Auf Disney+ gibt’s ein Sci-Fi-Horror-Highlight des Jahres
Von Sidney ScheringEine junge und einsame Frau, kompakte 93 Minuten Laufzeit, ein temporeicher Streifzug durch Sci-Fi-, Horror- und Thrillerelemente – und das noch verdammt spannend. All das bietet „No One Will Save You“ von Autor und Regisseur Brian Duffield („Zerplatzt“) - vor allem wenn ihr willens seid, euch möglichst völlig unvorbereitet auf den exklusiv bei Disney+ verfügbaren Horrorfilm einzulassen. Daher raten wir an dieser Stelle sogar vom Lesen unserer Kritik ab:
Vermeidet erst einmal alle weiteren Infos und schaut euch (hoffentlich) begeistert an, wie Duffield und seine herausragende Hauptdarstellerin Kaitlyn Dever („Booksmart“) in dem zeitlosen Genreritt bekannte Elemente aus mehreren Jahrzehnten Sci-Fi-Spannungskino nahtlos zu einem mitreißenden, neuen Ganzen voller Emotion vereinen. Danach könnt ihr zu dieser Kritik zurückkehren und überprüfen, wie sehr ihr unsere Empfehlung nachvollziehen könnt.
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Brynn Adams (Kaitlyn Dever) lebt in einem altmodisch eingerichteten Waldhaus am Rande eines beschaulichen Städtchens. Dessen Bevölkerung ist nicht gut auf sie zu sprechen, weshalb Brynn allein in den Tag hineinlebt: Sie kümmert sich um ihre pittoreske Modellbaustadt, tanzt zu alter Popmusik und schreibt Briefe. Dieses ruhige Dasein wird jäh unterbrochen, als sich in der Nacht ein Außerirdischer in Brynns Haus schleicht. Die Einzelgängerin ist verängstigt – doch was soll sie tun? Kämpfen oder fliehen..?
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Bevor das Alien in ihr Heim einfällt, etabliert Duffield seine Heldin sehr effektiv: Während sie ihrer Tagesroutine nachgeht, bekommen wir ein klares Gefühl für die Örtlichkeiten, sodass wir in Gedanken besser mit Brynn taktieren können, sobald es ums Verstecken, Fliehen oder Kämpfen geht. Allein schon durch die unprovozierten, genervten Reaktionen ihrer Nachbarschaft hat sie bei uns einen Sympathievorschuss. Und das Wichtigste: Duffield schildert ein überraschend realistisches Bild einer jungen, allein lebenden Person.
Brynn führt im Gegensatz zu vielen einsamen Filmfiguren keine ausschweifenden (und halb-kaschiert Exposition bietenden) Selbstgespräche. Sie hat ächzt, seufzt, stöhnt, wenn sie von unfreundlichen Blicken durchbohrt wird. Sie säuselt in einem nachdenklich-munteren Moment nahezu unhörbar leise den Text eines Songs mit. Und wenn sie sich ärgert, verschmelzen ein paar Wortfetzen mit ihrem frustrieren Grummeln. Aber sie redet nicht.
Das ist nicht bloß erfrischend: Duffield schafft einen sympathisch-alltäglichen, den Film erdenden Auftakt, bevor die übernatürlichen Ereignisse und massiv überhöhten Gefühle hereinbrechen. Geht die Alien-Attacke erst einmal los, wird aus der beschaulichen Ausgangslage ein turbulenter Genreritt, der kontinuierlich durch die tonalen Möglichkeiten der Prämisse flitzt. In der einen Minute schafft Duffield mit klassischen, jedoch zielgenau eingesetzten Tricks wie diffusem Licht und einem atmosphärischen Soundmix große Anspannung, da man einen außerirdischen Eindringling kaum sehen, sein tiefes Grunzen jedoch immer näher kommen hören kann.
Nur kein Geräusch machen...
In der nächsten entsteht durch den fast schon knuffig-cartoonhaft animierten Gesichtsausdruck eines verletzten Aliens prägnant-pechschwarze Situationskomik. Weiter werden die Suspense-Momente durch actionreiche Katz-und-Maus-Spielchen aufgebrochen. Duffield nutzt dabei die Möglichkeiten des Schauplatzes clever aus und schafft aufreibende Zwickmühlen. Wenn Brynn durch eine aufgesprungene Kühlschranktür plötzlich ausweglos mit dem Rücken zur Wand steht, stellt sich die Frage: Ist das nun ein Moment der Erleichterung, weil sie nicht mehr zu sehen und daher gut versteckt ist, oder sitzt sie in der Falle?
