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    Priscilla
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Priscilla

    Elvis-Fans werden diesen Film hassen

    Von Björn Becher

    Nach „Elvis“ kommt „Priscilla“ - doch eine direkte Antwort auf Baz Luhrmanns Bombast-Blockbuster ist der neue Film von „Lost In Translation“-Regisseurin Sofia Coppola trotzdem nicht. In ihrem auf der 1985 veröffentlichten Biografie „Elvis und ich“ von Priscilla Presley und Sandra Harmon basierenden Drama geht es vordergründig nämlich gar nicht darum, den Mythos „Elvis“ zu entzaubern. Klar werden sich Fans über die Darstellung des Rock'n'Roll-Superstars als pillenschluckendem, mit Potenzproblemen ringendem und kontrollsüchtigem Egomanen aufregen (zumal Jacob Elordi sein übliches Charm-Niveau weit runterschraubt). Aber am Ende ist „Priscilla“ eben ganz der Film der Titelfigur.

    Wie schon in ihrer Pop-Extravaganz „Marie Antoinette“ bringt uns Sophia Coppola einmal mehr die Einsamkeit einer Frau im Goldenen Käfig nahe. Dass sich dabei auch einige Längen einschleichen, weil sich Elvis‘ (toxischen) Aussetzer dann irgendwann doch recht ähnlich wiederholen, ist dank der herausragenden Cailee Spaeny leicht verziehen. Zudem macht die Regisseurin aus einer Not eine Tugend: Weil ihr der Presley-Nachlass jegliche Verwendung von Songs der Musiklegende verboten hat, musste sie – mit Hilfe der Indie-Pop-Band Phoenix ihres Ehemannes Thomas Mars sowie zahlreichen Klassiker anderer Interpret*innen – einen ganz eigenen Sound zu ihren formidablen Bildern finden.

    MUBI

    Nach vielen Jahren darf Priscilla endlich Elvis (Jacob Elordi) heiraten.

    1959: Priscilla Beaulieu (Cailee Spaeny) ist gerade einmal 14, als sie auf einem US-Armeestützpunkt in Deutschland auf eine Party des zehn Jahre älteren Elvis Presley (Jacob Elordi) eingeladen wird. Natürlich ist sie hin und weg, als der Musik-Superstar ausgerechnet sie umgarnt. Obwohl ihre Eltern zu Beginn weitere Treffen verbieten, verbringt Priscilla schnell mehr Zeit mit Elvis. Dass sie in der Schule deswegen zu müde zum Aufpassen ist, ist nur zu Beginn ein Problem: Schließlich hat Elvis Pillen, die dagegen helfen! Einige Monate später hat der Musiker seinen Militärdienst absolviert und kehrt zurück in die Heimat.

    Nach zwei Jahren mit immer seltenerem Briefaustausch lädt Elvis „seine“ Priscilla schließlich zu sich ein. Nach etlichen Zusicherungen geben ihre Eltern die anfänglichen Bedenken auf: Die minderjährige Tochter darf für zwei Wochen den erwachsenen Musiker auf seinem Luxusanwesen Graceland besuchen. Im folgenden Jahr darf die inzwischen 17-Jährige sogar fest zu ihrer großen Liebe ziehen. Während sie ihren Schulabschluss nun in Memphis macht und von Elvis bald mit neuer Garderobe – inklusive einer passenden Pistole zu jedem Kleid – ausgestattet wird, lernt sie schnell auch die dunklen Seiten ihres neuen (Luxus-)Lebens kennen…

    Allein zwischen Menschen

    Sofia Coppola erzählt in „Priscilla“ die Geschichte ihrer Titelfigur vom ersten Treffen mit Elvis über die Hochzeit bis zur Scheidung 14 Jahre später. Ihr Fokus liegt so sehr auf Priscillas Sicht der Dinge, dass die Kamera bisweilen sogar ihren Blick einnimmt. Coppola zeigt dabei eine unglaublich einsame junge Frau. Bereits im fremden Deutschland ist sie isoliert, weil sie niemanden kennt. Elvis wird zwar zum Bezugspunkt, doch mit den anderen, ebenfalls deutlich älteren Gästen seiner Partys kann sie kaum etwas anfangen.

    Wenn sie später in Memphis zur Schule geht, gibt es auch keine Chance auf Anschluss. Die anderen Schülerinnen tuscheln nur über sie und nach Hause einladen dürfte sie diese ohnehin nicht: Fremde sind in Graceland schließlich verboten! Selbst das Spielen mit ihrem Hund im Garten ist ungern gesehen – und auch ein kurzer Schwatz mit den zwei freundlichen Damen, die Elvis‘ Fanpost beantworten, wird jäh vom Stiefvater Vernon Presley (Tim Post) unterbunden.

