Kaum ein Autor wurde öfter verfilmt als Horror-König Stephen King. Trotzdem lassen sich die gelungenen Umsetzungen, die auch vor den Augen des kommerziell erfolgreichsten Schriftstellers der Welt Gnade finden, an einer Hand abzählen - „Die Verurteilten“, „Stand By Me“ und „The Green Mile“ zum Beispiel. Immer dann, wenn sich King dem reinen Horror abgewendet hat, bestand die Chance auf ein seltenes Meisterwerk. Keine schlechten Voraussetzungen also für Regisseur Scott Hicks. Doch seine schwermütige Ballade über eine verlorene Kindheit in den USA der 60er Jahre besticht zwar durch gute Darsteller und brillante Optik, krankt aber zugleich an der selbst auferlegten Behäbigkeit der Inszenierung.
Der Tod eines Jugendfreundes treibt den erfolgreichen Fotografen Bobby Garfield (David Morse aus „The Green Mile“) zurück in seine Heimatstadt und die eigene Vergangenheit. Das Haus seiner Jugendtage ist längst verwahrlost, trotzdem weckt es Erinnerungen. Erinnerungen an eine vaterlose, nicht einfache, aber dennoch glückliche Kindheit. 1960: Die Schwelle zum Erwachsenenwerden betritt der junge Bobby (Anton Yelchin) als der mysteriöse Ted Brautigan (Anthony Hopkins) in die Dachkammer der Garfields einzieht. Schnell freundet sich der Junge mit dem geheimnisvollen Fremden an, obwohl Mutter Liz (Hope Davis) ihn keineswegs mag. Aber sie hat auch mehr mit sich selbst und ihrer Karriere zu tun, will den Sprung von der einfachen Bürokraft zur Maklerin schaffen. Für einen Dollar die Woche soll Bobby Mr. Brautigan die Zeitung vorlesen, und nach den „niederen Männern“ Ausschau halten, die den alten Mann verfolgen - so glaubt er jedenfalls. Bobby nimmt ihm die Mär von den unnachgiebigen Häschern nicht ab. Erst als er sie mit eigenen Augen sieht und eine Ahnung von Teds Gabe, Gedanken von Menschen zu lesen bekommt, glaubt er es, verschweigt ihm aber deren Existenz aus Angst, die Freundschaft zu verlieren.
Das preisgekrönte Drama „Shine“ bescherte Geoffrey Rush nicht nur einen verdienten Oscar, sondern öffnete seinem australischen Landsmann Scott Hicks („Schnee, der auf Zedern fällt“) die Türen in Hollywood. Inhaltlich geistesverwandt mit „Stand By Me - Das Geheimnis eines Sommers“ betritt „Hearts In Atlantis“ die gleichen Pfade wie Rob Reiners Jugend-Klassiker. Prachtvoll von Kameramann Piotr Sobocinski in wunderschöne, gemäldeartige Bilder gebannt, verdeutlicht dieser Umstand neben einer Stärke auch gleich das Grundübel des Films. Hicks nimmt sich alle Zeit der Welt, um in elegischen Bildkompositionen zu schwelgen. Das schafft auf der eine Seite eine authentische Atmosphäre, bremst aber gleichzeitig den Fortlauf der Geschichte, die einfach etwas zu zäh und lethargisch daher kommt.
Das größte Plus sind die ausgesprochen guten darstellerischen Leistungen. Oscar-Preisträger Anthony Hopkins ("Hannibal") schafft es, mit minimalem Aufwand, die größtmögliche Wirkung zu erzielen. Mit der Interpretation des geheimnisvollen Fremdlings dominiert er jederzeit das Geschehen, erdrückt aber Jungschauspieler Anton Yelchin nicht mit seiner immensen Präsenz, sondern bezieht aus dem unbeschwerten Spiel des 12-Jährigen eigene Stärke.
Ein weiterer Schwachpunkt ist das Science-Fiction-Element der niederen Männer, das zum einen nicht richtig in die Geschichte passen will und - schlimmer noch - nie plausibel aufgeklärt wird, was es damit wirklich auf sich hat. Der Zuschauer bekommt zwar eine Ahnung, was dahinter stecken könnte, aber ob die mysteriösen Jäger nun vom FBI oder sonstwo her sind, bleibt - zumindest im Film - unklar. Ohnehin konzentrierte sich Drehbuchautor William Goldman nur auf zwei von fünf Teilen des King-Romans und fasste diese zu einer Geschichte zusammen.
Gegeneinander abgewogen ist „Hearts In Atlantis“ gewiss keine Zeit- und Zelluloid-Verschwendung und hat durchaus einen nicht zu unterschätzenden Unterhaltungswert, bleibt aber trotzdem ein Film der verschenkten Möglichkeiten.