Ganz großes Kino – und auf Apple TV+ dann vielleicht sogar noch mehr
Von Christoph PetersenAktuell macht sich Ridley Scott bereit, ans Set von „Gladiator 2“ zurückzukehren, an dem die Arbeit wegen des Streiks der Schauspielergewerkschaft zuletzt mehrere Monate ruhen musste. Aber nicht nur mit der für November 2024 terminierten Fortsetzung, sondern auch mit „Napoleon“ knüpft Scott an seinen oscarprämierten Mega-Hit aus dem Jahr 2000 an: Nachdem Joaquin Phoenix in „Gladiator“ bereit den sadistischen Kaiser Commodus als mickrigen Möchtegern porträtiert hat, entlarvt der „Walk The Line“-Star mit Napoleon Bonaparte nun den nächsten Kaiser als machthungriges Muttersöhnchen. Nach Historien-Epen wie „Königreich der Himmel“ oder „The Last Duell“ würzt Scott nun auch „Napoleon“ mit ebenso grandiosen wie blutgetränkten Schlachtenszenen, die allein den Kinoeintritt rechtfertigen.
Zugleich fühlt sich der Film trotz seiner stolzen Laufzeit von 158 Minuten streckenweise an wie ein Trailer für den noch einmal fast zwei Stunden längeren Director’s Cut, den Scott bereits vor Kinostart angeteasert und als „fantastisch“ bezeichnet hat. Gerade in der ersten Hälfte springt „Napoleon“ mit einem derartigen Affenzahn von Station zu Station, dass es mitunter schwerfällt, ein Gefühl für die Titelfigur, ihren Aufstieg oder die vertrackte politische Situation im Frankreich nach der Revolution von 1789 zu entwickeln. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie: „Napoleon“ gehört mit seiner schieren Bildgewalt unbedingt auf eine möglichst große Leinwand – aber den besseren Film gibt’s dann wahrscheinlich erst in ein, zwei Jahren im Angebot des Streaming-Services Apple TV+.
Napoleon (Joaquin Pheonix) ist ein genialer Feldherr. Schon auch gemein, dass ABBA sich ausgerechnet eine seiner zwei großen Niederlagen für ihren Megahit „Waterloo“ ausgesucht hat.
Nachdem Marie-Antoinette (Catherine Walker) auf der Guillotine ihren Kopf verloren hat, strebt der korsische Artillerie-Kommandant Napoleon Bonaparte (Joaquin Phoenix) in der neuen Französischen Republik nach Macht. Mit der Rückeroberung von Toulon im Jahr 1793 sowie dem Zusammenschießen eines royalistischen Aufstandes im Jahr 1795 gelingt dem taktisch visierten Napoleon der Aufstieg erst zum General und schließlich zum Anführer seiner eigenen Armee, mit der er in Italien und Ägypten einmarschiert.
Parallel verliebt er sich in Joséphine de Beauharnais (Vanessa Kirby), deren erster Ehemann in den Nachwehen der Revolution hingerichtet wurde. Weil sich seine Frau jedoch mit einem jungen Liebhaber (Jannis Niewöhner) vergnügt und sich inzwischen gar die Zeitungskommentatoren öffentlich über den Skandal das Maul zerreißen, kehrt Napoleon vorzeitig aus Afrika zurück. Nach einem Staatsstreich ist er zunächst einer von drei Konsuln. Aber um bei den anderen europäischen Staatsoberhäuptern, die ihn allesamt für einen ordinären Emporkömmling halten, weiteren Eindruck zu schinden, lässt sich Napoleon 1804 zum Kaiser krönen…
Ridley Scott macht wie gewohnt keine Gefangenen! Sobald Napoleon persönlich in die brillant geplante Erstürmung des Forts von Toulon eingreifen will, wird seinem sich unter ihm aufbäumenden (und ihm so das Leben rettenden) Pferd mit einer Kanonenkugel mitten in die Brust geschossen: Der Körper des Tieres platz großflächig auf, die Gedärme ergießen sich über den Platz. Das eiskalte Niederschießen des Aufstandes in Paris gleicht ebenfalls einem Massaker wie aus einem Horrorfilm – mit einer Frau, die erschreckt und angewidert vor ihrem eigenen abgeschossenen Bein davonrobbt. Auch in „Napoleon“ entwickeln Scotts Gefechtsszenen wieder eine ungeheure Wucht …
… wobei noch eine unbedingte Bildgewalt dazukommt, speziell wenn Napoleon ins menschenleere Moskau einreitet oder mit einem nächtlichen Überraschungsangriff die britischen Schiffe in einem regelrechten Flammenmeer versinken lässt. Das absolute Highlight bleibt aber die Schlacht bei Austerlitz, deren zentrale Kriegslist schon im Trailer zu „Napoleon“ prominent vorweggenommen wurde: Der Feldherr lockt das österreichisch-russische Heer nämlich auf einen zugefrorenen See, um dann das Eis mit seinen versteckten Kanonen zum Einbrechen zu bringen und die gegnerischen Soldaten so ganz simpel ertrinken zu lassen. Da kommen sowohl über als auch unter der Oberfläche absolute Wahnsinnsbilder zustande.
