaltrigen eine Wette an und drückt ihm dabei eine rote Spieldose in die Hand. Er soll die Bremse des Busses lösen. So fängt alles an. Julien - so heißt der hilfsbereite Junge - und Sophie beginnen ihr waghalsiges Wettspiel, bei dem bei gleichzeitiger Audienz mit dem Schuldirektor einer der beiden schon mal einfach auf den Boden pinkelt. Die Konsequenzen ihrer autoritären Eltern sind ihnen egal, da sie meist beide das gleiche Schicksal erleiden müssen - wenn auch innerhalb völlig unterschiedlicher sozialer Schichten. Ihr „Top oder Flop“-Spiel werden die beiden allerdings nicht nur als Kinder spielen, sondern ihr ganzes Leben lang.
Nach der Vorgeschichte aus der Kindheit springt der Film in die Gegenwart und zeigt Julien und Sophie als Jugendliche, immer noch ihr Spiel spielend und die rote Spieldose von damals immer noch hin- und herreichend. Hat sie der eine, darf er vom anderen verlangen, was er will und reicht sie anschließend weiter und das Spiel geht von vorne los. Verrückte Situationen entstehen, bei denen oft eine Komik entsteht, die weit über dem Niveau einer Slapstick-Komödie steht. Es macht Spaß, sich dieses aufregende Leben der beiden anzuschauen und manch einer wird sich wünschen, die „Top oder Flop“-Frage hätte sein Leben ebenso bereichert. Zwischendurch findet Regisseur Yann Samuell, der auch Autor des Drehbuchs ist, immer wieder Zeit für abgefahrene, etwas comic- oder phantasyartige Einschübe, die anfangs zwar ein großes "Stilbruch?" hervorrufen, sich jedoch schnell als äußerst kreativ und geschickt eingesetzt erweisen. Sie geben dem Film auch eine ganz eigene Note, wie sie nur wenige Film haben.
Regietechnisch ist der Film gerade für ein Debüt auf hohem Niveau. Dass es sich um ein Erstlingswerk handelt, fällt überhaupt nicht auf - höchstens durch den enormen Mut beim Wechsel der Erzählperspektive oder abgedrehten Einschnitten, durch die „Liebe mich, wenn du dich traust“ sehr modern wirkt. Ein wenig erinnern diese Einschübe an Guy Ritchie („Snatch“ , „Bube, Dame, König, Gras“). Die Soundeffekte und der Hintergrundscore sind optimal aufeinander eingestellt und werden im richtigen Moment aus- bzw. eingeblendet. Der Score begleitet die Szenen genau abgestimmt auf ihre Dramaturgie, wirkt dennoch an keiner Stelle überzogen oder zu aufdringlich. Die Kameraperspektiven bieten diverse interessante Einstellungen, ihr Hauptaugenmerk liegt jedoch eindeutig auf den Hauptcharakteren.
Sophie (Marion Cotillard) und Julien (Guillaume Canet) und ihre Freundschaft, die sich immer mehr in Richtung Liebe entwickelt, bilden den Mittelpunkt des Films. Marion Cotillard („Big Fish“) zeigt große Schauspielkunst, die sich keineswegs darauf beschränkt, gut auszusehen. Sie zeigt eine erstaunliche Mimik, auf die viele ihrer wesentlich bekannteren Hollywoodkolleginnen stolz sein müssten. Für den Filmcharakter Sophie ist sie die Idealbesetzung, kaum jemand hätte eine bessere Vorstellung abliefern können, erst recht nicht in der ersten großen Hauptrolle. Ihr Filmfreund Guillaume Canet liefert eine Leistung ab, die ihrer in kaum etwas nachsteht. Seine wohl großartigste Szene kommt im letzten Drittel des Films und fordert dem Zuschauer Humor mit einer ordentlichen Prise Zynik ab. Generell ist er nicht ganz so außergewöhnlich wie Marion Cotillard - er sieht aus wie ein erwachsenerer Jason Biggs ("American Pie 1+2+3") -, was seine Beurteilung allerdings nicht schmälern sollte. Mankos in den Leistungen der beiden sind auch mit der Lupe nur äußerst schwer zu finden. Die Kinderdarsteller Thibault Verhaeghe und Joséphine Lebas-Joly liefern ebenfalls eine schöne Performance ab, sie spielen die beiden Hauptfiguren im Alter von acht Jahren.
Die Geschichte des Films erstreckt sich über mehrere Jahrzehnte und sucht einige Anleihen bei der Schicksalhaftigkeit antiker Sagen. So sind Sophie und Julien in ihrem Schicksal letztlich gefangen und können diesem nicht entfliehen - was das letztlich bedeutet, soll hier noch nicht aufgedeckt werden. Verraten lässt sich aber, dass der Film ein spektakuläres Ende bietet, das die Zuschauerriegen vielleicht spalten wird. Bei Filmen dieser Art kann ein Ende viel zerstören, dieser Schluss verstört wohl den ein oder anderen, ist aber gleichzeitig beeindruckend und konsequent. Außerdem bietet es noch ein kleines philosophisch angehautes Schmankerl. Zahlreiche Wendungen lassen „Liebe mich, wenn du dich traust“ nie langweilig werden - sie sind stets überraschend, da dem Zuschauer sozusagen vorraussichtliche Wendungen vorgegaukelt werden, die sich dann als völlig falsch herausstellen, sie beweisen, dass es doch noch überraschend zugehen kann im Gewühl der romantischen Komödien. So entsteht ein französischer Film, der erneut zeigt, welch innovative Filmkunst in unserem Nachbarland praktiziert wird.