Rettet die Elbwiesen! Oder vielleicht auch nicht?
Von Jochen WernerAm Anfang von „Zwischen uns der Fluss“ stehen die Elbwiesen, beziehungsweise: idyllisch liegen sie da, in einem kleinen Fenster auf der großen Leinwand, und aus dem Off zieht Alice (Lena Urzendowsky) vom Leder. Über die Bebauungspläne, die das allgemein zugängliche Areal den Investoren ausliefern würden, den Brückenbau, der lediglich als ein trojanisches Pferd diene, um die Bevölkerung an die Bebauung zu gewöhnen, und ihren eigenen Vater, einen Architekten, den wir zwar im Film nie zu Gesicht bekommen werden, der aber als Stadtplaner federführend an dem Bebauungsplan arbeitet. Außerdem gibt er ein Seminar an der Uni, in der er auch noch Alices Freund, den Architekturstudenten Chris (Jeremias Meyer), auf vermeintliche Abwege führt. Mit dem ist sie zusammen, obwohl sie ihn für ein Kapitalistenschwein hält, und ansonsten ist sie beschäftigt damit, auf YouTube über ihren Vater zu schimpfen und tagtäglich – in Abwesenheit einer Brücke – mit einer kleinen Fähre über die Elbe zu schippern, was auch nicht eben praktisch aussieht.
Im Anschluss an eine Demo, bei der sie einen Polizisten geschlagen hat – lediglich in Gegenwehr, wie sie betont – wird Alice zum Ableisten von Sozialstunden verurteilt und trifft in einer Klinik auf die traumatisierte vietnamesischstämmige Cam (Kotti Yun). Die spricht nicht mehr, seit sie bei einem Überfall – wohl aus rassistischen Motiven – schwer verletzt wurde. Was da so ganz genau geschah, erfahren wir nicht, ebenso wenig wie den Verlauf von Alices Demo und ihrem Zusammenstoß mit der Staatsgewalt – überhaupt bleibt einiges an Kontext bewusst im Dunkel im neuen Film von „Idioten der Familie“-Regisseur Michael Klier. Stattdessen verengt sich der Film über weite Strecken um seine beide Protagonistinnen herum und schneidet diese Zweierkonstellation geradezu aus der Außenwelt heraus.
Das schreibt sich in den Film auch durch die Abwesenheit von durchaus handlungsbestimmenden Akteur*innen ein. Nicht nur Alices Vater bleibt, obgleich der Strippenzieher, an dem sich die Tochter fortwährend abarbeitet, im Film konsequent unsichtbar. Auch ihre Mutter bekommt zwar eine Art Plot Point, wenn sie als Psychotherapeutin die traumatisierte Cam empfängt, aber keinen Auftritt im Film. Die Eltern erscheinen lediglich in den Gesprächen der Kinder über sie, der Film selbst bleibt bei der jüngsten Generation – eine interessante inhaltliche Setzung für ein Spätwerk des bereits über 80-jährigen deutschen Kino-Urgesteins Michael Klier, der selbst in Bezug auf seine Hauptdarstellerinnen Yun und Urzendowsky eher schon der Großvätergeneration zuzuordnen ist.
Tatsächlich gibt sich „Zwischen uns der Fluss“ bereits in den Credits als Kollektivarbeit aus, wenn er Klier, die beiden Hauptdarstellerinnen und Co-Autorinnen sowie Editorin Gaya von Schwarze als gleichberechtigte Urheber*innen nennt. Dass Klier dann allerdings wiederum die seit 20 Jahren obsolete, veraltete Schreibweise „Fluß“ in den Titelvorspann schmuggelt, kann man vielleicht durchaus als augenzwinkernden Verweis auf das eigene Lebensalter (miss-)verstehen – der alte, männliche Filmemacher und der junge, weibliche Aktivismus, im Grunde ist das hier ein Vexierspiel. Und im Grunde liegt dieser Schulterschluss ja längst auch auf der Hand – zwischen den störrisch gebliebenen, unangepassten Großvätern und Großmüttern der 68er-Generation sowie den wütenden jungen Protestierenden.
Aber wie gemein macht sich „Zwischen uns der Fluss/Fluß“ denn überhaupt mit Alices Anliegen? So ganz ungebrochen bleibt deren Protest nämlich durchaus nicht: Sie müsse endlich aufhören, Kind zu sein, muss sie sich einmal gar von Cam sagen lassen, und dass es schon von ihrem Privileg künde, dass Alice es sich überhaupt leisten könne, so vor sich hinzuleben und so vor sich hinzuprotestieren. Ihrem reichlich überspannten Vergleich, bei einer etwaigen Bebauung handele es sich um „die zweite Zerstörung der Stadt nach 1945“, mag man sich schon gar nicht anschließen. Und überhaupt, klingen nicht eigentlich die Pläne des Architektenvaters, anfangs von Boyfriend Chris (von dem sich Alice manchmal wünscht, er wäre eine Frau) im Bett referiert, eigentlich auch ganz schlüssig?
Ein Experimentierfeld für neue Formen des Zusammenlebens solle Dresden werden, so heißt es da. Ein Raum, in dem alles gedacht und ausprobiert werden könne. Und eine solche futuristische Stadtentwicklung fördere dann automatisch auch die Weltoffenheit, so jedenfalls der Plan. Was dann vielleicht endlich auch die elende Fremdenfeindlichkeit aufzubrechen vermöge und so die konservative sächsische Metropole ganz konkret zu einem besseren und lebenswerteren Ort machen könnte. Man mag das nicht so leichtfertig verwerfen, und in Cams Ohren mag es noch einmal ein gutes Stück konkreter und dringlicher klingen. Aber was ist mit den Fledermäusen, die auf den Elbwiesen siedeln, fragt Alice.
Die bergigen Straßen, auf denen Alice anfangs radelt, sind gewissenhaften Beobachtern von Michael Kliers Werk bereits aus einem anderen, viel kleineren Film vertraut. Im Rahmen der von ARTE produzierten Stadtfilmtrilogie „Dresden 1–2–3“ schickte Klier 2012 in seinem Kurzfilm „Kurztrip“ Nicolette Krebitz und Felix Klare als streitendes Paar exakt diese Wege entlang, und schuf einen merkwürdigen Hybrid aus Städtemarketing, Dokumentarfilmminiatur und Beziehungsdramolett. Eine Annäherung an die Stadt Dresden in ihrer Geschichte und ihren aktuellen gesellschaftlichen Konflikten liegt dem damaligen Kurzfilm (und der Trilogie) ebenso zugrunde wie nun diesem neuen Kinofilm von Klier, erzählt hier wie dort durch die Folie einer Zweierbeziehung – und so ganz greifbar wird es in beiden Fällen nicht, wie genau sich der Film in diesen Konfliktfeldern positioniert wissen will. Was unbedingt als eine Stärke zu verstehen ist.
Fazit: „Zwischen uns der Fluss“ ist kein aktivistischer Film, sondern das betont minimalistische Porträt zweier sehr verschiedener junger Frauen, die sich in einem durchaus unübersichtlichen Feld gesellschaftlicher Konfliktlinien füreinander öffnen. Überdies ist es dezidiert ein Stadtfilm über Dresden, der aber über diesen konkreten Ort hinaus Grundsatzfragen zur Stadtplanung aufwirft – und dazu, in welchen Räumen wir in Zukunft leben wollen. Fragen, die wir nicht unbedingt bequem beantwortet bekommen, sondern zu denen wir uns selbst positionieren müssen.