Hollywood hat eine neue Scream Queen!
Von Oliver KubeDer RomCom-Hit „Wo die Lüge hinfällt“, das Polit-Drama „Reality“, das Superheldinnen-Abenteuer „Madame Web“ und nun der Psycho-Gruselfilm „Immaculate“ – mit bereits vier Kinostarts im noch immer recht jungen Jahr 2024 ist Sydney Sweeney der aktuell produktivste Star auf unseren Leinwänden. Und auch in Sachen Popularität scheint die Wahlkalifornierin ihrer bis zuletzt auf dieser Position scheinbar fest an der Spitze installierten „Euphoria“-Kollegin Zendaya – „Dune: Part Two“ hin oder her – langsam den Rang abzulaufen. Es macht aber auch Spaß zu sehen, wenn eine Schauspielerin sich in so konsequent unterschiedlichen Projekten ausprobiert – vor allem, wenn sie so überzeugt wie in „Immaculate“. Mit ihrer starken Performance hebt sie so das ansonsten oft eher mittelmäßige Werk von Regisseur Michael Mohan („The Voyeurs“) über den Strich.
Nachdem ihr heimischer Konvent in Detroit schließen musste, freut sich Cecilia (Sydney Sweeney) zuerst, dass sie von der katholischen Kirche ein neues Heim in Form eines Klosters in Italien angeboten bekommen hat. Doch dort hat die junge Nonne erst einmal ihre Schwierigkeiten mit der neuen Sprache, den von den älteren Nonnen durchgesetzten strengen Regeln, ihrer kargen Unterkunft und vor allem der sowohl körperlich wie mentalen knochenharten Arbeit in der als eine Art Sterbehospiz für todkranke Ordensschwestern fungierenden Eunrichtung. Mit der Hilfe einer vielleicht etwas zu aufmüpfigen Kollegin (Benedetta Porcaroli) und des sich warmherzig und verständnisvoll gebenden, ihr zudem dank seiner exzellenten Englischkenntnisse beistehenden Paters Tedeschi (Álvaro Morte) lebt sie sich dennoch ein.
Doch dann ändert sich plötzlich alles. Denn obwohl die junge Frau natürlich völlig keusch lebt, ist sie schwanger. Rom schickt einen Ermittler, der nach einigen Untersuchungen und Befragungen zu dem Schluss kommt, dass es sich tatsächlich um eine unbefleckte Empfängnis handeln muss. Aus der unwichtigen kleinen Novizin wird eine Quasi-Heilige, die alle im Kloster verehren und umsorgen. Viel Zeit, um ihre neuen Status zu genießen, hat Cecilia indes nicht. Denn schon bald wird ihr klar, dass der Orden ein finsteres Geheimnis vor der Außenwelt verbirgt.
Noch bevor die Protagonistin in ihrer neuen Heimat eintrifft, sehen wir im Prolog, wie eine junge Nonne panisch versucht, über Nacht von dem abgeriegelten Gelände zu entkommen. Fast hat sie es geschafft, da wird sie von einem Quintett vermummter Ordensschwestern eingefangen, die ihr zuerst brutal die Beine brechen und sie dann unter Anwendung weiterer Gewalt zurück in das Gebäude schaffen. Die Sequenz ist effektiv und spannend umgesetzt. Dass es in dem Kloster nicht gerade besonders fromm zugeht und dass statt Nächstenliebe etwas Sinisteres am köcheln ist, wird so dem Publikum bereits vor Augen geführt, bevor die eigentliche Geschichte beginnt. So wissen wir im Gegensatz zu Cecilia, in welche gefährliche Umgebung sie sich begibt.
Überraschungen gibt es in „Immaculate“ so nicht wirklich. Dies zeigt sich besonders bei der Handvoll über die Laufzeit verteilten Jump-Scares. Diese sind selbst zwar technisch und filmisch exzellent durchgeführt. Allerdings werden die Schockmomente – etwa in einem Albtraum oder wenn eine Figur an einem Fenster steht, in das ein Vogel ungebremst hinein kracht – mit jeweils einigen Sekunden nahezu kompletter Stille in Bild und Ton so was von offensichtlich angekündigt. Ähnlich sieht es mit dem Haupt-Bösewicht der Geschichte aus, der sich bei seinen ersten Auftritten einfach viel zu mitfühlend und sympathisch gibt, um bei etwas erfahreneren Grusel-Fans nicht sofort Misstrauen zu erregen – das sich dann natürlich bald als berechtigt herausstellt.
