„Dirty Harry“ ist heute der Archetyp des Einzelgänger-Cops, der Vorläufer von Stirb langsam-John McClane und Konsorten, und sein erster Auftritt einer der einflussreichsten und wichtigsten Cop-Filme überhaupt. Doch schon zu seiner Veröffentlichung 1971 war Don Siegels Film, mit dem er aus seinem Freund und Schüler, dem Westernheld Clint Eastwood endgültig einen ganz großen Star machte, heftig umstritten. Vor allem die Filmkritikerin Pauline Kael, die wohl zu den größten Namen überhaupt in der Geschichte dieses Metiers gehört, ließ kein gutes Haar an dem ihrer Meinung nach faschistischen Machwerk und steigerte sich dabei soweit, dass sie von nun alles von Siegel und Eastwood verdammte. Sicherlich ist der erste von insgesamt fünf „Dirty Harry“-Filmen ein wenig zwiespältig und hat durchaus einige fragwürdige Momente. Doch dem noch immer unterschätzen Siegel ist ein wegweisendes, über weite Strecken brillant inszeniertes Genrewerk gelungen, das mit Spannung und Coolness besticht, auch wenn es sich deutlich von dem Stil heutiger Actionfilme unterscheidet.
Mit seinen Kritikern kann man den Inhalt von „Dirty Harry“ auf den Satz verkürzt wiedergeben: Ein Killer jagt ein noch schlimmeres Monster. Für die Position des Mörders steht in diesem Satz der Gute, Detective Harry Callahan (Clint Eastwood), ein Jäger mit einer großen .44er Magnum, der in den Straßen von San Francisco für Recht und Ordnung sorgt. Sein Gegenspieler ist der Scorpio-Killer (Andrew Robinson), der von Scharfschützenpositionen aus Leute umbringt und damit die Stadtoberen erpresst. Callahan soll ihn schnappen, doch das ist erst der Anfang eines unerbittlichen Duells.
Um die Kritik an „Dirty Harry“ nachvollziehen zu können, muss man auch ein wenig die Zeit berücksichtigen, in welcher der Film entstand. Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre wurden die Bürgerrechte gegenüber der Polizei in den USA immer weiter gestärkt. Aufsehen erregende Urteile, wie allen voran der legendäre und in den US-Rechtssprachgebrauch aufgenommene Miranda-Prozess, spalteten die Lager in den Staaten. Liberale feierten die Stärkung der Rechte, während die Konservativen Sturm liefen. Und in genau jene heiße Phase kommt ein Film, in dem ein Cop, der die Bürger schützen will, es mit einem Verbrecher zu tun bekommt, der sich nicht nur hinter den Bürgerrechten versteckt, sondern diese sogar noch für seine eigenen Zwecke instrumentalisiert. Der Polizist wird dadurch so demoralisiert, dass er schlussendlich endgültig zum zynischen Bastard mutiert, seinen Gegenüber sogar in einer Sportarena quasi foltert und man nicht mehr unterscheiden kann, wer hier der Brutalere ist.
Dass die Kritik aufkam, liegt sicher auch am Mitwirken von John Milius („Conan – Der Barbar“), der die Figur des „Dirty Harry“ mit erfand und wie Terrence Malick (Badlands, The New World) am Drehbuch mitarbeite, ohne aber bei den Credits genannt zu werden. Milius entwickelte sich zur Hassfigur vieler Liberaler in Hollywood und gilt als Inbegriff des reaktionären Rechtsaußens. Doch dass die Figur gar nicht ausschließlich diese konservative Aussage mit sich trägt, zeigt nicht nur das erste Sequel, bei dem Milius das Drehbuch schrieb, sondern auch schon Siegels Inszenierung des Originalfilms.
