Für diese süße Liebesgeschichte droht den Machern der Knast
Von Michael MeynsEs ist eigentlich eine ganz einfache Geschichte, doch wenn sie in einem Land wie dem Iran spielt, setzen sich die Filmschaffenden plötzlich großer Gefahr aus. Auch das ist ein Aspekt des iranischen Films „My Favourite Cake“, mit dem das Regieduo Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha zum zweiten Mal im Wettbewerb der Berlinale zu Gast ist – und sich erneut Repressionen des Regimes ausgesetzt sieht. War es in „Ballade von der weißen Kuh“ noch die Kritik an der Todesstrafe, ist es nun eine für Außenstehende vollkommen unproblematische Darstellung des Lebens einer Witwe, die mit 70 Jahren noch einmal nach Liebe und einem Mann sucht. Zwei hervorragende Schauspieler*innen sowie ein krasses Ende machen das ruhige Drama auch über die politischen Umstände hinaus zu einem besonderen Film.
Mahin (Lili Farhadpour) ist 70 Jahre alt und lebt in der iranischen Hauptstadt Teheran allein in einer großen, schönen Wohnung. Doch die kann sie kaum genießen, denn ihr Mann ist schon vor 30 Jahren gestorben und die inzwischen erwachsenen Kinder leben im Ausland. Ihre Freundinnen sieht sie nur sporadisch – und da auch im Iran die Inflation hoch ist, sind andere Aktivitäten zu teuer. Nach einem der seltenen Abende mit ihren Freundinnen beschließt Mahin, doch noch einen Versuch zu starten, einen Mann zu finden. In einem Restaurant für Pensionäre sieht sie Faramarz (Esmaeel Mehrabi), der trotz seines hohen Alters noch Geld mit Taxifahren verdienen muss. Bei einer Fahrt spricht Mahin ihn an und lädt ihn unverblümt zu sich nach Hause ein, wo die beiden einige unbeschwert-verliebte Stunden zusammen verbringen…
Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha haben wegen dieser sympathischen Senior*innen-Liebesgeschichte bereits vor der Premiere auf der Berlinale große Probleme in ihrer Heimat: Während des Schnitts an „My Favourite Cake“ versuchten Vertreter des Regimes, das Filmmaterial zu beschlagnahmen (das sich aber zum Glück größtenteils schon im Ausland befand). Außerdem nahmen sie dem seit langem zusammenarbeitenden Ehepaar die Pässe ab. Der Skandal? Dass eine ältere, verwitwete Frau im Mittelpunkt des Films steht, vor allem aber, dass diese Frau Bedürfnisse hat und aktiv versucht, diese Bedürfnisse zu befriedigen.
Es wird gesungen, getanzt, Wein getrunken und am Ende spielt sogar eine Viagra-Tablette – bzw. das in Iran verfügbare Generika – eine entscheidende Rolle. Alles Dinge, die im Iran selbstverständlich existieren, aber nur hinter verschlossenen Türen und ganz gewiss nicht auf der Kinoleinwand. Dass es Moghaddam und Sanaeeha dennoch gewagt haben, diesen Film zu drehen, dass sie bewusst Repressionen in Kauf nahmen, macht „My Favourite Cake“ zwar zu einem bemerkenswerten, vielleicht auch politisch wichtigen, aber noch nicht automatisch auch zu einem guten Film.
Unbedingt sehenswert ist das Drama, das über weite Strecken mit sanftem Humor und großer Leichtigkeit abläuft, durch seine beiden Hauptdarsteller*innen, die die aus westlicher Sicht geradezu banal anmutende Handlung mit Leben füllen. Faramarz ist vermutlich schon in dem Moment klar, was Mahin beabsichtigt, als sie sich im Taxi nicht nach hinten, sondern neben ihn setzt. Also macht er kurz darauf noch bei einer Apotheke Halt – er ist immerhin auch schon 70 und ahnt, was an diesem Abend noch von ihm erwartet wird. Bei Mahin angekommen, brauchen die beiden erst ein bisschen, bis sie auftauen. Doch dank eines seit Ewigkeiten im Schrank versteckten Weins wird die Stimmung bald gelöst. Sie flirten, tanzen, malen sich ein gemeinsames Leben aus, genießen für ein paar Stunden ein Glück, das ihnen der repressive Staat eigentlich vorenthalten möchte.
Im Ansatz könnte eine Geschichte wie diese zwar überall spielen: ältere Menschen, die sich einsam fühlen, deren Kinder weit weg wohnen, die mit manchen Entwicklungen wie Café-Bestellungen via QR-Code nicht zurechtkommen und sich nach menschlicher Nähe sehnen, gibt es schließlich in jedem Land. Trotzdem sind es die Umstände des autokratischen Irans, die diese kleine Geschichte so speziell machen – und das Ende noch herzzerreißender. Es mag zwar etwas extrem und konstruiert wirken, was Moghaddam und Sanaeeha ihren Figuren hier zumuten, bringt aber noch einmal die besondere Tragik der Umstände auf den Punkt, mit denen Menschen im Iran Tag für Tag zu kämpfen haben. Was als schöner, aber etwas schlichter Film begann, entwickelt sich langsam, aber unaufhaltsam zu einem berührenden Drama über den Versuch, sich einem autokratischen Regime entgegenzustellen. Denn wie Mahin an einer Stelle zu einer jungen Frau, die sie vor der Sittenpolizei gerettet hat, sagt: „Je unterwürfiger man sich verhält, desto mehr wird man unterdrückt.“
Fazit: Betrachtet man nur die bloße Handlung, mutet „My Favourite Cake“ wie eine hübsche, kleine, aber etwas banale Geschichte über zwei einsame 70-Jährige an, die noch einmal nach einem Partner suchen. Dass diese Geschichte im autokratischen Iran spielt, macht sie speziell und politisch relevant – doch erst die zwei wunderbaren Hauptdarsteller*innen und ein herzzerreißendes Ende machen „My Favourite Cake“ endgültig zu einem unbedingt bemerkenswerten Film.
Wir haben „My Favourite Cake“ im Rahmen der Berlinale 2024 gesehen, wo er als Teil des offiziellen Wettbewerbs gezeigt wurde.