Mittlerweile ist der japanische Anime-Regisseur Hayao Miyazaki auch im Westen als absoluter Könner seines Faches anerkannt. Seine letzten drei Meisterwerke – Prinzessin Mononoke, Chihiros Reise ins Zauberland und zuletzt Das wandelnde Schloss – konnten dabei mit sich stetig steigernden Besucherzahlen sogar kleinere finanzielle Erfolge an den deutschen Kinokassen feiern. Da Miyazaki aber nur alle drei bis vier Jahre einen neuen abendfüllenden Anime herausbringt, der deutsche Markt aber noch lange nicht gesättigt scheint und kein anderer Filmemacher eine ähnliche Stellung wie Miyazaki einnehmen könnte, müssen die Verleiher wohl neue Wege gehen.
Den ersten Versuch wagt nun „Universum Film“ – der Verleih hat den Anime-Klassiker „Das Schloss im Himmel“ aus dem Jahre 1986 ausgegraben, ihm endlich eine (äußerst gut gelungene!) deutsche Synchro verpasst und bringt ihn mit 20 Jahren Verspätung nun doch noch in unsere Kinos. Möge ihnen damit ein großer Erfolg beschieden sein, denn außer „Das Schloss im Himmel“ - dem ersten Film, den Miyazaki mit seiner legendären Anime-Schmiede Studio Ghibli produziert hat - warten noch weitere Meisterwerke auf ihre Entdeckung nicht nur durch Genre-Fans, sondern auch durch das immer interessiertere Mainstream-Publikum. Und auch wenn die heutige Kinofilm-Landschaft gar nicht so schlecht ist, wie sie von einigen dauernd gemacht wird, freut man sich über die Ausgrabung solch verborgener Schätze wie „Das Schloss im Himmel“ natürlich trotzdem.
Der Waisenjunge Pazu arbeitet im Bergwerk des Dorfes. Eines Abends, als er noch ein letztes Mal nach den Maschinen sehen will, schwebt ein Mädchen vom Himmel herab. Das Mädchen heißt Sheeta und ist auf der Flucht vor Piraten und Geheimagenten der Armee aus einem Luftschiff gesprungen - nur Dank des blauen Steins, den sie an einer Kette um den Hals trägt, scheint der Fall glimpflich abgelaufen zu sein. Pazu und Sheeta bleibt nicht viel Zeit, ihre Verfolger sind ihnen dicht auf den Versen. Erst nach und nach erfahren sie die Hintergründe, die den Regierungsbeamten Musca und die Piraten-Mutter Dora so sehr um den Stein kämpfen lassen: Das unbedarfte Waisenmädchen Sheeta ist in Wahrheit die rechtmäßige Thronfolgerin der legendären fliegenden Insel Laputa, die große Reichtümer und unendliche Macht zugleich verspricht, und nur der magische Stein kann den Weg dorthin weisen…
Die ausschweifende Abenteuergeschichte von „Das Schloss im Himmel“ basiert auf einem von Miyazaki selbst verfassten Manga, der wiederum von Jonathan Swifts Klassiker-Erzählung „Gullivers Reisen“ inspiriert wurde, in der eine seiner Reisen Gulliver auch auf eine fliegende Insel führt. Dabei ist die filmische Umsetzung unheimlich spannende, angenehm humor- und phantasievolle Familienunterhaltung, wie man sie sich besser eigentlich gar nicht mehr vorstellen kann. Gerade weil Miyazaki gleichzeitig die verrückt-genialen Phantasieschübe eines Kleinkindes und die Lebensklugheit eines alten weisen Mannes in sich zu vereinen scheint, gibt es für jedes Alter und jeden Geschmack etwas in seiner unendlich vielschichtigen, detailreichen und absurd-genialen Welt zu entdecken.
Dass dabei auch ernstere Themen wie zum Beispiel Krieg angesprochen und durchaus anspruchsvoll behandelt werden, macht den Film zwar für ältere Kinder und Erwachsene noch interessanter und ergiebiger, sollte aber auch das ganz junge Publikum nicht abschrecken. Im Gegensatz zu solchen gewaltverherrlichenden Anime-Gurken wie „Yu-Gi-Oh! Der Film“ bricht Miyazaki seine Gewalt- und Kriegssequenzen nämlich stets ironisch. So rufen die harten Piraten dauernd nach ihrer Mama, sind in Wahrheit eigentlich sogar recht nette Kerle und eine kurze Schlägerei zu Beginn des Films, in der die Kontrahenten als aufgeblasene Angeber entlarvt werden, gehört mit Sicherheit zu den lustigsten Prügeleien der Filmgeschichte. So kann sich das kleine Publikum auf die humorvollen Anteile beschränken, während sich für die Größeren ungeheuer komplexe und sehr kritische Hintergründe und Deutungsmöglichkeiten auftun.
Miyazakis Lieblingsthemen ziehen sich wie ein roter Faden durch sein Werk und viele Ansätze aus „Das Schloss im Himmel“ hat er auch in seine späteren Filme übernommen und dort weitergeführt. So findet der scheinbare Widerspruch von Natur und Technik, der in Prinzessin Mononoke als Auslöser für erbitterte Schlachten herhalten musste, schon auf der Insel Laputa seine Anfänge – hier kümmern sich mittlerweile vergessene Kampfroboter aufs Fürsorglichste um die Natur, leben in perfekter Symbiose mit Tieren und Pflanzen. Auch andere später fortgesetzte Themenkomplexe deuten sich in „Das Schloss im Himmel“ bereits an, so kann man Krieg, Wissenschaft und die unterschiedlichen Vorstellungen der Menschen vom Paradies schon hier finden, wobei Miyazaki vor zwanzig Jahren noch ein Tick näher an der Realität verhaftet war, als es heute der Fall ist.
Vom Zeichenstil her gibt es zwischen „Das Schloss im Himmel“ und neueren Miyazaki-Animes kaum einen Unterschied, vielleicht ist der Detailreichtum noch nicht ganz so stark ausgeprägt, das ist aber bei zwanzig Jahren Technik-Vorsprung und mittlerweile viel höheren Budgets nicht der Rede wert. In der ersten Hälfte überzeugt der Film visuell mit liebevoll ausgearbeiteten Bilderlandschaften, bei denen vor allem die kleinen ironischen Einfälle im Hintergrund den typischen Miyazaki-Charme ausmachen. Hauptthema sind dabei vor allem die zahlreichen, phantasievoll konstruierten Fluggeräte, die von ihrer Grundidee an alte Pläne von Leonardo da Vinci erinnern. Nachdem Pazu und Sheeta auf Laputa gelandet sind, erhöht sich das Tempo noch weiter und eine atemberaubend-spektakuläre Sequenz jagt die nächste. So ist „Das Schloss im Himmel“ ein neues (altes) Meisterwerk vom genialen Anime-Regisseur Miyazaki und vielleicht sogar sein stärkster Film überhaupt.