Und auch der große Story-Twist von „Immaculate“ – wie und warum es zu Schwester Cecilias Schwangerschaft kommen konnte – wird arg plump mehrmals angekündigt. So stellt er keinen echten Aha-Moment mehr dar, wenn Ziel und Ausmaß der Vorgänge in dem Kloster dann offen dargelegt werden. Zumal hier auf die gleiche, nur leicht abgewandelte „blasphemische“ Idee zurückgegriffen wird, wie sie uns 2023 bereits der ebenfalls in Italien spielende „The Devil Conspiracy“ präsentierte. Wobei „Immaculate“-Drehbuchautor Andrew Lobel anzurechnen ist, dass er sich nicht wie sein Kollege bei dem nicht nur diesbezüglich ziemlich vergurkten Fantasy-Actioner zur Auflösung in übernatürlichen Hokuspokus verrennt.
„Immaculate“ hebt sich auch in anderer Hinsicht deutlich von der inhaltlich verwandten Direct-to-Video-Enttäuschung ab. Der Kinofilm sieht nämlich deutlich besser aus. Dass nicht in einem Studio-Hinterhof in Los Angeles oder Vancouver, sondern tatsächlich dort, wo die Handlung auch spielt (in der Region Latium rund um Rom), gedreht wurde, sorgt für eine authentische Szenerie. Michael Mohan kostet die Möglichkeit, dass er in diversen hunderte von Jahre alten Klostern, Kirchen oder Palazzi filmen konnte, mit der Hilfe seines Chef-Kameramanns Elisha Christian („The House At Night“) ausgiebig und mit sehr schönem Effekt aus. Die immer wieder im Bild eingefangenen Außenmauern, Räume und Katakomben tragen stark zur gelungenen, leicht modrig anmutenden Atmosphäre des Films bei.
Und dann ist da natürlich noch der große Trumpf des Films: seine Hauptdarstellerin. Von Anfang an, als wir sie zum ersten Mal in einem Zug treffen, der gerade in den Bahnhof von Rom einfährt, arbeitet Sweeney sehr effektiv mit ihren Augen. Bis fast zum Ende gibt es von ihr kaum große Gesten zu sehen. Sie spielt – perfekt zur Story passend – unglaublich zurückhaltend, scheint aber ihrer Umgebung immer zu beobachten. Ihre Figur ist die meiste Zeit über eher passiv und lässt die Dinge mit sich geschehen – egal, ob sie sich von den dienstälteren Nonnen herumschubsen lässt oder danebensteht, wenn ihre einzige Freundin irgendeinen Schabernack ausheckt. Selbst als Cecilia dann zum Ende hin doch endlich realisiert, was vor sich geht und aktiv werden muss, bleibt der Star in seiner Darstellung glaubhaft. Diese junge Ordensschwester ist keine Superheldin. Sie bleibt zögerlich, verletzlich und einfach menschlich.
Einen ganz großen, unvergesslichen Augenblick darf sie dann – trotz all der vorherigen Zurückhaltung – dennoch zelebrieren. Sweeney stimmt einen gefühlt mehrminütigen, markerschütternden Schrei in Großaufnahme an, bei dem die Schauspielerin geradewegs in die Kamera starrt und ihr Unterkiefer vor Anspannung und Anstrengung zittert. Sweeneys Regisseur hatte völlig recht, als er diese Szene schon vor dem Kinostart seines Films als dessen absolutes Highlight herausstellte. Sweeney ist fantastisch in diesem Moment und nutzt ihn, um sich mit einem Schlag als die vielleicht großartigste Scream Queen der Gegenwart zu etablieren.
Fazit: Sydney Sweeney ist mit ihrer nuancierten Performance und speziell einer unvergesslichen Szene zum Ende der große Trumpf des Gruselfilms „Immaculate“!