Doch auch auf stilistischer Ebene kitzelt der Regisseur die Nerven: Die angesprochene Sprachlosigkeit der Hauptfigur wird konsequent durchgezogen. Selbst während der Alien-Attacke verzichtet sie noch auf klar formulierte Worte. Daraus entsteht ein quasi unausgesprochenes Spannungselement: Wann immer Brynn versucht, Hilfe zu rufen, steht nicht bloß die Frage im Raum, ob es ihr gelingen wird. Wir dürfen daneben auch rätseln, ob sie dieses Mal reden kann. Oder vielleicht auch darüber nachdenken, was dieses Mal passieren und dazwischen kommen wird, bevor sie nur ein einziges Wort von sich geben kann?!
Das gerät nicht zuletzt dank der glaubhaften Performance im Zentrum des Films so packend: Kaitlyn Dever hat schon als Teenagerin in Serien wie „Private Practice“ und „Justified“ oder Filmen wie „Short Term 12“ und „Bad Teacher“ ihre große Klasse bewiesen und seitdem nachhaltig bestätigt. Doch hier liefer der einstige Kinderstar noch einmal eine Karrierebestleistung. Sie spricht allein schon mit ihren Blicken und ihrer Körperhaltung Bände. Und nach einigen Filmminuten glaubt man glatt, selbst der Intensität ihres Keuchens tiefgreifende Bedeutung abringen zu können. Dieses Talent kommt im Verlauf von Brynns Überlebenskampf immer intensiver zum Tragen, da sie versucht, die Motive und das Vorgehen der Angreifer zu entschlüsseln – während sie weiter auf sich allein gestellt ist und daher keinen Grund hat, loszuquasseln.
Da Duffield zudem konsequent an seiner Heldin bleibt, entsteht eine beklemmende Rat- und Hilflosigkeit: Wann immer Brynn Rückschläge erleidet, sitzt der Schmerz tief, da es unsere einzige Bezugsperson trifft – die noch dazu enormes Identifikationspotential mit sich bringt. Schließlich spielt Dever sie nicht nur äußerst nahbar. Duffield zwingt uns förmlich dazu, genauso viel Zeit darin zu investieren, ihren Gesichtsausdruck zu interpretieren, wie in Mutmaßungen darüber, was die Aliens als nächstes tun werden.
Der immer sensationellen Kaitlyn Dever gehört jeder Moment!
Was als relativ geradliniger Invasionsthriller beginnt, bei dem allein Brynns Einsamkeit und die entsprechenden Folgen hervorstechen, entfaltet somit eine immer tiefer gehende Wirkung. Bis sich letztlich in mehreren Gänsehautmomenten enthüllt, wie clever Duffield alle Aspekte von „No One Will Save You“ durchkomponiert hat und wie weit die geschilderten Konflikte reichen. Das nostalgische Schleifchen ums Gesamtpaket ist dabei, dass Duffield uns mehrere Perspektiven auf den Film ermöglicht:
Details wie das altmodische, aber gepflegte Interieur von Brynns Haus funktionieren als Ausdruck einer einsamen, von ihrem Umfeld entrückten Persönlichkeit. Gleichzeitig sind sie ein ästhetischer Verweis auf die Epoche des Serienklassikers „The Twilight Zone“, der für Teile dieses Films unmissverständlich Pate gestanden hat. Brynns Wortkargheit ist hingegen zugleich Stummfilmhommage, Suspense-Erzählkonventionen aufwirbelnder, stilistischer Kniff oder Verdeutlichung eines thematischen roten Fadens.
„No One Will Save You“ kann man am Ende so gleich verschiedenste Etiketten verpassen: Es ist ein wirksamer Sci-Fi-Throwback in narrativ einfach gestrickte Kinozeiten! Es ist eine große Analogie im Stile des derzeit viel diskutierten Elevated Horror! Es ist M. Night Shyamalans „Signs“ - aber mit Action! Oder man betrachtet es einfach nur als behutsame „The Twilight Zone“-Modernisierung. Zu groß wäre da eigentlich die Gefahr, dass sich ein Regisseur damit zwischen die Stühle setzt. Aber Duffield macht es sich triumphal auf allen zugleich bequem.
Fazit: Eine schauspielerische Karrierebestleistung inmitten eines hochspannenden, kurzweiligen und emotionalen Mischmaschs aus Sci-Fi-, Horror und Thriller-Traditionen: Einsamkeit war lange nicht mehr so aufreibend wie in „No One Will Save You“.
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