Gewalt als Zweckmittel zum Ausdruck einer verrohten, von Zynismus und Kompromisslosigkeit geprägten Gesellschaft fand nicht erst unter Federführung eines Quentin Tarantino ihren Weg auf die Leinwände. George A. Romero, der dem Zombie- und Seuchenhorror in „Night of the Living Dead“ (1968) und „The Crazies“ (1973) gesellschaftskritische Botschaften beimengte, die Coen-Brüder in ihrer düsteren Film noir-Hommage „Blood Simple“ (1984) oder dem Gangster-Drama „Miller‘s Crossing“ (1990), sie und andere gaben der Gewalt einen ästhetischen Sinn über das Erzielen eines Schockeffektes hinaus. Verortet in seinen realistischen Milieu- und Charakterstudien tat dies auch der New Yorker Martin Scorsese. Im Depressionszeit-Drama „Boxcar Bertha" (1972) und dem Mafia-Krimi „Mean Streets“ (1973) herrschten die Brutalität der Straße, in „Wie ein wilder Stier“ (1980) die Härte des Boxrings. Seine intensivste Studie über die Gewalt, ihren Weg bis zum eruptiven Ausbruch und die Möglichkeiten ihrer Wirkung auf das Individuum und die Gesellschaft legte Scorsese aber wohl mit „Taxi Driver“ vor.
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Travis Bickle kann nicht schlafen. Um mit der vielen zusätzlichen Zeit, die ihm dieser Umstand beschert, etwas sinnvolles anfangen zu können, bewirbt er sich als Taxifahrer, übernimmt die wenig beliebten Nachtschichten und ist bereit, jederzeit überallhin zu fahren. Durch die dreckigsten, von Gewalt, Prostitution und dem Abschaum der Gesellschaft bevölkerten Gassen und Straßen kutschiert Travis seine Fahrgäste, lernt blutjunge Nutten, ihre Zuhälter, gehörnte Ehemänner mit Rachephantasien und einmal sogar einen Präsidentschaftskandidaten kennen. Auf seiner Rückbank und vor Travis‘ Augen sind sie alle gleich, sie sind der Dreck, der mit einer reinigenden Flut aus den Straßen gespült gehört. Oder die ganze Stadt sollte einfach gleich im weltgrößten Mülleimer landen. Travis fasst den Entschluss, etwas unternehmen zu müssen…
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„Taxi Driver“ bietet eine der intensivsten Mitfahrgelegenheiten durch die Irrwege eines gestörten Subjekts in einer gestörten Gesellschaft. Travis Bickle, dem Reiseführer und Antihelden dieses Trips, begegnet man an einem Punkt, an dem Isolation und Einsamkeit längst zum bestimmenden Gefühl seiner Existenz geworden sind, sofern sie es überhaupt jemals nicht waren. Travis fühlt sich zum bersten unwohl in einer Welt voller Killer, Junkies und Pussys, er fühlt sich verloren und bestätigt seinen Hass Nacht für Nacht, wenn er sich ausgerechnet in jene Gegenden begibt, in denen sich alles konzentriert, was er verabscheut und vom großen Regen aus den Straßen gewaschen sehen will. Er durchstreift New York als Beobachter, nicht als Teilnehmer, er ist schüchtern und ungelenk und schnell verunsichert im Umgang mit Frauen, still in Gegenwart seiner großspurigen Fahrerkollegen, die sich nachts zum Kaffetrinken treffen, Befriedigung und Ablenkung verschaffen ihm nicht menschlicher Umgang, sondern Pornokinos. Dennoch glaubt Travis an einen Ausweg, mehr noch, an die Erlösung, als er die engelsgleiche, weißgewandete Betsy kennenlernt, eine Wahlhelferin des aufstrebenden Senators Palantine. Einige Tage beobachtet Travis Betsy vom Taxi aus, dann fasst er Mut und spricht sie an. Tatsächlich springt sie auf Travis‘ Werben an, verabredet sich mit ihm zum Kaffee. Auf eine seltsame Weise scheint Travis einen Blick für die Dinge hinter der Fassade zu haben, schwankt dabei aber zwischen Zwiespälten und Widersprüchen.
