Vorab: Ich hatte ein gutes Vorgefühl bei diesem neuen Biker- Film auf Englisch (O.m.dt.U.), was beim Filmbesuch, wie so oft, dringend zu empfehlen ist. Regisseur Jack Nichols, welcher gerade auch unter pekuniären Gesichtspunkten, den Mut aufbrachte, diesem etwas abgehalftertem Genre, was nicht despektierlich gemeint ist, welches gleichwohl so gar nicht mehr in unsere digital- smarte, gender- sensible, anti- maskuline Zeit passen mag, erneut Leben einzuhauchen, muss schon eine besondere konzeptuelle Idee im Hinterstübchen gehabt haben um einen Flop an der Kasse zu verhindern -und genau eine solche Produktionsidee hatte er!
Jack Nichols entnimmt seinen titelgebenden Filmstoff der Romanvorlage von Danny Lyon. Dieser profilierte sich als Photograph und Szene- Insider in den Mitt- 60-er Jahren als Chronist der US- amerikanischen Biker- Subkultur und hat mit seinen ikonographischen Bildbänden ein kulturgeschichtliches Zeitdokument hinterlassen.
Die Erzählstruktur des Films entwickelt sich im Rahmen eines Interviews, welches eben die Filmfigur Danny Lyon mit der weiblichen Protagonistin des Streifens Kathy (Judie Comer) und Ehefrau des Anti- Helden Benny (Austin Butler), die Abfolge der Ereignisse rekapitulierend, führt. Ein Kunstgriff, welcher auch den realgeschichtlichen Hintergründen der fiktiven Filmstory Rechnung trägt.
Das junge, introvertierte Gang- Mitglied Benny erinnert als Typus, nicht zuletzt auf Grund seiner Frisur, unweigerlich an den ,,Rebel with no cause“ James Dean. Auch der Präsident des Chicagoer 1%- Mother- Chapter ,,Vandals“, Jonny (Tom Hardy), ruft Bilder wach an den jungen Marlon Brando, als dieser, in dem noch in der berüchtigten Mc Carthy- Ära produzierten, frühen Biker- Film ,,Der Wilde“ (1953), den gleichnamigen Gang- Boss ,,Jonny“ verkörperte. Der Film erzählt exemplarisch für so viele der damaligen Biker- Clubs, in emblematischen Szene- und Handlungsabfolgen, die Ursprünge und Entwicklung dieser in Deutschland so benannten ,,Rocker- Clubs“, bis zu deren Degeneration und Abdriften in die organisierte Kriminalität. Der Gründungsmythos der US- Motorrad- Clubs ist historisch vor dem Hintergrund der damals von der AMCA (American Motor- Cycle Association) organisierten Motorrad- Rennen zu sehen, den Ereignissen um randalierende Biker an den Renn- Wochenenden in der Kleinstadt Hollister, den mit solchen Regelverstößen gegen den Anstand und die guten Sitten ( u.a. Wildpinkeln an Hauswände, Trinken in der Öffentlichkeit) begründeten Ausschlüssen aus eben dieser AMCA, sowie den selbstorganisierten Zusammenschlüssen in ,,1%- er MCs“ als Antwort darauf. Hierüber liegt mittlerweile eine breite Palette an Belletristik und Fachliteratur zum Nachlesen vor und braucht nicht weiter ausgeführt zu werden.
Ich neige bei einigen Filmen zur euphorischen Begeisterung - hier ist sie nicht verkehrt! Es mag wohl abgedroschen klingen: Die Liebe zum Film im Kino kann immer wieder neu entfacht werden! Dieser Film ist eine Wucht, sowohl schauspielerisch, szenisch, den kongenialen, die Handlung nicht übertölpelnden Musik- Mix von David Wingo, die überwältigenden akustischen Effekte, seine filmhistorischen Reminiszenzen und insbesondere der emotionalen Gratwanderungen, welche dramaturgisch aufgeboten werden, getönt von einer abgrundtiefen Traurigkeit der Filmcharaktere, nicht geweinten Tränen, welche durchgehend von impulsiver Gewalt ventiliert werden. Traurig- komisch auch das Suff- Gestammel als kommunikativer Notbehelf zum Erhalt der fragilen Gruppenkohäsion der Patch- Träger. Jedes einzelne Gesicht dieser Gang- Mitglieder zeugt von den Spuren eines von Beginn an beinharten Lebens. Später im Film gesellen sich noch die Opiat- Gesichter der aus dem Vietnam- Krieg zurückgekehrten, brutalisierten, seelisch zerrütteten, jegliche Tötungshemmung verloren habenden, GI‘s zu diesem Biker- Chapter hinzu, was die Zündschnüre zur Gewaltbereitschaft noch einmal verkürzt und das haltgebende, soziale Gefüge sukzessive zur Desintegration treibt. Dies ist kein moderner Western, er denunziert nicht moralinsauer seine Protagonistinnen, er führt sie nicht vor, wie in so vielen seiner Vorgängerfilmen, er verzichtet auf vordergründige kausale, psychologisierende Narrative, liefert keine Steilvorlagen für ein selbstgerechtes, bürgerliches Naserümpfen, entzieht uns die verschiedenen Möglichkeiten, der inneren Distanzierung, erlaubt es uns nicht, diese menschlichen Outdrops zu pathologisieren oder sonstige Abwehrreflexe gegen diese fremde, subkulturelle Welt zu mobilisieren. Gleichermaßen transportiert dieser Film auch nicht das Klischee des in so vielen Filmkritiken apostrophierten ,,Freiheitsmythos“, welche solche abgerissenen Typen auf ihren dröhnenden ,,Zweirädern“ unterstellt suchen. Im Gegenteil: Diese optisch vorgealterten, jungen Männer sehnen sich insgeheim nach nichts mehr, als in der stinknormalen Bürgerlichkeit ihren Platz finden zu dürfen, einer Gesellschaft, die aufgrund ihrer hohen, sozialstrukturellen Hürden, genau dies den Menschen von Beginn an nahezu verunmöglicht hat.
