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    Swimming Home
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Swimming Home

    Eine Nackte im Swimming Pool – und jede Menge Mysterien drum herum

    Von Patrick Fey

    Der Swimming Pool hat einen festen Platz in der Geschichte des Kinos, in der er immer wieder das symbolische Zentrum der Handlung bildete (zum Beispiel geht diese Kritik am selben Tag online wie die zum Pool-Horror „Night Swim“). Jacques Derays namengebender „Der Swimmingpool“ fände sich vermutlich an der Spitze eine Liste der ikonischsten Pools der Filmgeschichte – zumal er auch noch gleich zwei Remakes inspirierte: François Ozons „Swimming Pool“ und Luca Guadagninos „A Bigger Splash“. Doch auch Klassiker wie „Der Schwimmer“ mit Burt Lancaster und Mike Nichols‘ „Die Reifeprüfung“ haben ihren Teil dazu beigetragen, dass sich der Swimmingpool zu einem der symbolträchtigsten Orte der Filmgeschichte entwickelte.

    Wo dem Pool ursprünglich vor allem eine gewisse freiheitsstiftende Frivolität zugeschrieben wurde, erfuhr dieser Beiklang spätestens durch die Eröffnungsszene aus „Sunset Boulevard“, in der ein Ermittler eine Leiche aus dem Chlorwasser fischt, eine düstere Umdeutung. Gleichwohl: Vorausgegangen war dem die wohl ikonischste Poolszene des 20. Jahrhunderts, der Mord in F. Scott Fitzgeralds Romanklassiker „The Great Gatsby“, an dessen Adaption sich über die Jahrzehnte hinweg immer wieder neue Filmemacher wagten — zuletzt Baz Luhrmann mit dem als Gatsby nicht mehr wegzudenkenden Leonardo DiCaprio aus dem Jahr 2013.

    … und schon wieder ein ikonischer Swimming Pool

    Auch in „Swimming Home“ von Justin Anderson ist der Swimmingpool von ähnlich zentraler Bedeutung. Gleich in der ersten Einstellung des Films sehen wir auf dessen Oberfläche abstrakte Formen gespiegelt, während bald schon ein fremdartig klingendes Summen einsetzt. Im Zusammenspiel mit dem Titel bereitet diese Atmosphäre zunehmend Unbehagen, das sich bald schon in einer irritierenden Frage verbalisiert: Wie lässt es sich aus einem stehenden Gewässer nach Hause schwimmen? Auf kunstvolle Weise desorientierend legt Andersons Spielfilm-Debüt dann auch los: Frei umherschwebend gleitet die Kamera während der Opening Credits durch die Lüfte, stellt die Wälder auf den Kopf, so dass der Himmel über ihnen nun einem Fluss gleicht, an deren Ufern wir Bäume zu entspringen glauben.

    So beunruhigend die Atmosphäre in diesen Anfangsminuten auch ist, so überaus stimmig kommt sie daher. Nachdem wir einem makellos weißen S500er Mercedes über kurvige Landstraßen hinweg zu einer wolkenlos sonnigen Küstenstadt begleiten, erreichen wir schließlich eine Luxusvilla, von dessen Terrasse aus uns die Wellenspitzen des Meeres entgegenglitzern. Nicht, dass wir mit dem Blick aufs Meer allzu viel Zeit verlören, dominiert doch im Vordergrund das Cyanblau des eingelassenen Swimmingpools, in dem wir eine nackte Frau auf dem Rücken treiben sehen, die Augen in sichtlicher Entspannung geschlossen haltend.

    Das erste Mysterium von vielen

    Es bedarf weniger Blicke der soeben der Limousine entstiegenen Angereisten, um zu erkennen, dass diese Frau hier nicht hergehört. Aus künstlerischer Sicht hingegen ist die Frau aus dem Rahmen nicht wegzudenken. In der Bildgestaltung unübersehbar an David Hockneys weltberühmte Poolszenen angelehnt, wählt Anderson — einst an der renommierten Slade School in London als Maler ausgebildet — für seine pittoreske Bildgestaltung die Textur von 16mm-Film. Motivisch allerdings entfernt sich Anderson vom visuellen Vorbild und setzt den dynamischen Männerfiguren Hockneys einen zunächst gänzlich statischen Frauenkörper entgegen, der kaum eine Welle auf der glatten Pooloberfläche anstößt.

