Wer heute noch schockieren will, der muss schon gewaltige Kaliber auffahren, um das Publikum zu erzürnen. Da hatte man es Anfang der Siebziger noch erheblich leichter anzuecken oder gar Skandale zu provozieren. So hat Bertrand Bliers lockere Sexkomödie „Die Ausgebufften" seinerzeit nicht nur die Gemüter erhitzt, sondern wirkte in seiner Inszenierung wie seiner Haltung genauso frivol, respektlos und unverfroren wie seine Protagonisten. Bliers schräges, sexuell überladenes Road-Movie ist wild, ohne sich viel dabei zu denken und fühlt sich selbst heute noch wunderbar frisch und lebensfroh an, auch wenn der Film sich um weit mehr dreht als nur um nackte Tatsachen.
Auf ein bürgerliches Leben mit einem Job, einer (einzigen) Frau und einem Eigenheim haben Jean-Claude (Gérard Depardieu) und Pierrot (Patrick Dewaere) keine Lust. Viel lieber ziehen die spätpubertären Vandalen und Schürzenjäger durch die Gegend, halten Ausschau nach schnellem Sex und klauen, was nicht niet- und nagelfest ist. Mit der Friseuse Marie-Ange (Miou-Miou), die sie bei einem Autoklau kennen lernen, pflegen sie eine offene, rein sexuelle Beziehung, die sie vernachlässigen, wenn sie wieder mal auf Achse sind und wieder aufnehmen, wenn ihnen langweilig wird Als sie eines Tages die ehemalige Gefängnisinsassin Jeanne (Jeanne Moreau) aufgabeln und einen flotten Dreier mit ihr unternehmen, erfolgt am nächsten Tage ein böses Erwachen, das sie zum Umdenken zwingt – jedoch nicht für lange...
Klar, dass eine so lapidare, sprunghafte und höchst episodische Story nur von einer lebhaften Regie und noch lebhafteren Darstellern getragen werden kann. Bertrand Blier, der Sohn des alteingesessenen französischen Volksschauspielers Bernard, der hier seine eigene Novelle verfilmt hat, hält sich dabei als Regisseur bedächtig zurück, gefällt sich in Ellipsen, wie den immer wiederkehrenden Standard-Einstellungen der ziellos durch ein tristes Frankreich schreitenden Antihelden und überlässt ansonsten seinen spielfreudigen Darstellern das Feld. Und beide dankten es ihm mit Performances, die sie auf Anhieb zu Stars gemacht haben. Wie Depardieu und Dewaere sich hier beschwingt über die Leinwand pöbeln, baggern, palavern und vögel – das muss man gesehen haben. Während der junge Depardieu den großmäuligen Aufwiegler und Anführer gibt und mit seiner beeindruckenden Physis jede Szene förmlich erobert, fällt Dewaere die undankbare Aufgabe zu, den verdrucksten, leicht dämlichen, doch immer wieder mit unerwarteter Sensibilität überraschenden Pierrot zu spielen – eine Aufgabe, die er mit Bravour meistert. Zu ihnen gesellt sich Miou-Miou, die als kesser Wildfang eine sexy Darbietung liefert.
Und doch ist „Die Ausgebufften" mehr als nur ein bumsfideler Sex-Ulk, sondern letztlich einer der abgeklärtesten Kultfilme der Gegenkultur und ein kleiner, sehr fieser Grabgesang auf die Ideale der 68er und das reichlich unspektakuläre Ende der sexuellen Revolution. Wie Dennis Hopper und Peter Fonda in „Easy Rider" oder Sal und Dean in Walter Salles' „Unterwegs" wollen sie die Welt bereisen, bürgerlichen Lebensentwürfen entkommen und dabei lieben und leben solange es geht. Doch diese bloße Freiheitspose wird bei Blier immer wieder in ihrer Oberflächlichkeit ausgestellt. „Die Ausgebufften" irren durch ein tristes Frankreich, das überall gleich hässlich ist. Die ewige Schürzenjagd scheint beide schon regelrecht zu frustrieren, da sie immer mehr erkennen, dass die körperliche Liebe nicht die Antwort auf all ihre Fragen zu sein scheint. Im Akt mit Marie-Ange liegt keine Freiheit, kein Weltflucht, keine Erlösung und kein Verschmelzen mit einer geliebten Person mehr, sondern höchstens noch wohlige Erschöpfung, die kurz das perspektivlose Dasein auf Erden vergessen lässt. Dass ihre Reisen Jean-Claude und Pierrot an kein Ziel bringen werden, wissen sie selbst wohl am besten. Doch sie wollen nur weg – und man kann es ihnen nicht verdenken.
Fazit: „Die Ausgebufften" stellt keine Fragen und gibt keine Antworten, sondern begleitet zwei lebenswütige Chaoten auf ihren Streifzügen durch eine Welt, die so trostlos ist, dass man sie sich schön machen muss, um nicht zu verzweifeln. Auch wenn sich Bertrand Blier für die Abenteuer seiner Antihelden erwärmt und sie als sympathische Gegenentwürfe zur matten Bourgeoisie mit einiger Sympathie zeichnet, verschließt er seine Augen dabei keineswegs vor den Sackgassen der Gegenkultur.