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    Eine deutsche Partei
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Eine deutsche Partei

    Einblicke in eine rechtsextreme Partei

    Von Björn Becher

    Es ist ein - leider gar nicht komischer – Running Gag rund um die AfD geworden, dass sich eine Führungskraft verabschiedet, weil die Partei zu weit nach rechts gerückt ist – und dann übernimmt eine für diesen Rechtsruck mitverantwortliche Person, die einige Zeit später aber selbst geht, weil inzwischen noch rechtsextremere Kräfte das Ruder übernommen haben. Den ebenfalls ins dieses Muster passenden Abschied von Ex-Parteichef Jörg Meuthen kurz vor der Weltpremiere von „Eine deutsche Partei“ auf der Berlinale 2022 hat Regisseur Simon Brückner dann auch noch schnell ans Ende seines Dokumentarfilms gepackt.

    Es passt eben auch einfach so verdammt gut zu seinen Innenansichten der AfD. Denn „Eine deutsche Partei“ zeigt, wie sich die AfD jenseits kleinerer Siege der gemäßigteren Kräfte am Ende doch immer weiter nach rechts orientiert. Von 2019 bis 2021 hat Brückner verschiedene Funktionäre begleitet – und zwar nicht nur bei öffentlichen Auftritten und Wahlkampf-Terminen. Er durfte mit der Kamera auch in Fraktionssitzungen und Strategiebesprechungen – womit er Einblicke in die Partei bekommt, die es so bislang noch nicht gab. Richtig viel Neues erfährt man als politisch Interessierter zwar nicht, aber es zeigt eben noch einmal eindrucksvoll, was für menschenverachtende Position in der AfD nicht nur an den Rändern vorkommen, sondern an der Tagesordnung sind.

    Georg Pazderski will der AfD ein seriöses Image geben und sie für die Breite wählbar machen.

    Man stellt sich natürlich direkt die Frage, wie die AfD überhaupt zulassen kann, dass sie so gefilmt wird. Die Antwort liefert bereits der Prolog. Denn da beginnt bei einer internen Sitzung plötzlich eine Diskussion darüber, ob man das Kamerateam nicht jetzt besser rausschmeißen sollte. Das Gegenargument: Ja, wenn unsere Äußerungen morgen im Spiegel stünden, dann bekämen wir wahrscheinlich mächtig Probleme. Aber dieser Film wird doch erst 2022 oder 2023 ausgestrahlt. Da interessiert sich doch niemand mehr für unser Treiben von 2019.

    Es ist immer wieder erstaunlich, mit welcher Offenheit die Politiker*innen reden und dabei das Kamerateam ignorieren. Da diskutieren Berliner Abgeordnete in einer irrwitzigen Szene darüber, ob man zum Jahrestag des Grundgesetzes nicht den Antrage stellen solle, dass ein solches jetzt in jeder Schule ausliegen müsse. Das gehe aber nicht, kommt sofort die Gegenrede. Man stehe ja nicht hinter jedem Artikel („Menschenwürde“, „Asyl“ und so). Zudem gebe es einen beträchtlichen Teil der Anhängerschaft, der die Gültigkeit der Verfassung sogar ganz anzweifelt. Doch das haben die Antragssteller bedacht: Es handele sich doch ohnehin um reine „Symbolpolitik“. Das wahre Ziel sei es doch, dass die „Altparteien“ den AfD-Vorschlag ablehnen und man dann „medial ausschlachten“ könnte, dass SPD, Grüne und Co. gegen das Grundgesetz seien.

    Rechtsruck in sechs Kapiteln

    Dass die AfD so arbeitet, ist wenig überraschend. Trotzdem ist es zugleich interessant und erschütternd, den Diskussionen beizuwohnen – vor allem wenn dabei der tobende Richtungsstreit innerhalb der Partei dominiert und die Abneigung untereinander offen zu Tage tritt. In insgesamt sechs titellos bleibenden und sich jeweils lose an einer Person orientierenden Kapiteln zeigt Brückner immer wieder Politiker wie den ehemaligen Bundeswehr-Offizier Georg Pazderski, die von 30 Prozent Stimmenanteil und Regierungsverantwortung in einer Koalition mit der CDU träumen – und dabei an den anderen, insgesamt dominierenden Rechtskräften in ihrer Partei verzweifeln.