Siegel distanziert sich mehrfach von seiner Figur. Dies geschieht schon optisch durch oftmals weit entfernte Kameraeinstellungen, die eher das Stadtbild denn den Antihelden zu beachten scheinen. Auch inhaltlich wendet er sich mehrfach von der Figur des harten Cops ab. Gerade bei der angesprochenen Szene im Footballstadion glorifiziert die Kamera das Handeln von Callahan nicht, sondern verabscheut es eher. Mit seinem Partner Chico (Reni Santoni) bekommt er einen Cop an die Seite, der das Liberale verkörpert, und mit der Zeit sein Wohlgefallen erntet. Der schafft es zwar schlussendlich nicht, mit dem Übel der Unterwelt aufzuräumen, gibt dem zynischen Gesetzeshüter aber eine menschliche Seite, die weiter in der vielleicht besten Szene des ganzen Films unterstrichen wird: Callahan erzählt kurz vom Tod seiner Frau, intensiver als jede Actionszene. Dass Siegel seinen „Dirty Harry“ nicht unbedingt als reaktionären Film einstuft, zeigt auch ein erstklassig und liebevoll eingebautes Zitat von Fred Zinnemanns 12 Uhr mittags, dem Inbegriff des liberalen, anti-reaktionären Western.
Die Figur des Polizisten, der im Großstadtdschungel den Abschaum bekämpft, ist auch keine Erfindung von Siegel, Eastwood oder Milius, sondern hat viele Vorbilder. Am offensichtlichsten stand wohl Otto Premingers atmosphärisch starker und erstklassig gespielter Film Noir „Faustrecht der Großstadt“ Pate. Dass Eastwood selbst mehrfach mit Äußerungen, die eigentlich den Film gegen Kritiker in Schutz nehmen sollen, völlig kontraproduktiv diesen Nahrung gegeben hat, sollte man daher eher vernachlässigen - vor allem da sich „Dirty Harry“ jenseits des Sujets und vermeintlicher Aussagen als spannender, stark inszenierter Cop-Thriller entpuppt.
Die Inszenierung, welche die drei Hauptdarsteller, Eastwood, die große Waffe von Callahan und die Stadt, gleichermaßen aus der Nähe wie aus der Distanz porträtiert, ist über weite Strecken erstklassig. Der das heutige Actionkino gewöhnte Zuschauer wird zwar sicher so seine Probleme haben, da die Actionszenen eher knapp und ohne großes Getöse daher kommen und Siegel sie zudem mit einigen Brüchen versieht. In Zeiten von überstilisierten Bildern à la 300 wirken die kurzen Schusswechsel und das aus den Wunden sickernde rote Kunstblut für den ein oder anderen jüngeren Zuschauer wahrscheinlich altmodisch. Bei der Inszenierung einiger Schusswechsel hat sich Siegel ein wenig am Western, speziell dem europäischen, orientiert, was sicher auch befremdlich wirken kann, aber sowohl für die genreprägende Rolle seines Films als auch für dessen stimmiges inszenatorisches Gesamtbild wichtig ist.
Dass die Story, die übrigens beeinflusst wurde von den Umtrieben des Zodiac-Killer (dessen Fall Fight Club-Regisseur David Fincher in seinem jüngsten Film behandelt hat), sich weniger um die Aufklärung der Mordserie dreht, als um das Duell zwischen Cop und Killer, erweist sich als weiterer Pluspunkt, auch wenn sich gerade daran die eingangs wiedergegebene Kritik anschließt.
Eastwood verkörperte den bei seinen Vorgesetzten verhassten, einzelgängerischen Zyniker zwischen 1973 und 1988 noch in vier weiteren Filmen, wobei der zweite Teil, der (s.o.) sich stark gegen den Vorwurf richtet, „Dirty Harry“ unterstütze Selbstjustiz, das Niveau des Originals noch fast erreicht und auch die restlichen Abenteuer des Mannes mit der großen Kanone sich noch im überdurchschnittlichen Bereich bewegen. Und obwohl seit dem letzten Auftritt von Harry Callahan nun fast 20 Jahre vergangen sind und Eastwood direkt auf die 80 zusteuert, reißen die Gerüchte nie ab, er würde seiner prominentesten Figur noch einen großen Abschied bescheren. Das wird zwar von Jahr zu Jahr unwahrscheinlicher, aber bei dem noch immer sehr umtriebigen Eastwood sollte man wohl niemals nie sagen...