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    Ezra - Eine Familiengeschichte
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Ezra - Eine Familiengeschichte

    Bittersüßer Witz und coole Filmzitate

    Von Gaby Sikorski

    Kino und Autismus – da gibt es einen einzigen Film, der noch immer alles überstrahlt: Barry Levinsons Mega-Hit „Rain Man“ aus dem Jahr 1988, mit Dustin Hoffman und Tom Cruise in den Rollen zweier ungleicher Brüder. Doch der Klassiker mit seinen auch in der Erinnerung noch sehr präsenten Bildern hatte auch einige unerwünschte Spätfolgen: Bis heute prägt „Rain Man“ das Verhältnis vieler Menschen zum Autismus. Doch nicht jeder Mensch mit ASS, so die heutige Abkürzung für die Autismus-Spektrum-Störung, kann keine Gefühle zeigen, verfügt über eine Inselbegabung, ist ordnungsfanatisch und quasi unfähig zur Kommunikation mit anderen. Nicht alle Autist*innen sind so penibel wie Monk oder Sheldon Cooper.

    Vielleicht ist es deshalb einfach an der Zeit für einen Film über ASS, der mit ein paar alten Vorurteilen aufräumt. Und was wäre dafür besser geeignet als eine intelligente Komödie – so wie „Rain Man“, aber doch irgendwie anders? Zum Beispiel eine, deren Autor tatsächlich Vater eines autistischen Kindes ist, so wie Tony Spiridakis. Einer seiner besten Freunde – und nebenbei Patenonkel seines Sohnes – ist der Regisseur und Schauspieler Tony Goldwyn („Der letzte Kuss“). Gemeinsam mit Oscargewinner Robert De Niro, der ebenfalls einen autistischen Sohn hat, entwickelten sie das Drehbuch zu „Ezra – Eine Familiengeschichte“, der ASS thematisiert, aber eigentlich nicht in den Mittelpunkt stellt, sondern in einer temporeichen und klug ausgedachten Handlung verpackt.

    TOBIS Film GmbH
    Max (Bobby Cannavale) und Ezra (William A. Fitzgerald) fahren einmal quer durch die USA für einen Auftritt in der Late-Night-Show von Jimmy Kimmel.

    Im Kern geht es in der unterhaltsamen, aber keinesfalls oberflächlichen Komödie – wie der deutsche Untertitel schon andeutet – um eine Familiengeschichte. Manches wirkt da vielleicht ein bisschen konstruiert, aber miteinander klarkommen, einander akzeptieren und zu mögen, das ist die Herausforderung für diese kaputte Familie, in der die Mutter Jenna (Rose Byrne) als einzige ein wenig erfrischende Normalität beisteuert. Der männliche Teil der Familie ist da deutlich schwieriger im Umgang, wobei der jüngste Vertreter, der elfjährige Ezra (William A. Fitzgerald), obwohl autistisch, noch der unkomplizierteste ist. Vater Max (Bobby Cannavale) hingegen ist eine wandelnde Katastrophe. Der kriegt nämlich einfach nichts gebacken, schlägt sich nur mühsam mit kleinen Auftritten als Stand-up-Comedian durch. Außerdem wohnt er wieder bei seinem Vater Stan (Robert De Niro). Max‘ Lebenseinstellung ist zutiefst negativ, er ist ein Choleriker mit extrem kurzer Zündschnur. Von sich selbst sagt er: „Aus jeder schlimmen Situation mache ich eine noch schlimmere.“

    Ezra gegenüber möchte er allerdings den Übervater spielen, wobei er seinen Sohn manchmal vollkommen unnötig herausfordert. Eigentlich wünscht er sich Ezra als jüngere und perfekte Ausgabe von sich selbst. Dass er anders ist, kann und will er nicht akzeptieren. Als Ezra wegen seines Verhaltens mal wieder von der Schule fliegt und endgültig in eine Förderanstalt kommen soll, dreht Max am Rad und kommt schließlich auf die dämlichste aller Ideen: Er entführt sein eigenes Kind, woraufhin die besorgte Mutter natürlich die Polizei ruft. Als sie erkennt, was sie mit dem Anruf bei den Behörden angerichtet hat, verbündet sie sich mit Opa Stan, um Max und Ezra vor dem FBI zu finden. Der abenteuerliche Roadtrip laviert manchmal hart am Rande der Glaubwürdigkeit und führt quer durch die USA bis nach Kalifornien, wo Max in der berühmten TV-Show von Jimmy Kimmel auftreten soll – falls er nicht vorher geschnappt wird...