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Auch „Taxi Driver“ ist ein Film der Widersprüche. Dies drückt sich mit Beginn der Titelsequenz durch den Score Bernard Herrmanns aus. Die Messer an die Kehle-drückende Orchestrierung wechselt sich mit sanften, in einer einlullenden Sicherheit säuselnden Jazz-Klängen ab. Dann sieht man Travis‘ umherwandernde Augen, die den Abschaum auf den Straßen bei seinem Treiben beobachten, Zeitlupen und Farbfilter machen aus dem Moloch New York den Vorhof seiner ganz persönlichen Hölle, seine Wahrnehmung, sein Empfinden überträgt sich einschnürend auf den Zuschauer. Aber es gibt auch die lockeren Momente im Wahlkampfbüro, in denen Betsy und ihr Kollege Tom umeinanderher scharwenzeln, Tom sich am Telefon über die Unterschiede zwischen We‘ are the people und We are‘ the people streitet und Betsy von der politischen Kraft und Ausstrahlung Palantines schwärmt. In der Begegnung zwischen Betsy und Travis nimmt der Film gar beinahe romantische Züge an, ihr Gespräch im Café, das von unaufdringlicher Natürlichkeit und Ehrlichkeit ist, aber hinter dem sich der Wahn Travis‘ verbirgt, wenn er Betsy erzählt, dass ihm ihr Kollege Tom und seine Art nicht passt. Zur fast absurden Komödie wird „Taxi Driver“, als Travis Betsy zu einem Date ins Pornokino schleppt. Als Betsy sich empört von Travis abwendet, seine Anrufe nicht mehr beantwortet und seine Blumen postwendend zurückschickt und sie sich in seinem Zimmer stapeln, erkennt Travis, dass auch sie zu den Schlechten gehört und ihn einzig ihre hübsche Tarnung getäuscht hat. Seine Einsamkeit, sein Unglück, das er ihn ihr zu sehen glaubte, ist die Errettung nicht wert. Betsy will sich nicht von Travis retten lassen, also muss es etwas Größeres für ihn zu tun geben. Es muss eine bedeutendere, eine lautere Antwort auf all den Dreck, das Verbrechen und den Missbrauch geben, dem er sich tagtäglich ausgesetzt sieht, den er durchwatet, der ihn von allen Seiten besudelt und dem nur eine große Tat entgegenwirken kann. Eine 44er Magnum. Eine 38er Snub Nose. Ein 25er Automatik Colt. Eine 380er Walther. Gute Argumente.
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Travis beginnt, seinen vernachlässigt Körper zu trainieren, seine vom vielen Sitzen erschlafften Muskeln wieder aufzubauen, er testet die Waffen und ihre Positionen an seinem Körper, nimmt vor dem Spiegel Posen ein, schüchtert imaginäre Gegner ein. Der Gedanke, der Wahn, in den sich Travis steigert, zu dessen Ausdruck er erwächst, wird allumfassend, als hätte sein ganzes Leben auf nichts anderes zusteuern können, als auf jenen Moment, in dem er plant, die Waffe auf den Präsidentschaftskandidaten zu richten. Aber da ist noch jemand anders. Da ist die 12jährige Prostituierte Iris, die eines Nachts in sein Taxi stolpert, ihrem Leben auf der Straße entkommen will, die von ihrem Zuhälter Sport dorthin zurückgeschleift wird. Auch ihr will Travis helfen, auch sie will er retten, den Schmutz von ihr abwaschen. Doch der verschlagene Sport weiß, wie er sich das Mädchen gefügig machen kann, umschmeichelt sie mit Worten und Nähe, nur um sie im nächsten Moment dem nächsten Freier anzupreisen und dessen Händen zu überlassen.
