Mein Konto
    Sein oder Nichtsein
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Sein oder Nichtsein
    Von Björn Becher

    Schon der Anfang von Ernst Lubitschs „To Be Or Not To Be“ zeigt den großartigen Humor des Films. Ein Mann, der ausschaut wie Hitler, läuft durch Warschau. Ein Erzähler fragt, was dieser Mann kurz vor dem Kriegsausbruch in Warschau verloren habe. Die Masse stiert ihn an und fragt sich dasselbe. Eine kurze Rückblende klärt die Szenerie auf. Eine polnische Schauspielgruppe plant ein Stück mit dem Namen „Gestapo“, das sich über Hitler und seine Schergen lustig macht. Doch Schauspieler Bronski (Tom Dugan, „Die Besten Jahre unseres Lebens“), der den Hitler spielt, erweitert seine Rolle sehr zum Missfallen von Produzent Dobosh (Charles Halton, Ist das Leben nicht schön). Auf den Gruß „Heil Hitler“ antwortet er mit einem „Heil myself“, statt zu schweigen, wie es im Drehbuch steht. Dobosh hat sowieso allerhand an dem Schauspieler Bronski auszusetzen. Er sehe gar nicht aus wie Hitler, seine Darstellung Hitlers sei eine Katastrophe. Um seinem Chef das Gegenteil zu beweisen, ging Bronski raus auf die Straße… und das ist der Grund, warum Hitler durch Warschau läuft. Aufgelöst wird die Szene durch ein kleines Mädchen, das zum falschen Hitler läuft. Sie bittet um ein Autogramm, die Warschauer Bürger halten den Atem an. Doch da schließt das Mädchen den Satz mit „Mr. Bronski“ ab. Sie hat ihn erkannt.

    Nach dieser Einleitung, die schon für zahlreiche Lacher sorgt, beginnt die eigentliche Geschichte. Die Stars der Schauspieltruppe sind Maria (Carole Lombard, „Mein Mann Gottfried“) und Joseph Tura (der großartige TV- und Radio-Comedian Jack Benny in einer seiner wenigen Kinorollen). Aktuell spielt die Truppe um das Ehepaar noch Shakespeares „Hamlet“, aber bereits am nächsten Tag soll das neue Stück „Gestapo“ Premiere feiern. Doch dazu kommt es nicht. Der näher rückende Krieg sorgt dafür, dass das Stück abgesetzt wird. Die Regierung will Hitler nicht verärgern, es muss weiter „Hamlet“ gespielt werden.

    Hauptdarsteller Joseph Tura hat allerdings ganz andere Sorgen. Der selbstverliebte Darsteller, der sich für den größten Schauspieler aller Zeiten hält, hat mit seinem Ego zu kämpfen. Genau in dem Moment, als er zu seinem großen Monolog mit den Worten „To Be Or Not To Be“ ansetzte, stand ein Mann aus dem Publikum auf und verließ den Saal. Doch Stanislav Sobinsky (Robert Stack, „Die Unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug“), jener Mann, der aufstand, meinte dies eigentlich nicht böse. Er hatte nur mit Turas Frau ausgemacht, dass er sich just in diesem Moment mit ihr hinter der Bühne trifft. Was sich wie ein verbotenes Techtelmechtel anhört, ist gar keines. Sobinsky ist zwar in Maria Tura unsterblich verliebt und glaubt, sie werde ihren Mann für ihn verlassen, doch Maria findet ihn einfach nur nett und will sich mit ihm unterhalten.

    Am nächsten Abend erschüttert die Theatergruppe eine noch größere Katastrophe. Mitten im Stück gibt es Luftalarm. Hitler hat Polen überfallen. Joseph macht das zwar recht wenig aus, er ärgert sich vielmehr darüber, dass der gleiche Mann bei den gleichen Worten wieder das Publikum verlässt (Sobinsky zieht es natürlich wieder hinter die Bühne zu Maria), trotzdem ist das Schauspiel beendet, Warschau gerät unter Bombenbeschuss, ein harter Winter bricht an.

    Stanislav Sobinsky ist Flieger und geht nach London, von wo aus er gegen die Nazis kämpft. Dort trifft er eines Tages auf Professor Siletzsky (Stanley Ridges, „Sergeant York“), der, angeblich im Auftrag der Engländer, nach Warschau reisen will. Er gibt ihm eine Nachricht für Maria mit: „To Be Or Not To Be“. Doch als Siletzsky ihm erwidert, dass ihm der Name Maria Tura nichts sagt, wird er misstrauisch. Ein Warschauer der Maria Tura nicht kennt? Das kann nicht sein. Schnell findet er heraus, dass Siletzsky ein Spion ist, unterwegs nach Warschau, um dort dem Gestapochef Erhardt (Sig Ruman, „Stalag 17“) eine Liste mit den Namen aller Warschauer Widerstandskämpfer zu übergeben. Tausende tapfere Männer und Frauen wären dem Tod geweiht. Um dies zu verhindern mogelt sich auch Sobinsky nach Warschau und schafft es zu Maria und Joseph durchzukommen. Die drei fassen einen Plan: Die Schauspielgruppe wird reaktiviert, die Requisite - das Gestapohauptquartier - wieder aufgebaut. Joseph Tura soll Erhardt spielen und Siletzsky empfangen. Diesmal spielt der eitle Narziss die Rolle seines Lebens. Er spielt um sein Leben und um das von tausenden von Menschen. To Be Or Not To Be.