Napoleon kämpft nicht nur in Europa, sondern auch in seiner Ehe mit Josephine (Vanessa Kirby) um die Vorherrschaft.
Während man nicht das Gefühl hat, dass Scott bei den Schlachtsequenzen groß etwas gekürzt hätte, sieht die Sache bei der zentralen Beziehung des Films schon etwas anders aus. Zwischen den Eheleuten entbrennt ein durchaus faszinierender Machtkampf – denn während Napoleon zum Kaiser aufsteigt, ist ihm Josephine eigentlich in so ziemlich jeder Hinsicht überlegen: Seien es die Umgangsformen in der feinen Gesellschaft oder die Erfahrung im Schlafzimmer, wo sich der Feldherr grimassierend einen abrackert, während seine Gattin den Koitus doch eher gelangweilt über sich ergehen lässt. Vor allem in einer Szene deutet sich die ganze spannende Ambivalenz dieser „Liebes“-Geschichte an: Nach seiner vorzeitigen Ägyptenrückkehr lässt der gehörnte Napoleon seine Frau schwören, dass sie absolut nichts sei ohne ihn …
… woraufhin es allerdings nur ein paar Stunden dauert, bis Josephine den Spieß einfach umdreht und ihren Mann in trauter Zweisamkeit genau dasselbe schwören lässt, bevor sie ihn wieder ranlässt. Da steckt definitiv eine Menge drin, allein schon deshalb, weil mit Phoenix (Oscar für „Joker“) und Kirby (oscarnominiert für „Pieces Of A Woman“) hier zwei herausragende Schauspieler*innen auf Augenhöhe miteinander ringen. Aber am Ende fehlen da einfach hier und dort ein paar Momente oder Szenen, um der Komplexität der Beziehung umfänglich gerecht zu werden. (Die reale Josephin war übrigens sechs Jahre älter als Napoleon, während Phoenix sogar 14 Jahre älter ist als Kirby. Aber dass Hollywood-Verantwortliche lieber jüngere Schauspielerinnen besetzten, während das Alter bei ihren männlichen Co-Stars oft längst nicht eine solche Rolle spielt, ist ja nun leider auch nicht neu.)
Es wird schon ziemlich deutlich, dass Scott an dem Stoff vor allem zwei Dinge gereizt haben: Das Inszenieren der Schlachtsequenzen sowie die Beziehung von Napoleon und Josephine. Aber gerade deshalb kann man sich schon fragen, warum er dann all die Stationen von 1793 bis 1815 so pflichtbewusst abklappert, als hätte er irgendeine Chronistenpflicht? Einiges davon hätte man besser vor oder nach dem Kinobesuch auf Wikipedia nachgelesen – und dafür im Film selbst einen stärkeren Fokus gehabt. Wobei auch die politischen Ränkespiele mitunter durchaus ihren Reiz haben, selbst wenn „Napoleon“ oft im Wahnsinnstempo über sie hinwegfegt:
Scott offenbart einfach einen sehr präzisen Blick für die Absurditäten der Macht – und Phoenix scheint wie schon in „Gladiator“ auch diesmal nicht das geringste Problem damit zu haben, sich zum vielleicht allmächtigen, aber deshalb nicht minder lächerlichen Gockel zu machen (der sich selbst als 40-jähriger Mann noch von seiner eigenen Mutter sagen lässt, welche jungen Frauen er besteigen soll). Das ist mit Sicherheit die größte Überraschung an „Napoleon“: Der grausame Machtkampf ist mitunter wirklich urkomisch!
Fazit: In den saubrutalen Schlachtenszenen liefert Ridley Scott einmal mehr gnadenlos ab – und trockenen, die volle Absurdität der Macht entlarvenden Humor gibt’s ebenfalls reichlich! Trotzdem reicht die Laufzeit von gut zweieinhalb Stunden nicht, um der kompletten Stofffülle gerecht zu werden – so entsteht mitunter der Eindruck eines bildgewaltigen Best-ofs, bei dem zwar die Highlights aneinandergereiht wurden, aber zu viel vom verbindenden Material auf dem Boden des Schneideraumes zurückgeblieben ist.