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    Who Do I Belong To
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Who Do I Belong To

    Ein gespenstisches Geheimnis

    Von Michael Meyns

    Ein Hauch von magischem Realismus durchzieht „Who Do I Belong To“, den Debütfilm von Meryaam Joobeur, einer in Tunesien geboren Regisseurin, die seit langem in Kanada lebt und dort auch studiert hat. Fürs Filmemachen kehrt Joobeur jedoch regelmäßig in ihre Heimat zurück: Vor einigen Jahren entstand dort ihr oscarnominierter Kurzfilm „Brotherhood“, in dem ein junger Mann, der in Syrien für den IS tätig war, mit einer im Niqab verschleierten Ehefrau zu seiner Familie zurückkehrt. Aus dieser Arbeit entwickelte Joobeur ihr Langfilmdebüt, das ursprünglich eigentlich „Motherhood“ heißen sollte. „Who Do I Belong To“ ist ein typischer Debütfilm geworden, der etwas zu kontrolliert erzählt und zu sehr aus einem westlichen Filmsystem heraus entwickelt scheint, um wirklich zu begeistern.

    Im kargen Norden Tunesiens leben Brahim (Mohamed Grayaa) und Aïcha (Salha Nasraoui) in einfachen Verhältnisse auf einem Bauernhof, umgeben von Ausläufern der Wüste, aber auch unweit des Meeres, wo in den Dünen leuchtend rote Blumen mit dem ausgebleichten braun und gelb des Bodens kontrastieren. Während der jüngste Sohn Adam (Rayen Mechergui) zu Hause die Tiere hütet, sind seine älteren Brüder Mehdi (Malek Mechergui) und Amine (Chaker Mechergui) in den Krieg gezogen. In Syrien haben sie sich dem IS angeschlossen, was allein schon Grund genug zur Sorge wäre, doch Aïcha hat zudem eine seherische Gabe. Immer wieder hat sie Visionen, die vom Schicksal der Söhne und der Dorfgemeinschaft erzählen, vielleicht auch warnen. Und dann kehrt Mehdi plötzlich zurück, begleitet von seiner Ehefrau namens Reem (Dea Liane), die nicht spricht und niemals ihren Gesichtsschleier ablegt…

    Aïcha (Salha Nasraoui) würde wirklich alles für ihre Söhne tun. Tanit Films / Midi La Nuit / Instinct Bleu
    Aïcha (Salha Nasraoui) würde wirklich alles für ihre Söhne tun.

    Ein Film, der gleichermaßen aus Tunesien stammt, aber doch auch von außen; der mit traditionellen Motiven arbeitet, aber auch von einem Blick geprägt ist, der westlich wirkt. Man spürt, dass Meryaam Joobeur, die nur die ersten sechs Jahre ihres Lebens in Tunesien verbrachte, bevor ihre Familie zunächst in die USA und später dann nach Kanada emigrierte, westlich sozialisiert ist, von westlichen Erzählformen geprägt erzählt, vielleicht auch – zumindest unterbewusst – westliche Erwartung an einen Film aus der arabischen Welt zu erfüllen sucht. Wie für den internationalen Festival-Zirkus gemacht wirkt „Who Do I Belong To“ deshalb, spielt nicht etwa in einer pulsierenden Metropole wie Tunis, sondern auf dem Land, wo die Tradition noch viel sichtbarer sind, die Kostüme hübsch bunt, das Leben schlicht. Dazu das Thema islamistischer Terrorismus, das den losen Hintergrund für eine in Ansätzen mystische, von Aïchas Visionen geprägte Familiengeschichte liefert.

    Der Cast besteht aus einer Mischung von professionellen Schauspielern und Laiendarstellern: Während die Eltern erfahrene Akteur*innen sind, werden die drei Brüder von Laien gespielt (von drei tatsächlichen Brüdern übrigens). Sie standen auch schon im Mittelpunkt des Kurzfilms „Brotherhood“, den Interessierte übrigens mit Untertiteln leicht bei YouTube finden können, und wurden für „Who Do I Belong To“ von den professionellen Schauspieler*innen angeleitet. Im Mittelpunkt steht jedoch ganz klar die Mutter, eine leichte Außenseiterfigur, die durch ihre seherischen Fähigkeiten gleichermaßen respektiert wie kritisch beäugt wird.

    Abdriften ins (Alb-)Traumhafte

    In stimmungsvollen, mal ausgeblichenen, mal farbgesättigten Bilder des kanadischen Kameramanns Vincent Gonneville entfaltet sich eine (Geister?)-Geschichte, die mal sozialrealistisch wirkt, dann wieder in traumartige Bilder abdriftet, in denen die Visionen Aïcha von Vorurteilen, Misstrauen und Unterdrückung zeugen. Inwieweit das allerdings mit tunesischen beziehungsweise mit arabischen Traditionen zu tun hat, sei dahingestellt. Viel mehr erinnert Meryaam Joobeur an typische Exemplare dessen, was man als Festivalkino beschreiben könnte:

    Es sind Filme, die oft mit großem Aufwand über zig Länder hinweg finanziert werden – in diesem Fall stammt das Geld unter anderem aus Norwegen, Katar und Saudi-Arabien. Im Zweifelsfall ist es ein Drama, das an möglichst relevante Themen der Zeit andockt – hier eine traditionelle Familie, Islamismus, Terrorismus. Dabei wird eine Welt gezeigt, die zwar in einem bestimmten Land verortet ist, aber doch auch universell wirkt. Das passt alles leidlich gut zusammen, vielleicht aber auch etwas zu gut, zu glatt. Am Ende könnte man auch „Who Do I Belong To“ selbst die Frage aus dem Titel stellen und würde sich schwertun, eine klare Antwort zu finden. Ein Debütfilm, der sich ein wenig zwischen die Stühle setzt und irgendwo zwischen westlicher und islamischer Welt existiert.

    Fazit: Wie ein typischer Festivalfilm wirkt „Who Do I Belong To“, das Spielfilmdebüt der tunesisch-kanadische Regisseurin Meryaam Joobeur – nicht allzu ambitioniert werden traditionelle, leicht mystische Motive variiert, dazu kommt ein gesellschaftlich relevantes Thema wie der islamistische Terrorismus. Souverän gemacht, mit einer wahrhaft niederschmetternden Schlusspointe, aber auch etwas zu kontrolliert, um wirklich zu überraschen.

    Wir haben „Who Do I Belong To“ im Rahmen der Berlinale 2024 gesehen, wo der Film als Teil des offiziellen Wettbewerbs gezeigt wurde.

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