    Trotz dieser langen Inhaltsangabe ist der Film des aus Deutschland stammenden Regisseurs Ernst Lubitsch (Ninotschka damit erst am Anfang. Bis es zum Happy-End kommt, muss die Theatergruppe rund um das Ehepaar Tura noch allerhand überstehen, Joseph muss nach Erhardt auch Siletzsky spielen, sieht sich dabei mit dem echten, dann toten Siletzsky konfrontiert, muss die zwei Siletzskys dem echten Erhardt erklären und auch Bronski muss noch einmal in seine Rolle als Hitler schlüpfen. Allein das dürfte schon zeigen, wie wendungsreich der Film von Lubitsch ist und wie es dem Regisseur gelingt, immer noch eins draufzusetzen und damit die Komik zu steigern.

    Das Verwunderliche dabei ist, dass der Film schon 1942, also noch mitten im zweiten Weltkrieg entstand. Trotzdem zeigt Lubitsch eine unheimliche Kenntnis der Materie. Es ist natürlich fraglich, ob Lubitsch in Kenntnis der späteren Verwendung der Konzentrationslager (die so genannte „Endlösung“ der Judenfrage wurde erst 1942 beschlossen) den ein oder anderen Witz über diese gemacht hätte (Stichwort: Concentration Camp Erhardt), aber das wertet den Film nicht ab. Das Werk des jüdischen Regisseurs Lubitsch ist nämlich nicht nur eine reine Komödie, sondern durchaus eine kritische Auseinandersetzung mit dem Naziregime, halt nur mit den Mitteln der politischen Satire. Es ist die einzige Antwort die der Jude und Filmemacher Lubitsch auf das Regime Hitler geben konnte.

    Eine Antwort voll mit schwarzem Humor und Situationskomik. Allein die zahlreichen Running Gags des Films sorgen schon bei ihrer Andeutung für Lacher des Publikums. Joseph Tura ist zum Beispiel so selbstverliebt, dass er es selbst bei den heiklen Unterhaltungen mit den Nazi-Schergen, bei denen er einen der ihren spielt (Siletzsky oder Erhardt), nicht lassen kann, auf sich selbst, auf Joseph Tura, zu sprechen zu kommen und diesen als „great, great actor“ anzupreisen. Jedes Mal endet dies mit einer Enttäuschung, denn keiner kennt Joseph Tura. Den größten Lacher gibt es aber, als er diese Frage zum letzten Mal stellt. Der echte Erhardt, sagt ihm, dass er Tura kenne. Doch als Tura ihm erwartungsvoll und auf das Lob harrend in seine Augen schaut, bekommt er nur zu hören: „Oh, yes, I saw him in Hamlet. What he did to Shakespeare we are doing to Poland.” Einer von zahlreichen gelungenen Running Gags des Films, die aber erst durch das Spiel der hervorragenden Darsteller (allen voran Jack Benny) richtig zünden.

    Natürlich geht Lubitsch oftmals an die Grenzen. Wenn zum Beispiel am Ende der falsche Hitler zwei echten deutschen Soldaten befiehlt aus dem Flugzeug zu springen und diese mit einem ergebenen „Heil Hitler“ den Sprung in den Tod sofort und ohne den Befehl zu hinterfragen, ausführen, ist dies für manche vielleicht schon ein Punkt, wo die Komik aufhört und wenn Lubitsch kein Jude wäre, würde man ihm das vielleicht (leider) nicht zugestehen. Doch genau dieser an die Grenzen gehende Witz ist es, der den Film ausmacht. Lubitsch gelingt einfach die perfekte Gratwanderung. Sein Film erheitert den Zuschauer mit Witz und Spott, er erschüttert und ergreift aber auch. Die wenigen Bilder, die Lubitsch von der Not und Zerstörung in Warschau zeigt, wirken da intensiver als bei manch anderen Regisseuren der ganze Film.

    Darüber hinaus wird nicht nur der Nationalsozialismus, sondern auch der Narzissmus auf die Schippe genommen. Am Ende sind es zwar die Schauspieler, die es schaffen die Leben der Warschauer Untergrundkämpfer zu retten, doch gerade ihr Star Tura muss bis dahin tief fallen. Der immer nach Beifall heischende Mann, dem selbst bei Kriegsausbruch noch seine schauspielerische Leistung wichtiger ist, als der Kriegsbeginn, gefährdet mit seiner Eitelkeit mehr als einmal die ganze Mission. Ein kräftiger Seitenhieb auf die auch zu dieser Zeit schon recht eitlen Schauspieler.

    Aus diesem Zusammenspiel zwischen Nationalsozialismus und Narzissmus schafft Lubitsch die perfekte Situationskomik. Ganz einfach scheint der Plan der Schauspieler Siletzsky die Papiere mit den Namen der Untergrundkämpfer abzuluchsen, perfekt scheint er zu funktionieren, doch dann kommt Siletzsky darauf zu sprechen, dass er glaubt die bekannte Schauspielerin Maria Tura hätte ein Verhältnis mit dem Soldaten Sobinsky. Sein Gesprächspartner ist der als Erhardt verkleidete Joseph Tura, der so gleich den nächsten Schock bekommt, nachdem er vorher erfahren musste, dass Siletzky den „great, great actor“ Joseph Tura nicht kennt. Situationskomik par excellence und hervorragende Dialoge (vor allem in der englischen Originalfassung) ergeben einen Klasse Film.

    Abschließend nur die Worte von Joachim Kaiser aus der Süddeutschen Zeitung, die es so treffend auf den Punkt bringen, dass man es nicht besser ausdrücken kann: „Lubitschs Film ‚Sein oder Nichtsein’ ... ist ein ... Wunder gelungen. Gestapo und Komödie - zwei Substantive, die nichts miteinander zu tun haben, sind im Namen rätselhafter Kunstfertigkeit für 90 Kinominuten zusammengezwungen worden. Größe, das heißt hier: Mut zur Komödie, Besinnung auf die Grenzen des Kinos, Virtuosität und ... Phantasie.“

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top