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    Anatevka
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    Sebastian Schlicht7
    Sebastian Schlicht7

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    4,0
    Veröffentlicht am 26. Juni 2024
    (Leider) sehr aktuell und dennoch wunderbar lebensbejahend!

    Kaum ein Musical ist so bekannt wie „Anatevka“ (im Original „Fiddler on the Roof“). Alles begann mit einem Buch von Scholm Alejchem, welches 1964 in ein großes Musical umgeformt wurde. Und dann, nur sieben Jahre später, wurde das Ganze als großer Film in die Kinos gebracht, zu einer Zeit, in der Hollywood im Wandel war und Musicals immer mehr an Aufmerksamkeit verloren. Doch dieses bestand den Test und war eines von wenigen auserwählten Werken, welches sich durchsetzen und bestehen konnte (wie auch etwa das tolle „Cabaret“ von 1972). Die Verfilmung übernahm Norman Jewison, während der damals noch junge John Williams am Anfang seiner Karriere stand. Doch der Film war ein Hit: Er spielte 83 Millionen Dollar weltweit ein, war sowohl bei Kritikern als auch Publikum ein Erfolg und gewann drei Oscars. Eine Trophäe ging an die Kamera, die zweite an den Ton und die dritte ging an John Williams. Ja, dies war sein aller erster Oscar und der erste Schritt in eine große, legendäre Karriere. Doch wie gut ist der Film aus heutiger Sicht? Ich persönlich hatte „Anatevka“ vor vielen Jahren im Theater gesehen… und zwar schlecht. Danach verlor ich das Interesse an dem Werk, doch ich wollte dem Film eine Chance geben. Und siehe da, „Anatevka“ ist auch noch nach über 50 Jahren (!) ein tolles und stellenweise bedeutendes Werk, vielleicht in der heutigen Zeit wichtiger denn je…

    Die Geschichte spielt 1905, in dem fiktiven Dörfchen Anatevka in der Ukraine (auch deswegen ist der Film erschreckend aktuell): Die jüdische Gemeinde lebt in ärmlichen, aber glücklichen Verhältnissen. Einer von ihnen ist der fünffache Vater Tevye. Er möchte seine ältesten drei Töchter an gute Männer verheiraten, doch die Kinder haben nicht dieselben Kerle im Blick wie er. Für Tevye ist es eine Achterbahnfahrt der Gefühle, denn immer wieder überrascht ihn eines seiner Kinder mit neuen Ideen. Es ist nicht die hochgelobte Tradition, aber Tevye versucht sein Bestes sich den Änderungen zu fügen. Doch währenddessen werden das Dorf und seine Bewohner von andersdenkenden Menschen bedroht…

    Es ist beachtlich und erfrischend, wie witzig und optimistisch „Anatevka“ in seiner Aussage ist, trotz der düsteren Thematik. Gerade das Ende hat mich sehr an „Cabaret“ erinnert und ist wie gesagt aus heutiger Sicht beunruhigend aktuell. Dennoch versprüht der Film eine positive Atmosphäre. Das größte Problem scheint für uns lange die Hochzeiten und Liebeleien der Töchter von Tevye zu sein, doch dann werden die Ereignisse ernster und gefährlicher. Dabei ist der Vater Tevye (und auch seine Gemeinde) gerade dabei einige starre Prinzipien der „Tradition“ über Bord zu werfen. Neue Ideen, gerade aus einer kommunistischen Richtung kommend, geben Anreiz zu ungeahnten Möglichkeiten. Eine wirklich tolle und wichtige Botschaft, die auch heute noch Kraft hat!

    Das Ganze wird wirklich eindrucksvoll und bildgewaltig inszeniert. Dabei spielt der Film auch mit abstrakteren Mittlen, was ich feiere. Besonders der Titel gebende Fidel-Spieler, der wie eine Traumfigur agiert, gibt dem Ganzen etwas Wunderschönes!

    Schauspielerisch sind hier alle wirklich toll, allen voran natürlich Chaim Topol, der hier die Show stiehlt und als Tevye begeistert! Er ist nicht nur charmant und witzig, man kann ihn verstehen und fühlt mit ihm mit. Topol erhielt hierfür auch eine verdiente Oscar-Nominierung.

    Auch technisch brilliert der Film mit starken Bildern (Kamera: Oswald Morris) und beeindruckenden Sets und Tänzen. Und dann ist da natürlich die Musik: Geschrieben wurde das Ganze von Jerry Bock in den 60ern, John Williams adaptierte die Komposition dann für den Film. Da ich die Original-Aufnahmen nicht kenne, kann ich das Ganze nicht vergleichen, aber ich bewerte die Musik im Film und die ist stark! Williams arbeitete hier übrigens auch mit Itzhak Perlman zusammen, der 1993 mit Williams den nächsten Oscar einheimste für „Schindlers Liste“.

    Kommen wir zu den Songs: Einige Klassiker sind natürlich darunter und klingen toll, wie die eigentlich alle Lieder. Mich haben einige Songs jedoch manchmal gestört in den emotionaleren Szenen. Es ist halt ein Musical, aber ehrlich gesagt hätte ich diese Geschichte sogar ohne Songs besser gefunden. Dabei singen alle Darsteller richtig gut. Es ist kein aufgesetzter Musical-Gesang, der zeigt wie toll der oder die gerade singen kann, sondern teils brüchige, ehrliche und gefühlvolle Lieder der Figuren.

    Der Film ist mit seinen drei Stunden für mich persönlich etwas zu lang, auch wenn die Geschichte eine verdiente Epik hat und die auch eine gewisse Zeit braucht. Ab und zu sind manche Szenen aber etwas zu viel des Guten, besonders die absurde, durchgeknallte „Traum“-Sequenz von Tevye, mit der er seine Frau beschwindeln kann.

    Fazit: Doch am Ende des Tages ist „Anatevka“ ein bedeutender und starker Film. Für mich hätte diese Geschichte auch ohne Songs funktioniert, aber sei´s drum. Williams bietet uns eine großartige Filmmusik mit einigen Ohrwürmern. Ein erschreckend aktueller Film, der trotz seiner düsteren Thematik viel Lebensfreude und Optimismus versprüht!
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