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    Nawalny - Gift hinterlässt immer eine Spur
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Nawalny - Gift hinterlässt immer eine Spur

    Putins Staatsfeind Nr. 1 bleibt weiter ein Mysterium

    Von Michael Meyns

    Seit gut zwei Monaten tobt der Krieg in der Ukraine, Berichte über Waffen(nicht)lieferungen, Frontlinien und Kriegsverbrechen gehören inzwischen fast schon zum Alltag. Doch wie soll der Krieg enden? Eine Hoffnung ist ein Regimewechsel in Moskau, doch wer sollte auf Putin folgen? Ein möglicher Kandidat war lange Zeit der ehemalige Anwalt Alexej Nawalny, der sich in den vergangenen zehn Jahren vor allem durch die intelligente Nutzung der Sozialen Medien zum wichtigsten Oppositionspolitiker Russlands entwickelte – bevor er fast ermordet wurde. Während seiner Zeit im deutschen Exil wurde er von dem amerikanischen Regisseur Daniel Roher begleitet, der in seinem Dokumentarfilm „Nawalny“ nun einige bemerkenswerte und oft haarsträubende Sequenzen zeigt, sich einer notwendigen tiefergehenden oder gar kritischen Analyse von Nawalnys politischen Positionen allerdings entzieht.

    Einer breiteren Öffentlichkeit wurde Alexej Nawalny im August 2020 bekannt, als sich vor den Augen der Weltöffentlichkeit ein Agenten-Thriller abspielte: Auf einem Flug von Nowosibirsk nach Moskau wurde Nawalny plötzlich von heftigen Schmerzen geplagt. Nach einer Notlandung in Sibirien kam er in ein lokales Krankenhaus, konnte dank des Einsatzes der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel aber nach Berlin ausgeflogen werden, wo er knapp überlebte. Bald stellte sich heraus, dass Nawalny mit dem Nervengift Nowitschock vergiftet wurde. Es ist ein schnellwirkendes Mittel, das nur wenige Stunden nach dem Einsatz nicht mehr im Körper festzustellen ist, aber wenn es entdeckt wird, unzweideutig nach Moskau weist. In den Monaten nach dem Anschlag lebte Nawalny zusammen mit seiner Frau Julija und ihren beiden Kindern im Exil im Schwarzwald und vor allem dort beobachtete sie Daniel Roher…

    Mit seinem Verständnis der Sozialen Medien tritt Alexej Nawalny quasi in die Fußstapfen von Barack Obama.

    Zusammen mit dem bulgarischen Investigativjournalisten Cristo Grozev gelang es Nawalny, die Hintermänner des Anschlages ausfindig zu machen – und sie gar am Telefon zu einem Geständnis zu bewegen: Unter falschem Namen spricht Nawalny mit einem der Täter, der auf die Täuschung reinfällt und unverblümt berichtet, dass an sich alles nach Plan gelaufen sei, das Gift richtig dosiert war, via Nawalnys Kleidung übertragen wurde, aber manchmal gehe eben etwas schief. Kaum fassbar dieser Moment, in dem glasklar wird, mit welchen Methoden Putin und seine Schergen bereit sind, ihre Macht zu erhalten und einen Regimekritiker auszuschalten.

    Doch macht die Feindschaft zu Putin Nawalny automatisch zu einer integren Figur? Ist der Gegner eines unzweifelhaft verbrecherischen Autokraten schon deshalb über alle Zweifel erhaben? Wofür steht Alexej Nawalny eigentlich politisch? Welche Ziele verfolgt er, abgesehen davon, dass er Putin verachtet und – fraglos zurecht – der Korruption und des Machtmissbrauchs bezichtigt? Und vor allem: Was für ein Politiker wäre Nawalny, wenn ihm bei den Wahl zum Bürgermeister von Moskau oder gar der Wahl zum russischen Präsidenten ein Sieg gelungen wäre? All diesen Fragen entzieht sich Daniel Roher in seinem Film, der sich darauf beschränkt, ein atemloses Porträt einer auf den ersten Blick heroischen Figur zu sein.

    Alexej Nawalny ermittelt seine eigenen Mörder unter anderem mit einem "Telefonstreich" - eine Agenten-Räuberpistole, die sprachlos macht und die Abgründigkeit des System Putin offenlegt.

    Nawalnys oft nationalistischen Äußerungen und seine einstige Nähe zu rechten Kreisen wird in kurzen, etwas pflichtschuldigen Fragen abgehakt, die der im Umgang mit den Sozialen Medien mehr als erfahrene Nawalny natürlich höchst professionell ausbremst. Vor allem auf Twitter, bei YouTube und inzwischen auch tiktok verbreitet Nawalny seine Message, hat hunderttausende Follower und stellt Clips Online, die Millionenfach geklickt werden. Doch bekanntermaßen ist das Netz nicht unbedingt ein Ort, an dem auf differenzierte Weise diskutiert wird, schon gar nicht über so komplexe Dinge wie die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse Russlands.

    Wer Nawalny also wirklich ist, bleibt trotz des intimen Zugangs im Schwarzwald also weiterhin so rätselhaft wie manche seiner Entscheidungen. Nicht zuletzt seine Wahl, Anfang 2021 nach Russland zurückzukehren, auch wenn vollkommen klar war, dass Putin ihn sofort verhaften lassen würde. Und so geschah es dann auch: Schon am Flughafen von Moskau wurde Nawalny von der Miliz erwartet, inzwischen ist er mehrmals verurteilt und sitzt mindestens neun Jahre ab. Ist es allein der Wunsch, etwas zu bewegen, seine geliebte Heimat zu verändern, der Nawalny antreibt? Ist er von einem fast masochistisch anmutenden Willen getrieben, zum Märtyrer im Kampf gegen Putin zu werden? Am Ende von „Nawalny“ bleiben viele Fragen offen. Zugleich gelingt Daniel Roher zumindest zwischen den inhaltlichen Leerstellen ein oft faszinierendes, manchmal haarsträubendes Porträt eines Regimekritikers und des Systems, gegen das er unermüdlich kämpft.

    Fazit: „Nawalny“ zeigt auf atemberaubend-haarsträubende Weise, wie das System Putin seine Feinde bekämpft. Wie Alexej Nawalny aber tickt und wofür er steht, bleibt hingegen weiterhin ein Rätsel.

     

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