    Schwul? Impotent? Coppola macht Andeutungen – und dann nichts…

    Immer wieder finden die Regisseurin und ihr für „The Grandmaster“ oscarnominierte Kameramann Philippe Le Sourd eindringliche Bilder, welche diese völlige Isolation unterstreichen. Zumal Priscilla auch von Elvis keine Hilfe erwarten kann: Der Musiker wechselt in Coppolas Film in Sekunden seine Stimmung, wirft aus dem Nichts auch mal einen Stuhl nur Zentimeter am Kopf seiner Freundin vorbei. Vor allem aber zeigt „Priscilla“ ihn als kontrollsüchtiges Monster, der sich sein „kleines Mädchen“ nach seinen Vorstellungen formt und schon ausrastet, wenn sie bei der verspielten Kissenschlacht etwas zu viel Kraft einsetzt und damit plötzlich zu „männlich“ sei.

    Die Angst vor „zu männlichen Frauen“ klingt auch an anderer Stelle an. Womöglich ein Anzeichen für eine unterdrückte Homosexualität, über welche immer wieder spekuliert wurde? Weiter ergründet wird dies jedoch ebenso wenig wie die Frage, warum Elvis lange Zeit jeglichen Sex mit ihr verweigert. Wartet der Seitensprüngen nicht abgeneigte Musiker tatsächlich aus religiösen Gründen? Oder hat er vielleicht Angst, sich mit mangelnder Potenz zu blamieren? Die Fragen schweben zwar im Raum, doch der Fokus bleibt konsequent die auch von Elvis selbst mit vorangetriebene Isolation der Titelfigur. So verbietet er ihr zum Beispiel, sich einen Nebenjob zu suchen: Elvis und eine eigene Karriere ließen sich einfach nicht vereinen, weil sie immer für ihn erreichbar sein müsse.

    MUBI

    Auch wenn sie selten allein ist, ist Priscilla (Cailee Spaeny) fast immer einsam.

    Im Mittelteil zieht sich „Priscilla“ etwas, weil viele Momente nur noch wie weitere Variationen ähnlicher Szenen wirken und es sich irgendwann ein wenig totläuft, dass Priscillas „Ich vermisse dich“ oder „Ich liebe dich“ jedes Mal unerwidert bleiben. Zudem verpasst es „Kissing Booth“-Star Jacob Elordi, seinem Elvis eine weitere Dimension und Tiefe zu geben. Die Figur ist tatsächlich immer dann am stärksten, wenn Coppola den 1,93 Meter großen Darsteller mehr wie einen Teil ihrer mal wieder sensationellen Ausstattung nutzt und in Relation zur mehr als 40 Zentimeter kleineren Cailee Spaeny in Szene setzt.

    Wenn sie förmlich unter seinen auf ihren Schultern liegenden Armen verschwindet, erzählt der kurze Moment viel über das Machtgefälle und die Kontrolle in dieser Beziehung. Es dürfte kein Zufall sein, dass Coppola einen Schauspieler gecastet hat, der noch mal zehn Zentimeter größer als der reale Elvis ist, sowie eine Schauspielerin, die noch mal zehn Zentimeter kleiner als die echt Priscilla ist. Sie wird von Anfang an Bilder wie nun in „Priscilla“ im Kopf gehabt haben.

    Highlight: Musik, Bilder & Cailee Spaeny

    Schließlich ist Sofia Coppola eine sehr visuell denkende Regisseurin, die viel mehr über Bilder als über Worte erzählt. Dazu kommt der herausragende Einsatz von Musik, bei dem es Coppola sogar gelingt, eine Band wie die Ramones („Baby I Love You“ eröffnet den Film) einzubauen. Sicher kein Zufall ist, dass in diesem Film aus der Perspektive von Priscilla sehr oft weibliche Gesangsstimmen zu hören sind – was in der von Dolly Parton gesungenen Originalversion von „I Will Always Love You“ gipfelt.

    Vor allem aber ist „Priscilla“ der Film von Cailee Spaeny. Die Schauspielerin, die bereits als exaltierte Tochter von Kate Winslet in „Mare Of Easttown“ begeistert hat, verkörpert zu Beginn das kleine, stille Mädchen derart unterwürfig, dass es einem fast schon weh tut. Das Kunststück von Spaenys Spiel ist es aber, wie die Figur über den Lauf des Films ganz langsam ein eigenes Profil bekommt – bis zum großen Befreiungsschlag am Ende. Da geht es dann allerdings fast schon ein wenig zu rasant zur Sache, weil Coppola nach der sehr ausführlich erzählten Kennenlernphase dann irgendwann doch mit immer schneller folgenden Zeitsprüngen arbeiten muss.

    Fazit: Elvis-Fans dürften über die Darstellung ihres Lieblings entsetzt sein, doch das wird Sofia Coppola herzlich wenig jucken. Denn „Priscilla“ ist in erster Linie ein starker Film über eine einsame Frau.

    Wir haben „Priscilla“ beim Filmfestival Venedig 2023 gesehen, wo er als Teil des offiziellen Wettbewerbs seine Weltpremiere gefeiert hat.

     

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