Ohne Sandra Bullock nur noch halb so gut
Von Lutz GranertDie Netflix-Produktion „Bird Box“ entwickelte sich im Dezember 2018 zum Phänomen. Nach sieben Tagen wurde der auf dem gleichnamigen Roman von Josh Malerman basierende Apokalypsen-Horror mehr als 45 Millionen Mal gestreamt – damals ein absoluter Rekord, der erst drei Jahre später gebrochen wurde! Mit 282 Millionen gestreamten Stunden befindet sich „Bird Box“ bis heute unter den Top 3 der meistgesehenen Netflix-Originale – und das, obwohl er gerade einmal läppische 20 Millionen US-Dollar gekostet hat.
Kein Wunder also, dass Netflix unbedingt an diesen Erfolg angeknüpft wollte – und so wurde im März 2021 schließlich ein Spin-Off angekündigt, das jedoch nicht mehr in den USA, sondern diesmal in Spanien spielt. Das Genre-erfahrene Regie-Brüderpaar Àlex Pastor und David Pastor versucht in „Bird Box: Barcelona“, dem bekannten Plot einen neuen Spin zu verpassen, was zumindest phasenweise auch gelingt. Über den Eindruck eines entbehrlichen Aufgusses kommt ihr mit imposanten Aufnahmen der verheerten Innenstadt von Barcelona aufwartende Horror-Thriller aber trotzdem nicht hinaus – es fehlt einfach die Star-Power von Sandra Bullock oder John Malkovich als frotzelnder Antagonist.
Der neue „Bird Box“-Hauptdarsteller Mario Casas kann Sandra Bullock einfach nicht das Wasser reichen!
Neun Monate, nachdem mysteriöse Aliens auf der Erde gelandet sind, ist der Großteil der Weltbevölkerung tot: Wer die „Besucher“ auch nur ansieht, tötet sich im Anschluss entweder augenblicklich selbst – oder trachtet zumindest anderen Menschen nach dem Leben. Die meisten Überlebenden tragen daher zu ihrem Schutz auf offener Straße Augenbinden oder blickdichte Brillen. Der gläubige Sebastián (Mario Casas) ist nach dem Tod seiner Tochter Anna traumatisiert: Er hat die „Besucher“ zwar gesehen, sich deshalb aber nicht zur mordhungrigen Bestie entwickelt – stattdessen öffnet er anderen Menschen metaphorisch und buchstäblich die Augen, um sie (und damit irgendwie auch sich selbst) zu erlösen.
In Barcelona gerät der ehemalige Ingenieur an eine Gruppe Überlebender, die ihn nach einer von ihm vorgebrachten Lügengeschichte aus Mitleid widerwillig aufnehmen. Unter ihnen befinden sich unter anderem die Psychiaterin Claire (Georgina Campbell) und das französische Mädchen Sofia (Naila Schuberth), deren Mutter sich zur vermeintlich sicheren Festung im Schloss Montjuïc durchschlagen wollte, welche nur über eine Seilbahn zu erreichen ist. Sebastian ringt immer stärker mit sich selbst, ob er der neuen Gruppe helfen oder sie ebenfalls „erlösen“ soll...
„Bird Box: Barcelona“ beginnt überraschend ambivalent: Die Identifikationsfigur ist diesmal keine schroff-pragmatische (Über-)Mutter, sondern ein zutiefst zwiespältiger Charakter, der mit seinen inneren Dämonen ringt. So halten die ersten 20 Filmminuten inklusive einer tollkühnen Busfahrt auch einige dicke Überraschungen im Plot bereit, welche dem recht moralisch recht geradlinigen Vorgänger einige erfrischende Grauschattierungen hinzufügen. Wie in ihrem Endzeit-Thriller „The Last Days“, in dem die Menschheit eine allumfassende Agoraphobie entwickelt hat und deshalb in U-Bahn-Stationen und Tunneln campiert, punkten die Pastor-Brüder auch in „Bird Box: Barcelona“ vor allem mit beklemmend-apokalyptischen Aufnahmen, die an Originalschauplätzen (wie der Innenstadt Barcelonas) gedreht wurde. Die Setdesigner*innen haben bei all den mit Schmutz, Trümmern, Scherben und Autowracks gesäumten Straßenzügen jedenfalls ganze Arbeit geleistet.
Aber eine dichte Endzeit-Atmosphäre allein ist nur die halbe Miete: Die wiederholten biblischen (Erlösungs-)Motive sind gerade im Horror-Genre nun wirklich nichts Neues und die zuweilen wenig erkenntnisreichen Rückblenden zu früheren Tagen der Alien-Invasion bremsen das Tempo immer wieder aus. Wie im ersten Teil sind die Dialoge dominiert von den üblichen Survival-Themen rund um Nahrungsbeschaffung, Sicherheitsmechanismen und der Suche nach einer sicheren Zuflucht. Auch über die genaue Wirkung der Aliens auf den menschlichen Organismus wird spekuliert – wobei vom mexikanischen Physiker Ocatavio (Diego Calva) eher unmotiviert Theorien zur Quantenmechanik und die Manifestation von Wunschvorstellungen in den Ring geworfen werden.
Georgina Campbell hat uns schon in „Barbarian“ sehr begeistert – und macht nun auch in „Bird Box: Barcelona“ einen echt guten Job.
Hauptdarsteller Mario Casas („El Bar – Frühstück mit Leiche“) kann den Film zudem kaum tragen: Mit einer gewissen Plumpheit im Auftreten sowie einer inneren Wankelmütigkeit, die er jedoch nur schwer nach außen vermitteln kann, mangelt es dem Schauspieler spürbar an jenem toughen Charisma, mit dem Sandra Bullock den ersten Teil noch dominierte. Mit zunehmender Laufzeit, in der sich das Geschehen immer mehr in Innenräume verlagert, stiehlt ihm deshalb auch die wesentlich selbstbewusster aufspielende Georgina Campbell zunehmend die Show.
Der Hauptdarstellerin aus dem grandiosen Disney+-Horror „Barbarian“ gehört dann auch der temporeiche Showdown, in dem sie mit verbundenen Augen versuchen muss, auf der luftigen Plattform eines Turms im richtigen Moment in die geöffnete Tür einer schwebenden Gondel zu springen. Selbst wenn die CGI-Effekte dabei nicht immer gelungen sind: Nach vielen bereits aus dem ersten Teil bekannten Konflikten mit den „Sehern“ sind diese Szenen an der Seilbahn ein echtes Action-Hightlight, bevor am Ende – wenig überraschend – alle Optionen für einen möglichen dritten Teil offengehalten werden.
Fazit: Der Ausflug nach Europa büßt nach dem ersten Filmdrittel, wenn sich die Handlung von den apokalyptischen Straßenzügen Barcelonas zunehmend in Innenräume verlagert, spürbar an Schauwert ein – und verliert damit auch einen großen Teil seines Reizes. Der definitiv preisgünstiger als sein Vorgänger wirkende Endzeit-Thriller „Bird Box: Barcelona“ enttäuscht dabei vor allem auch aufgrund seines schwachen Hauptdarstellers.