Sollte man den nächsten "Top Gun" einfach in der Ukraine drehen?
Von Janick NoltingChaos und Hektik liegen über den ersten Bildern von „Superpower”. TV-Moderator*innen sprechen durcheinander, Menschen rennen durch Gänge, die Kamera kann sich gerade so an ihre Rücken heften. Es ist der 24. Februar 2022, Kriegsbeginn, Russland greift die Ukraine an. Am Horizont leuchtet der Himmel bedrohlich, aus der Ferne sind Einschläge zu hören. Sean Penn und Aaron Kaufman sind mittendrin. Ihr gemeinsamer Film „Superpower” ist ein Zeitdokument des globalen Umbruchs. Dabei war alles ganz anders geplant.
„Superpower” muss zunächst einen Rahmen für ein Projekt finden, das vom politischen Tagesgeschehen über den Haufen geworfen wurde. Ursprünglich sollte 2021 ein Film über den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj entstehen. Ein Comedian, Schauspieler und Star, der sich zum Politiker und Staatsoberhaupt emporschwingt – das ist ein Stoff für die große Leinwand. Penn und Kaufman montieren skurrile frühere Auftritte Selenskyjs in TV-Shows, Serien, Filmen. Es geht um die Verschränkung von Fiktion und Realität: Politik als Entertainment. Das kennen Penn und Kaufman auch aus den USA. Doch mit Kriegsbeginn treffen beide Selenskyj nun unter ganz anderen Vorzeichen.
Es hätte „Superpower“ vermutlich gutgetan, wenn Sean Penn selbst nicht ganz so omnipräsent und eitel darin auftreten würde.
Es ist durchaus ein Verdienst dieses rund zweistündigen Dokumentarfilms, wie bestrebt er zunächst eine Ordnung in seinen Stoff zu bringen versucht. Die historische Aufarbeitung der vergangenen Jahre in der Ukraine kann natürlich nur im Zeitraffer geschehen. Einzelne Schlaglichter müssen ausreichen: die Annexion der Krim, Selenskyjs Wahlkampf oder auch die Ukraine-Affäre rund um Donald Trump werden etwa angeschnitten. Aber immerhin! „Superpower” ist beflissen, Verknüpfungen und Kontexte darzustellen und den Krieg nicht einfach als plötzlichen Einbruch zu begreifen.
Nur geht ihm der kühle Kopf dabei allzu schnell verloren, das Weltgeschehen erscheint zu unübersichtlich. Man kann das gut ablesen an Sean Penns gezeichnetem Körper, der sich als Protagonist des Films eine Bühne bereitet. Immer wieder ist er beim Rauchen, Trinken, Nachdenken und Zuhören zu sehen: angestrengte Blicke, erschöpfter Ausdruck. Man kann erahnen, wie es da rattert und arbeitet im Gehirn. Als Stellvertreter für alle Ahnungslosen will er aus der Ukraine berichten. Hautnah erleben, statt nur die Nachrichten aus der Ferne zu verfolgen. Aber hat sich die Reise in das Krisengebiet wirklich gelohnt?
Sean Penn holt sich als Kriegstourist Expert*innen-Meinungen ein. Zwischendrin zwängt er sich in Militäruniform oder begibt sich einmal selbst in Bunkeranlagen. Für diesen reichlich oberflächlichen Film springen dabei vor allem heroische Bilder des forschenden Stars heraus. Die Gespräche, die Penn mit Selenskyj führt, könnten derweil für das Publikum teils substanzloser kaum sein. Man bekommt sie ohnehin nur ausschnitthaft zu sehen. Penn bleibt einer, der sich allein über alles wundern kann. Immer und immer wieder spricht er in die Kamera, wie inspirierend diese Begegnung mit den Ukrainer*innen für ihn war, wahlweise euphorisch oder tief gerührt mit Tränen in den Augen.