    Es ist verlockend, sich Andersons Debüt vorwiegend auf der visuellen Ebene zu nähern, nicht zuletzt, weil sich der Eindruck aufdrängt, er selbst habe sich hauptsächlich um Fragen der Komposition Gedanken gemacht. Der gleichnamigen Novelle von Deborah Levy aus dem Jahr 2011 entnimmt er die grundlegende Prämisse eines Sommerurlaubs zweier einander entfremdeten Eheleute. Für die zahlreichen Spannungen und Mysterien, die seine Figuren einander näherbringen und dann wieder voneinander abstoßen, versucht Anderson sich unterdessen an einer eigenen, durch Fragmentierung und Verworrenheit geprägten Filmsprache, die uns immer wieder dazu zwingt, unsere Position zum Gesehenen neu zu justieren.

    Nicht nur Josephs (Christopher Abbot) Schreibblockade sorgt dafür, dass die Atmosphäre immer angespannter wird. Anti-Worlds
    Nicht nur Josephs (Christopher Abbot) Schreibblockade sorgt dafür, dass die Atmosphäre immer angespannter wird.

    Im Zentrum des Romans wie des Films steht Joseph (Christopher Abbot, der zuletzt als widerlicher Gemahl in Yorgos Lanthimos „Poor Things“ auf sich aufmerksam machte), ein in sich gekehrter Poet, dessen Ehe mit seiner Frau Isabel (Mackenzie Davies) sich auserzählt zu haben scheint. Als die beiden, gemeinsam mit ihrer Tochter Nina (Freya Hannan-Mills), den Rand des Pools ihrer abgelegenen Familien-Villa erreichen und die nackte Frau erblicken, beginnen die Dinge, sich zu verschieben.

    Isabel — fern davon, sich noch weiter an der offen ausgelebten Promiskuität ihres Mannes zu reiben — lädt die Frau, die sich als Kitty (Ariane Labed) vorstellt, ohne Umschweife dazu ein, das Poolhaus zu beziehen. Die bloße Nacktheit, in der wir Kitty zunächst begegnen, stellt sich schnell als effektivste Maskierung heraus. Denn bald schon müssen wir konstatieren, dass wir, obwohl wir scheinbar alles von ihr gesehen haben, nichts über sie wissen; dass lediglich ihr osteuropäischer Akzent über den Moment hinausverweist. Und obwohl sie eines Abends, zu allseitiger Überraschung, mit Isabel auf Französisch zu parlieren beginnt und sich als Kennerin des lyrischen Werks v0n Joseph erweist, erschöpft sich ihr Interesse an Joseph nicht in dessen literarischem Œuvre.

    Alles wird immer nur noch rätselhafter

    Was folgt, ist vor allem von Instabilität und Dysfunktionalität geprägt — sei es die Beziehung Josephs zu seiner Frau oder zu seiner Tochter, die andauernde Schreibblockade oder sein außereheliches Begehren. Verstärkt wird diese Instabilität nur noch durch die bewusst fehlende Kontextualisierung durch Anderson. Denn im Gegensatz zur Romanvorlage, die in den 1990er Jahren angelegt ist, erfahren wir, dass Joseph in den 1980er Jahren geboren wurde, die Handlung also zu unserer Zeit spielt. Dem gegenüber stehen allerdings Anachronismen wie das 1990er-Jahre-Mercedes-Modell — ein Hinweis darauf, dass wir der Wahrhaftigkeit der gezeigten Bilder mit Skepsis begegnen sollten. Und während in der Novelle Nizza den Schauplatz bildet, konkretisiert Anderson auch den Ort an der Mittelmeerküste zu keinem Zeitpunkt, sodass wir bis zuletzt im Ungewissen bleiben.

    Auf dem Papier erscheint all dies äußerst stimmig, insbesondere, da wir zunehmend in Bilder und Gedankenfetzen Josephs eintauchen und realisieren, dass sich in dessen Kopf die Stimmen und Gesichter miteinander vermischen; die Trennlinie zwischen Realität und Traum verwischt. Selbst die Erotik, die immer wieder hervorgerufen wird, wird in den entscheidenden Momenten unterbunden, erweist sich als dysfunktional. Das Konzept, das sich hieraus ableiten lässt, übersetzt sich leider nur selten in ein einnehmendes Kinoerlebnis. Nach einem vielversprechenden Auftakt addieren sich die Rätsel und Ungewissheiten schnell zu einem verhedderten Erzählfaden, der zum Ende hin nur den wenigsten Zusehenden entwirrbar erscheinen dürfte.

    Im zarten Alter von 56 Jahren wagt sich Justin Anderson mit „Swimming Home“ an sein Regiedebüt, und die Ambition ist ihm dabei in jedem Moment anzumerken. Vielleicht aber haben sich über die Jahre hinweg zu viele Ideen bei ihm angestaut, denn so reizvoll es zunächst scheint, in die unterdrückte Gefühlswelt seines Protagonisten einzutauchen, so ratlos bleiben wir letztlich zurück.

    Wir haben „Swimming Home“ beim International Film Festival Rotterdam gesehen.

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