Durch seine bruchlos durchgehaltene Balance in der Darstellung gebrochener Typen liefert der Film eine Innenansicht der provinziellen Biker- Subkultur der Mitte 60- er bis Anfang 70- er Jahre und verweist dennoch und zwar ohne obligatorischen, moralischen Zeigefinger, auf die nicht subkulturelle Normalität der pomadig- kleinbürgerlichen Kleinstadt- Familien- Höllen als deren Spiegelbild und als die eigentlich nährende Parallelwelt in ihrer ganzen Spießigkeit, ihrem Hass auf alles Abweichende, inklusive ihren Gewalt- Alkohol- Exzessen, was implizit den eigentlichen Skandalon ausmacht. Dennoch sprechen wir hier nicht von einem Menschen- Zoo, sondern von den Insassen eines Soziotops der von sozialem Abstieg bedrohten oder bereits ins soziale Aus gekickten, welche sich mit Gelegenheitsjobs irgendwie über Wasser halten. Die auch heute noch in fast jedem kleinen, miefigen amerikanischen Kaff vorfindbaren Rednecks geben auch hier den Ton an und bestimmen das soziale Kontrollmaß. Angebote zur Identifikation, die Erfüllung von finalen Gerechtigkeitsansprüchen o.ä. werden in diesem Film selbstredend nicht geboten.
Nach Maßgabe dieser normierten Realität wird sowohl szenisch als auch dramaturgisch mit dem gängigen Set von Klischees, Typisierungen und extrem gewaltförmigen Choreografien gearbeitet. Der Film ist ein Biker- Film, nicht mehr und nicht weniger, dennoch muss man selbst kein Biker sein, um den Film zu mögen, man kann sich auch ganz auf das Genießen des filmhandwerklichen Geschicks konzentrieren, sich auf die Authentizität seines ästhetischen Realismus einlassen, gleichsam auf die grandiose Schauspielkunst aller Charaktere, wie auch auf die fast wie ein Uhrwerk auf die stille Katastrophe hinzu tickende Filmhandlung spannungsvoll warten, um am Ende dennoch etwas überrascht zu werden und so zufrieden den Kino- Saal verlassen zu dürfen. Der rhythmische Wechsel zwischen drastischen Gewaltszenen, abgelöst von fast meditativ anmutenden, ästhetisiert verlangsamten Szenen der dahingleitenden Bikes bei Gruppenfahrten, gleich überkommen religiösen Prozessionen, wirken bedrohlich und verstörend schön zugleich. Eingeübte Rituale der Selbstvergewisserung und Machtdemonstration. Diese Szenen des motorisierten Gruppenauftritts mit den kalkuliert adressierten Gaffern an den Straßenrändern, bergen immer auch unvermeidbare Momente der Komik eines jeden Rituals maskuliner Stärkedemonstration. Dieser Eindruck wird im Detail durch die sehr aufrechte Sitz- Ergonomie der damaligen Motorräder noch verstärkt. Der Kult um die Bikes und die Patches auf den Kutten als Symbol der eigenen, wenn auch prekären Existenz und Nimbus identitärer Zugehörigkeit, durchzieht den Film wie ein roter Faden. Entziehen kann man sich dem filmischen Szenario dennoch nicht. Das gesamte Genre- Material liegt ja parat da, muss nicht neu erfunden, hochgepuscht und digital mit Dynamit versehen werden. Auf all das verzichtet der Regisseur Jack Nichols. Ebenso wie der herrlich rollend- dröhnende Soundtrack der alten Harley- Twins ist der Film große, handwerkliche- und vor allem moderne Film- Kunst. Wenn dieser Film eine Botschaft für sein Publikum bereit hält, dann könnte diese darin bestehen, den richtigen Zeitpunkt zur Beendigung einer Beziehung zu einem Menschen oder, wie hier im Film, zu einem Club, wenn diese sich allmählich erschöpft hat, nicht zu verpassen und sich dadurch das weitere Leben zu verbarrikadieren. Es lohnt sich, das Alte hinter sich zu lassen, um das Risiko eines Neuanfangs eingehen zu können.einzugehen. Seine ökonomische Klasse kann man nicht ohne Weiteres verlassen, die Wahl seiner sozialen Kontakte und deren Gestaltung, in einem nicht geringen Maße jedoch schon. Die Frage des ,,wie“ der Bearbeitung des Materials, des Stoffes, ist hier wirklich gut gelöst. Form und Inhalt passen im spannungsvollen Miteinander zusammen - was will man mehr?