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    The Twin
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    The Twin

    Ein trotz (alb-)traumhafter Roggenfelder reichlich fruchtloser Horrorfilm

    Von Lutz Granert

    Nachdem er zuvor unter anderem mit „Ella und das große Rennen“ familienfreundliche Unterhaltung ablieferte, wandte sich der finnische Filmemacher Taneli Mustonen 2015 einem der rätselhaftesten Verbrechen in der Kriminalgeschichte seines Landes zu. Im Horrorthriller „Lake Bodom“ rekonstruierte er atmosphärisch und effektvoll einen bis dato ungelösten Dreifach-Mord an Teenagern, der sich am frühen Morgen des 5. Juni 1960 am gleichnamigen See ereignete.

    Mit dem Ergebnis sorgte er auch international für großes Aufsehen. Kein Wunder also, dass Mustonen am Rande eines Filmfestivals in Südkorea, auf dem „Lake Bodom“ gezeigt wurde, von möglichen Investor*innen nach Ideen für ein neues Filmprojekt gefragt wurde. Also packten Mustonen und sein langjähriger Co-Autor und Produzent Aleksi Hyvärinen die Gelegenheit beim Schopfe, betrieben Brainstorming, strickten fix einen Stoff für einen weiteren Genrebeitrag – und sicherten damit schon einmal die Finanzierung von „The Twin“.

    Rachel (Teresa Palmer) würde wirklich alles tun, um zumindest ihren überlebenden Zwillingssohn Elliot (Tristan Ruggeri) zu schützen!

    Taneli Mustonen und Aleksi Hyvärinen feilten nach eigenen Angaben knapp zwei Jahre an den Feinheiten des Skripts. Trotzdem hat man bei „The Twin“ andauernd den Eindruck, all das schon mal irgendwo – und vor allem: besser – gesehen zu haben. Das uninspirierte Aufwärmen wild zusammengebastelter Genre-Motive fällt besonders in der zweiten Hälfte des Horrorthrillers zunehmend negativ auf, der zudem Genrefans mit einem schwachen, da allzu vorhersehbaren Twist enttäuscht.

    Nachdem sein Zwillingsbruder Nathan bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist, zieht der junge Elliot (Tristan Ruggeri) mit seiner Mutter Rachel (Teresa Palmer) und seinem Vater Anthony (Steven Cree) weg aus den USA in die finnische Provinz. Aber es bleibt nicht viel Zeit, den Schmerz des Verlusts aufzuarbeiten: Denn schon kurz nach ihrer Ankunft behauptet Elliot, dass sein Bruder noch leben würde. Bei einer Feier in ihrem neuen Heimatort lernt Rachel die britische Witwe Helen (Barbara Marten) kennen, die ihr später offeriert, dass die Bewohner*innen des Ortes Finsteres im Schilde führen würden. Zunehmend von Albträumen geplagt, muss Rachel schon bald um ihr Leben und das von Elliot bangen…

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    Taneli Mustonens Stärke liegt eindeutig im Aufbau einer düsteren Atmosphäre und unbehaglichen Grundstimmung. Winterliche Wald- und Wiesenlandschaften, ein altes holzvertäfeltes Haus und Rachels zunehmend bedrohliche Züge tragende Albträume von einer Prozession im Roggenfeld funktionieren in der ersten Filmhälfte als solide Spannungstreiber. Sie bauen eine (zugegebenermaßen hohe) Erwartungshaltung auf, die „The Twin“ aber insbesondere mit einer einfallslosen Auflösung, die Genrefans schon in den ersten Minuten meilenweit gegen den Wind riechen, nicht einlösen kann.

    Bis Mustonen und Hyvärinen dem Publikum ihre „überraschende“ Wendung auftischen, schlägt der unausgegorene Plot aber erst mal immer wieder neue, willkürlich erscheinende Haken. Das Verquirlen von Geisterbeschwörungen, Okkultismus-Motiven und nordischen Mythen, bei denen Roggenähren als Fruchtbarkeitssymbol für eine verschwörerische Dorfgemeinschaft eine bedeutende Rolle spielen (Ari Asters Folk-Horror „Midsommar“ lässt grüßen), wirkt wie ein allzu willkürlicher Griff in die Klischeekiste der Horrorplot-Elemente.

    Die Witwe Helen (Barbara Marten) fürchtet, dass sich die Dorfbewohner*innen gegen die Neuankömmlinge aus den USA verschworen haben.

    Kameramann Daniel Lindholm, der auch schon „Lake Bodom“ fotografierte, liefert zwar immer wieder suggestive, sorgsam komponierte düstere Bilder, die sich aber bei näherer Betrachtung als reichlich selbstzweckhaft erweisen. An langsamen Fahrten durch das nächtliche alte Haus in (vergeblicher) Erwartung von jump scares hat man sich schnell sattgesehen. Ein versteckter kleiner Gang in ihrer neuen Bleibe, den Rachel sorgenvoll entdeckt, nimmt durch eine Kamerafahrt riesige Dimensionen an – für den weiteren Verlauf des hanebüchen konstruierten Plots spielt er jedoch keine Rolle. Und wenn eine Trauergesellschaft auf dem Friedhof vorm künstlichen, an eine Fototapete erinnerndes Panorama einer alten Skyline von New York steht, so geraten die noch intakten Twin Towers des World Trade Center zur fast schon albern plakativen Metapher in einem Film, der mit seiner fehlenden zeitlichen Einordnung bis zum enttäuschenden finalen Twist kokettiert.

    Unter den Klischee-Charakteren (introvertierter Ehemann, sinistres Kind, mahnende alte Hexe) sticht unterdessen vor allem die mit dem Horror-Thriller „Lights Out“ bereits genreerfahrene Australierin Teresa Palmer als trauernde Mutter und Nervenwrack durch eine engagierte Performance heraus. Aber auch das ändert ebenso wie der voluminös anschwellende und knarzende Streicher-Score nichts daran, dass „The Twin“ nur selten wirklich gruselig geraten ist.

    Fazit: Durchaus atmosphärisch, aber inhaltlich arg beliebig versucht das finnische Autorenduo seinen Horrorthriller mit bedeutungsschwangeren Szenen über die Zeit zu retten. Das misslingt allerdings: „The Twin“ baut so lange Zeit eine Erwartungshaltung auf, die er mangels eigener Ideen und eines tatsächlich überraschenden Twists nie einzulösen vermag.

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