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In was „Taxi Driver“ nach vielen ruhigen, bohrend intensiven Passagen und einigen geradezu locker-belanglosen Szenen zum Ende hin übergeht, ist einer der heftigsten und druckvollsten Gewaltausbrüche der Kinogeschichte, ein einerseits nahe ans Unwirkliche verzerrter, andererseits ohne jede künstliche Stilisierung hereinbrechender Moment, der all das aus Travis heraus-, aber auch über ihn hereinbrechen lässt, was sechsundzwanzig Jahre in ihm aufgestaut haben, eine letzte, auf erschreckend nachvollziehbare Art gerechte Tat, seine Erlösung, sein Statement. »Listen, you fuckers, you screwheads. Here is a man who would not take it anymore. A man who stood up against the scum, the cunts, the dogs, the filth, the shit. Here is someone who stood up. Here is…«
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Vereinsamung, Zivilisationsfrust, die Furcht, an einer fremdgewordenen oder nie wirklich kennengelernten Welt zu verzweifeln, an ihr zu scheitern und den einzigen Ausweg in einem Akt der Gewalt zu sehen, ein Zeichen mit dem eigenen und dem Blut anderer zu setzen – „Taxi Driver“ hat nichts von seiner Aktualität verloren, dafür muss man nicht einmal die Berichte über Amokläufe in den Medien verfolgen, dafür muss man sich nur einmal selbst fragen, inwieweit einem noch eine standfeste Position in Zeiten von Arbeitslosigkeit, Wirtschaftskrisen und immer unpersönlicherem Miteinander geblieben ist. Martin Scorseses Film besitzt eine im Grunde verabscheuungswürdige Zeitlosigkeit, denn alles, was Travis Bickle in seiner Welt sieht, ist heutzutage so überdeutlich in ihr präsent, dass es nicht den Blick eines vom Wahnsinn getriebenen benötigt, um dies zu erkennen. Scorsese, Drehbuchautor Paul Schrader und Schauspieler Robert De Niro machen aus Travis Bickle einen Subjektivisten, der gleichzeitig und genauso aber auch objektiver Ausdruck des Gedankenguts Unzähliger ist, was seinen Charakter durch die voll auf ihn fixierte Sicht des Films weit über die Geschichte hinaus irgendwo zwischen dem Moment verortet, in dem jeder sich mal von der Welt und ihren Automatismen abgestoßen und angewidert fühlt und dem Moment, in dem bei den meisten dann doch die Vernunft einkehrt. Nur das Travis sich gegen die Vernunft entscheidet, gegen die eigene und gegen die Möglichkeit der Vernunft anderer.
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„Taxi Driver“ und seiner Bedeutung für das Medium Film, seiner Schwere und seiner Dimension, der Radikalität seines Charakterportraits kommt man mit hohlen Phrasen à la großartige Kameraarbeit, toller Soundtrack und überragendes Schauspiel nicht wirklich nah, auch wenn all dies natürlich vorhanden ist und zur Qualität des Films beiträgt. Weit darüberhinaus reichen aber beispielsweise die vielen Szenen, in denen „Taxi Driver“ die Auseinandersetzung mit Standpunkten provoziert: Travis Bickle erhebt Anklage gegen die offensichtlichen Missstände, gegen Gewalt und Prostitution, aber er ist auch ein Rassist, ein Ausländer-, ein Homosexuellen-, ein Minderheitenhasser, seine krakelige Handschrift und politische Ahnungslosigkeit untermauern seinen Mangel an Bildung, aus einem persönlichen Empfinden heraus leitet er das Recht ab, sich über das und jene zu stellen, die er hasst und ist selbst doch nur ein an den Rand gedrängtes Teilchen vom selben. Doch dieser Mann wird am Ende als Held gefeiert und auch wenn sich der Epilog des Films auf vielfache Weise deuten lässt, so bleiben doch die Fragen stehen: aus welcher Sicht ergibt es sich, dass jemand zum Helden oder Verbrecher, zum Helden oder Mörder, zum Helden oder Verrückten erklärt wird? Und was für eine Welt ist es, in der der Unterschied nur anhand derer ausgemacht wird, in deren Körpern die Kugeln am Ende stecken? Ist das eine Welt, in der jemand wie Travis Bickle nun ein Extrem ist? Oder ist er die Mitte, deren Taten von Außen dem einen oder anderen Extrem zugeordnet werden? »Hey, I'm not square, you're the one that's square.« Damit könnte er wohl Recht haben…
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Komplette Review siehe: http://christiansfoyer.wordpress.com/2010/03/03/classic-taxi-driver/