    Bereits das erste Kapitel zeigt, wie Georg Pazderski und seine Getreuen darüber klagen, wie weit der sogenannte Flügel und vor allem die Jugendorganisation Junge Alternative (JA) nach rechts drängen und sogar stolz darauf sind, vom Verfassungsschutz beobachtet zu werden. Selbst wenn die „Gemäßigten“ (wie im finalen Kapitel) mal einen kleinen Sieg verzeichnen, zeigt Brückners Dokumentation, wie sehr die Partei immer weiter nach rechts rückt. Es ist teilweise erschütternd, wie selbstverständlich hier rassistisch gedacht und gesprochen wird. Und wie perfide das alles ist...

    Nachwuchskräfte wie Aaron Kimmig positionieren die Partei noch weiter nach rechts.

    An der EU-Außengrenze in Osteuropa wird es besonders bizarr: Da stehen die AfD-Hardliner an der Straße und filmen ihre TikTok-Videos, verfallen aber sofort in Panik, als sich in der Ferne Spaziergänger aus dem Flüchtlingscamp nähern. Richtig abstoßend wird es, als der Junior der Truppe vorgeschickt wird, um ein paar O-Töne einzufangen. Wenn ein junger Mann von seiner beschwerlichen, jahrelangen Flucht erzählt, meint man für einen kurzen Moment, dass es nun doch irgendwie klick machen müsste. Die gesellige Trinkrunde mit internationalen Rechten am Abend beweist das Gegenteil.

    Grundsätzlich beobachtet Brückner nur. Es gibt keine Interviews, keinen Off-Kommentar, sondern nur die Dokumentation der Besprechungen, Auftritte und Diskussionen. Doch natürlich ist die Inszenierung selbst schon ein Kommentar, vor allem die Auswahl, was wie lange und wann gezeigt wird. Wenn bei einer internen Corona-Diskussion Querdenker-Lügen verbreitet werden, zeigt uns Brückner, wie sogar ein AfD-Abgeordneter vor Entsetzen mit dem Kopf schüttelt und ihn schließlich in seinen Händen vergräbt. Mehrfach nutzt der Regisseur die Mittel des Filmemachens, um die Rechten noch weiter zu entlarven, als sie es ohnehin schon tun.

    Die Inszenierung als entblößender Kommentar

    Da schlagen etwa einige Nachwuchskräfte der JA nach der Flutkatastrophe in Ahrweiler auf. Während sie in den Trümmern stehen und mit einem großformatigen Spendenscheck das beste Foto für ihre Telegramm-Kanäle schießen, wendet sich die Filmkamera irgendwann ab. Stattdessen zeigt Brückner nämlich Menschen, die wirklich helfen, anpacken und Schutt aufräumen. Zwei AfD-Nachwuchskräfte sehen wir kurz später wieder. Bei einem Bier im Sonnenschein reden sie über die Zukunft „ihrer“ Partei.

    Mit solchen Szenen lenkt der Filmemacher natürlich schon. Trotzdem fordert die eingenommene Beobachterrolle aber auch, sich selbst ein Bild zu machen. Dabei nimmt sich Brückner selbst soweit zurück, dass er nicht einmal die auftretenden Personen vorstellt oder mit einer Texteinblendung erklärt. Das macht die Einordnung fürs Publikum natürlich schwieriger. Andererseits ist es nur konsequent: Schließlich zeigt „Eine deutsche Partei“, dass eben nicht einzelne Personen das Problem sind, wie einige Kräfte in der AfD selbst behaupten. Das Problem ist die Partei selbst...

    Fazit: Mit „Eine deutsche Partei“ liefert Simon Brückner verblüffend offene Innenansichten der AfD für ein politikinteressiertes Publikum, das von vielen Erkenntnissen aber nicht groß überrascht sein dürfte.

    Wir haben „Eine deutsche Partei“ im Rahmen der Berlinale 2022 gesehen, wo er als Teil der Reihe Berlinale Special gezeigt wurde.

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