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    Poseidon Inferno
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Poseidon Inferno
    Von Carsten Baumgardt

    Die 70er Jahre waren die Hochzeit des Katastrophenfilms, es entwickelte sich gar ein eigenständiges Subgenre. Einer der prominentesten und erfolgreichsten Vertreter seiner Zunft ist Ronald Neames „Poseidon Inferno“, dessen Neuzeit-Remake Poseidon Wolfgang Petersen bei mittelprächtigen Kritiken gerade spektakulär an der US-Kinokasse abgesoffen ist. Das gradlinige, packende Original musste sich um solche Probleme nicht scheren und avancierte zum Blockbuster. Ironischerweise wurde dies dem deutschen Mainstream-Vorzeige-Regisseur in Hollywood (neben Roland Emmerich) jetzt zum Verhängnis. Ohne den riesigen Erfolg von „Poseidon Inferno“ (auch bekannt unter „Die Höllenfahrt der Poseidon“) hätte es kein Remake gegeben...

    Der Luxusliner Poseidon geht für seine letzte Reise von New York auf den Weg nach Athen, wo das Schiff verschrottet werden soll. Doch am Silvesterabend wollen die Passagiere noch einmal richtig die Korken knallen lassen. Captain Harrison (Leslie Nielsen) wird von der Reederei gezwungen, das Kreuzfahrtschiff auf Volldampf zu trimmen, damit der Zeitplan eingehalten werden kann. Kurz nach Mitternacht geschieht unvermittelt das Unglück: Eine monströse, durch ein Seebeben ausgelöste Flutwelle bringt die Poseidon zum Kentern, das Boot treibt plötzlich Kiel oben in der tosenden See. Der engagierte Reverend Frank Scott (Gene Hackman) will mit dem Mut der Verzweiflung eine kleine Gruppe Williger, die ihm folgen mögen, an die Oberfläche führen. Die Rettungsaktion gestaltet sich als lebensgefährliche Mission, die Opfer fordert. Der kompromisslose Scott gerät immer wieder mit dem Polizisten Mike Rogo (Ernest Borgnine) aneinander. Doch beide müssen zusammenarbeiten, um die Schwachen in der Gruppe zu leiten...

    Zwei Oscars sackte „Poseidon Inferno“ 1973 ein: Der für den besten Song (ironisch: Al Kasha und Joel Hirschhorns „The Morning After“, den die meisten Passagieren nie überleben werden) ist ein nettes Beiwerk, aber der Spezialeffekt-Award fast schon ein Standard für einen knalligen Katastrophenreißer. Interessant wird es aber bei einem Blick auf die weiteren Nominierungen: Nebendarstellerin (Shelley Winters), Ausstattung, Kamera, Kostüme, Schnitt, Score und Ton sprechen eine deutliche Sprache, was den Actioner auszeichnet. Regisseur Ronald Neame („Meteor“) zeigt ein feines Näschen für den Rhythmus eines Katastrophenfilms. Besonders elegant ist seine Exposition. Nach einer straffen halben Stunde ist der Unglücksfall, zu dessen Anlass sich einst die Menschen im Kino zahlreich versammelt hatten, eingetreten und mit kurzen aber prägnanten Charakterisierungen ist das darbende Personal eingeführt. Die hochspannende Achterbahnfahrt durch den zerfallenden Schiffsrumpf kann beginnen.

    „Poseidon Inferno“, nach dem Roman „Der Untergang der Poseidon“ („The Poseidon Adventure“) von Paul Gallico aus dem Jahre 1969, zieht das Unterhaltungspotenzial von zwei verschiedenen Ebenen. Die hochgefährliche Hatz durch den Stallkoloss ist abwechslungsreich und nervenzerrend inszeniert und dankenswerterweise nimmt sich Neame auch zwischendrin die Zeit, seine Charaktere mit ganz einfachen, aber effizienten Mitteln zu vertiefen. Anrührende Momente wechseln sich mit schlichter Pragmatik von Dialogen ab. Dabei widersteht der Film aber einem Gegenwartsübel des modernen Eventfilms: Das Action-Drama giert nicht immer nach dem nächsten Spezialeffekt, führt seine Figuren nicht bedeutungsleer dorthin, nur um sie effektvoll zu verheizen. Der menschliche Faktor der Charaktere ist immer noch mehr wert als der Stunt und die Action ist nur die Konsequenz der Handlungen.

    Auch wenn Shelley Winters mit einer Oscarnominierung bedacht wurde, ist es der Kampf der Sturköpfe Gene Hackman (French Connection) und Ernest Borgnine (The Wild Bunch, Gattaca), der das emotionale Potenzial des Stoffes voll zur Entfaltung bringt. Hackman gibt seinen Reverend Scott als manischen Anführer vor dem (und für den) Herrn, der keine Schwäche duldet, während Borgnine als zweite Führernatur mehr das eigene Wohl und das seiner Frau Linda (Stella Stevens) im Sinn hat, aber gezwungen wird, Verantwortung zu übernehmen und Vertrauen zu entwickeln.

    Optisch ist „Poseidon Inferno“ abgesehen von ein bisschen 70er-Jahre-Staub, den der Film angesetzt hat, äußerst reizvoll. Die Rettungsmission findet schließlich auf dem Schiffskopf stehend statt, was Kameramann Harold E. Stine zu einigen ungewöhnlichen Perspektiven im schwimmenden Sarg nutzt und spektakuläre Schauwerte bietet. Neames Werk schwimmt auf der Welle der Katastrophenfilme weit oben. Zum großen Meisterwerk fehlt es trotz guter Ansätze an zusätzlicher Tiefe, aber der Unterhaltungs- und Spannungswert der Poseidon ist immens hoch. Über die Jahre hat sich „Poseidon Inferno“ einen guten Ruf erarbeitet, der Wolfgang Petersens (Das Boot, Troja) modernisiertem Untergangsszenario wohl verwehrt bleiben wird. Von den traumhaften Einspielzahlen, die damaligen 93,5 Millionen Dollar US-Einspiel entsprechen inflationsbereinigt (und unter Berücksichtigung heutiger Ticketpreise) aktuell 350 Millionen Dollar, kann die Neuzeit-Poseidon gleichfalls nur träumen...

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