Alles schön und gut, nur findet „Superpower” überhaupt keinen differenzierten Blick auf seine eigene Medialität und Beobachterposition. Er montiert in Found-Footage-Manier Bilder und Videos aus TV und Internet zum grellen Überwältigungseffekt. Kaum eine Szene kommt ohne treibende, dramatische musikalische Untermalung aus. Alles strebt permanent in Richtung Spannung, Effekt und großer Emotion. Krieg als mediale Attraktion. Ein Hollywood-Star, der sich für die Recherche in Gefahr begibt. „Superpower” bleibt damit vor allem eins: reißerisch.
Letztlich handelt es sich eben nicht um ein Werk wie „Mariupolis” oder „Mariupolis 2” des ermordeten Regisseurs Mantas Kvedaravičius, dem es tatsächlich gelang, einen originellen, unaufgeregten und dennoch ungeschönten Blick auf den Alltag des Kriegs in der Ukraine zu werfen. „Superpower” schafft es überhaupt nicht, jemals seine naive Perspektive zu wechseln oder einen Eindruck vom Krieg zu vermitteln, der jenseits von Hurra-Patriotismus und Heldenmut sein Elend offenbart.
Stattdessen wiederholt er allein Altbekanntes, reproduziert vorherrschende Mythen, die sowieso allgegenwärtig sind: Die ukrainische Bevölkerung als große Einheit, in der jede*r bereit zu sein scheint, den Opfertod zu sterben. Weiter dringt dieser Film nicht vor. Wie die Jugend für den Krieg ausgebildet wird, unterlegt er mit heiteren Klängen, als handle es sich um ein Kinderspiel.
Selenskyj erzählt hier im Interview, dass die USA selbst kämpfen werden müssen, sollte die Ukraine verlieren. Mit dieser Drohung kehrt Sean Penn in die Heimat zurück. Der Tourist und Aktivist schwärmt von der fremden Nation, der er begegnete, wie von einem Sehnsuchtsort. Gesellschaftliche Einigkeit als Vorbild für die USA. Als würde an der ukrainischen Not- und Verteidigungssituation irgendetwas reizvoll sein! Das ist Verblendung, Hollywood-Spektakel, das dem Schrecken der immer noch aussichtslos erscheinenden Konfliktlage nicht gerecht wird.
Konsequent führt die schrägste Szene von „Superpower” dann auch in einen Kinosaal: ausgerechnet zu „Top Gun: Maverick”. Hier geht die Verflechtung von Fiktion und Realität weiter und lässt tief blicken: das Zelebrieren des Militärs, geschlossen gegen einen gemeinsamen Feind. Die USA schauen auf ihr imaginiertes Ideal. Draußen vor dem Saal schlägt ein ukrainischer Pilot im Videotelefonat mit Schauspieler Miles Teller vor, man könne den nächsten „Top Gun” doch einfach in der Ukraine drehen! Der Film lässt eine solch zynische Bemerkung unkommentiert und salopp stehen.
Die Bilder von „Superpower” treten unbehaglich mit jenen eines popkulturellen Produkts wie „Top Gun” in Dialog. Auch da geht es bewaffnet in den Sonnenuntergang, den Blick entschlossen und siegessicher in die Ferne gerichtet. Wenn „Superpower“ solche schwülstig verklärenden Tableaus und Porträtaufnahmen aneinanderreiht, hat sich schon jede klare Struktur aufgelöst. Stutzig über seine eigene Inszenierung wird der Film sowieso nicht. Man wiederholt sich nur noch im gezollten Respekt, ohne die Rolle als Filmschaffende und die Macht der eigenen Aufnahmen kritisch zu beleuchten. Es bleibt ein einziger konfuser Gedankenstrom inmitten der Schnelllebigkeit der Gegenwart.
Fazit: Sean Penn und Aaron Kaufman bemühen sich um eine Analyse der Ukraine in Kriegszeiten, wiederholen dabei aber nur unreflektierte Mythen und dringen in keiner nennenswerten Weise hinter täglich omnipräsente Medienbilder vor.
Wie haben „Superpower“ im Rahmen der Berlinale 2023 gesehen, wo er als Berlinale Special seine Weltpremiere gefeiert hat.