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    Sick Of Myself
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Sick Of Myself

    Die Sucht nach Aufmerksamkeit bis zum bitteren Ende gedacht

    Von Gaby Sikorski

    Andy Warhols bekanntes Zitat von den „15 Minuten Ruhm“ für jeden Menschen könnte auch als Motto über der dunkelschwarzen Satire „Sick Of Myself“ stehen. Für Warhol als multimedialen Künstler und bekennenden Narzissten existierte ein konkreter Zusammenhang wischen Aufmerksamkeit und Marktwert. Tragischerweise war er selbst der beste Beweis dafür: Erst das Attentat der Radikalfeministin Valery Solanas, das er nur knapp überlebte, machte ihn zum Superstar der Pop-Art und ließ die Preise für seine Werke explodieren.

    Dass 15 Minuten nicht ausreichen, um auf Dauer erfolgreich zu sein, und ein gewisser Zynismus ebenfalls eine Rolle spielt, zumindest wenn es um Kunst und Kultur geht, war schon seinerzeit kein Geheimnis. Relativ neu dagegen sind die Möglichkeiten, die sich durch die Sozialen Medien ergeben. Dabei sind einige alles andere als zimperlich – besonders dann, wenn sie bereits erlebt haben, wie kurzlebig das öffentliche Interesse sein kann.

    Signe (Kristine Kujath Thorp) schluckt die Pillen wegen ihrer Nebenwirkungen – denn für die Aufmerksamkeit will sie so krank wie nur möglich aussehen.

    In Kristoffer Borglis Kinodebüt, das in Oslo spielt, geht es zunächst ebenfalls um den Kunstmarkt: Thomas (Eirik Sæther, der auch im wahren Leben ein bildender Künstler ist und hier seine erste Filmrolle verkörpert) hat sich darauf spezialisiert, hochwertige Sitzmöbel zu stehlen, um sie dann zu Kunstwerken zu verarbeiten. Er verfügt generell über eine – freundlich ausgedrückt – laxe Einstellung zum Eigentumsbegriff und prellt gern mal die Zeche im Luxusrestaurant, um hinterher auf Partys damit anzugeben. Signe (Kristine Kujath Thorp) ist nicht nur seine Freundin, sondern auch seine Komplizin bei diesen Aktionen, die im Freundeskreis auf Beifall und Bewunderung stoßen.

    Seit Thomas mit seinen großformatigen Objekten erfolgreich ist, hat Signe jedoch immer mehr ein Probleme damit, dass er so oft im Mittelpunkt steht. Es scheint, als ob sich niemand mehr für sie interessiert. So kommt die findige Signe auf eine ebenso originelle wie gefährliche Idee: Sie organisiert sich ein russisches Medikament mit gefährlichen Nebenwirkungen und nimmt dieses gleich packungsweise. Schon bald sieht sie aus wie ein Opfer der Pest oder einer ähnlich schlimmen Krankheit – aber zumindest ist ihr so die Aufmerksamkeit ihrer Peers sicher…

    Aufmerksamkeit um jeden Preis

    Zwei Narzisst*innen, ein Gedanke – aber wer gewinnt das Spiel um die Aufmerksamkeit? Kristoffer Borgli nimmt die Beziehung zwischen Thomas und Signe als Ausgangspunkt für eine Anti-RomCom, eine wahrhaft unromantische Komödie mit einem Touch von Horror, die in ihrer satirischen Wirkung und mit ihrem schwarzen Humor mitunter an Ruben Östlund („Triangle Of Sadness“) erinnert, dabei aber eine sehr eigene Atmosphäre und ein originäres Tempo entwickelt. Lediglich im Mittelteil stagniert die Handlung etwas. Dass es sich hier tatsächlich um eine Komödie handelt, wenn auch um eine von der streckenweise horrorhaften Art, bei der einem das Lachen immer wieder im Halse stecken bleibt, zeigt sich auch in der Kameraarbeit. Da springt die Kamera manchmal wie in einer Screwball-Komödie blitzschnell von einem zum anderen und kurze augenzwinkernde Zwischenschnitte fungieren als ironische Kommentare.

    Borgli kreiert seinen absurd-abgründigen Humor vor allem daraus, dass er die Ideen vom Narzissmus als Karriere-Booster und dem (medialen) Ausschlachten einer Krankheit gnadenlos bis zum Ende durchdenkt. Dabei zeigt der Regisseur, was er offenbar sehr gut kennt: ein bestimmtes urbanes Milieu gut ausgebildeter, intelligenter und medial vernetzter junger Leute, die sich vermutlich mittlerweile fast überall auf der Welt ähneln. Thomas und Signe gehören dazu, sie verbindet eine Beziehung, die man toxisch nennen könnte oder auch konkurrierend oder dysfunktional. Zu Beginn sieht es danach aus, als ob Signe unter der Fuchtel von Thomas steht und darunter leidet, dass er sich auf ihre Kosten profiliert. So schafft Borgli Sympathie für die Zukurzgekommene.

    Halbtot aber glücklich! Die Pillen haben ihre abgründi-zerstörerische Wirkung entfaltet…

    Und Kristine Kujath Thorp („Ninjababy“) spielt die Signe absolut perfekt: Sie gibt sich anfangs bescheiden und zurückhaltend. Nur in ihren Fantasien und Träumen, die zu Beginn beinahe spielerisch eingeflochten werden und immer mehr an Kraft und Komik gewinnen, wagt sie es, sich ihre Wünsche vom Weltruhm und von der globalen Beliebtheit zu erfüllen. Immer mehr zeigt sie dann ihr wahres Gesicht, das sich durch die Nebenwirkung der Medikamente optisch grausam verändert: Sie genießt die Aufmerksamkeit, die sie dadurch gewinnt und von der sie nicht genug bekommen kann. Kristine Kujath Thorp gelingt es, die Signe trotz der bizarren Story vollkommen glaubwürdig zu gestalten: Eine Narzisstin zerstört ihr Äußeres, um beachtet zu werden? Im Verlauf erweist sich diese Geschichte als immer weniger abwegig. Denn was liegt unter der Oberfläche einer oberflächlichen Persönlichkeit?

    Die begabte Darstellerin macht aus der schonungslosen, leicht gruseligen Geschichte um Signe eine doppelbödige Identitätssuche und spielt mit viel Mut zum schwarzen Humor diese Frau, die im Grunde nichts anderes ist und sein kann als das, was sie in den Augen der anderen sieht. Wie weit muss, wie weit kann sie gehen? Borgli überschreitet dabei Grenzen, auch manchmal die des guten Geschmacks. Er verzichtet auf klare Statements, seine boshafte Komödie ist so vielschichtig und sie enthält genug Gesellschaftskritik, da müssen weder Soziale Medien noch Moderne Kunst oder die allgemeine Kommerzialisierung verteufelt werden, obwohl er kräftig in viele Richtungen austeilt. Weder Gut noch Böse werden in diesem Film oder in der Beziehung zwischen Signe und Thomas klar benannt – beide nehmen sich schließlich kaum etwas in ihrem Streben nach Aufmerksamkeit.

    Fazit: Kristoffer Börgli erkundet in seiner boshaft komischen, teilweise zynischen Geschichte die Grenzen zwischen Originalität, Selbstverliebtheit und Persönlichkeitsstörung. Dabei pikt er mit dem Zeigefinger direkt dorthin, wo es wehtut oder wo es kitzelt, und manchmal auch beides gleichzeitig. Sein unbequemer Humor nimmt dabei vieles aufs Korn, was nicht nur junge Menschen bewegt, vor allem aber den übersteigerten Drang nach Aufmerksamkeit.

     

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