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    Jenna (Rose Byrne) und Stan (Robert De Niro) nehmen die Verfolgung auf, um Max vor sich selbst (und dem FBI) zu schützen.

    Der Junge kann einem beinahe leidtun – nicht etwa wegen seiner ASS, sondern wegen dieses Vaters, der sich oft wie die Axt im Walde verhält. Nur wenn er als Stand-up-Comedian mit großer Ehrlichkeit von seinem Leben erzählt, scheint es, als ob Max mit sich selbst im Reinen ist. Dann ist er sehr komisch in seiner bittersüßen, sarkastischen Selbsterkenntnis. Diese vielschichtige Persönlichkeit – irgendwo zwischen Kotzbrocken und Kuschelbär – erinnert in ihrer knuffigen Ausstrahlung manchmal an den jungen Jeff Goldblum. Bobby Cannavale spielt das mit viel verzweifeltem Witz, aber auch sehr glaubwürdig: ein zutiefst unglücklicher Kerl, der nicht besonders sympathisch ist, ein Loser, der alles falsch macht. Aber irgendwie mag man ihn trotzdem. Durch die Reise mit seinem Sohn wird Max gezwungen, sich als Vater neu erfinden. „Ich bin nicht dein Kumpel, ich bin dein Sohn“, sagt Ezra zu Max, der sich ständig und zwanghaft mit seinem Vater anlegt. Der alte Stan hingegen hat alle Lernprozesse bereits hinter sich und eine Altersweisheit erlangt, die er mit knurrigem Humor kombiniert. Robert De Niro spielt ihn mit grimmigem Charme. „Er hat geflennt, oder?“, fragt er Max‘ One-Night-Stand am Morgen, als Max längst abgehauen ist. Und dann macht er ihr Frühstück.

    Rose Byrne spielt die Mutter mit unbeirrbarem Sinn fürs Praktische. Sie liebt ihren Sohn so, wie er ist, und will ihn am liebsten ständig beschützen. Zu den Ritualen zwischen ihr und Ezra gehört, dass sie ihn beruhigen kann, wenn sie ihn sanft am Ohrläppchen massiert. Und nur von ihr lässt er sich anfassen. Die größte Überraschung aber ist der auch im realen Leben autistisch veranlagte William A. Fitzgerald. Er spielt den charismatischen Ezra nicht nur sehr authentisch, sondern er gibt ihm einen ganz besonderen, sehr liebenswerten Touch, unter anderem durch zahllose Filmzitate und fantasievolle Verkleidungen. Als Dude aus „The Big Lebowski“ begleitet er seinen Vater zum Auftritt und holt sogar den einen oder anderen Lacher für ihn heraus. Aber er ist kein jüngeres Abbild seines Vaters, im Gegenteil: Er hat seinen eigenen Kopf. Mit der Gefühlswelt und dem Verhalten seines Sohnes kommt Max teilweise überhaupt nicht klar. Er vergisst, dass Ezra sich leicht verbrennt, weil er heißes und kaltes nicht unterscheiden kann, und dass Ezra nur von Plastikbesteck isst, weil er kein Metall im Mund ertragen kann. Aber womöglich kann Max von seinem Sohn trotzdem etwas lernen, zum Beispiel, wie man mit dem eigenen Leben klarkommt.

    Fazit: Keine leichte Dideldum-Komödie, sondern eine ziemlich ambitionierte Geschichte, die es sich nicht leichtmacht. Die Story vom Vater, der bei einem Roadtrip ein neues Verhältnis zu seinem Sohn findet, erinnert manchmal ganz leise an „Rain Man“, ist aber im Wesentlichen eine schwungvolle Tragikomödie mit vielen überraschenden Wendungen. Dabei geht es weniger direkt um Autismus als vielmehr um die Männer einer dysfunktionalen Familie, die sich auf der Flucht vor dem FBI zusammenraufen müssen.

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