DIE SPRACHE DER JUGEND
Was hat die Jugend von heute nur mit der deutschen Sprache angestellt? Leicht ist man versucht zu sagen, dass mit der grammatikalischen Destruktion das Ende verbaler Raffinesse nur eine Frage der Zeit ist. Natürlich ist dem nicht so. Das, was Lukas, Julius, Gino oder Sanchez hier sprechen, ist Slang in Reinkultur. Man hört ihn sowohl in Berlin als auch in Wien, beeinflusst durch soziale Medien ist die Tonalität überall ähnlich, allerdings auch mit dem Stil erschwerter Artikulation von jungen Leuten gefärbt, die Deutsch nicht als Muttersprache kennen. Ein Slang wie dieser ist bequem, einfach und simpel. Eignet sich bestens für aggressiven Ausfall und zur Klärung halbwegs komplexer sozialer Diskrepanzen. Bei Sonne und Beton, der Verfilmung des Coming of Age-Romans von Felix Lobrecht, ist das bereitwillige Einhören in den Sprech Voraussetzung, um einem etwas anderen Freundschaftsdrama zu folgen, das in sozialen Niederungen herumstochert wie ein Bär in einem Bienennest, um an den Honig zu gelangen. Dass da allerhand hochkocht und auffliegt und um sich schlägt, ist nur die logische Konsequenz.
Ein überzeichnetes Action-Kriegsdrama wie im französischen Athena wird Sonne und Beton allerdings nicht, wenngleich die Charakterbilder der im Zentrum stehenden vier Jugendlichen in ihren auffälligen Verhaltenswiesen überspitzt und auf zwei Stunden Spielzeit komprimiert wurden – stellvertretend für einen stagnierenden Ist-Zustand, aus dem es vielleicht ein Entkommen gibt. Und in welchem mitnichten alles vorbestimmt und jeder stigmatisiert sein muss, ganz gleich, ob als soziales Opfer oder potenzieller Krimineller. Was für Frankreich die Banlieues, sprich Bannmeilen sind, ist für Berlin womöglich Gropiusstadt – eine seit Anfang der 60er errichtete und von Walter Gropius konzipierte Trabantenstadt aus Plattenbauten und Wabenhäusern, in der wirklich jeder leben kann und muss. So ein sozialer Kosmos schreibt bald seine eigenen Gesetzte, die von den Stärkeren exekutiert werden. Inmitten dieses Machtgefüges, während eines glutheissen Sommers, gerät der Teenager Lukas in die Bredouille. Als Sündenbock nach einer handgreiflichen Auseinandersetzung zwischen zwei rivalisierenden Banden muss dieser eine Schuld von mehreren hundert Euro begleichen. Ein Ding der Unmöglichkeit, und vielleicht nur machbar, wenn die besten Freunde Julius, Gino und Sanchez bereit wären, ein Ding zu drehen. Gemeint sind damit brandneue Computer, die in deren Schule lagern. Diese zu entwenden und dann zu verticken würde so einige Probleme auf einmal lösen. Nicht nur für Lukas.
David Wnendt, bekannt geworden durch seine Verfilmung der Feuchtgebiete von Charlotte Roche, hat einen knochenharten Milieufilm gedreht, der trotz seiner verstörend vulgären Sprache und der überall innewohnenden Gewaltbereitschaft so einiges über Freundschaft, Familie und dem Improvisieren fürs eigene Lebensglück erzählen kann. Als Jugendfilm ist Sonne und Beton letztlich eingeschränkt zu empfehlen – vieles davon bedarf eines ausreichenden Subtextes oder einer Erklärfunktion, damit soziale Missstände wie diese mittelständischen Heranwachsenden nicht einem nassen Waschlappen gleich vor den Latz geknallt werden. Als hätte Ulrich Seidl mit John Singleton, bekannt für Boyz n the Hood, einen auf Christine Nöstlinger gemacht: Wenn die häusliche Gewalt tobt, der junge Anti-Held des Films blutüberströmt seiner Schulpflicht nachgeht, die sowieso nur schwer ausgeübt werden kann, da in den heiligen Hallen bildender Institutionen die nackte Anarchie herrscht und jeder jeden unflätige Schimpfwörter nachkeift, könnte man meinen, dass es nach einer Welt wie dieser nur noch besser werden kann, sofern man den Mut hat, sich aufzuraffen. Das geht leichter, hat man den passenden Rap im Ohr.
Diese schicksalsgebeutelten Burschen in diesem rauen, stringenten Blick auf den zerrütteten Alltag und hinter verschlossenen Türen geförderter Gemeindewohnungen erfahren die unberechenbare Gnade der Fügung – bis dahin ist nicht nur Love, sondern auch Life a Battlefield, frei nach Pat Benatar. Wnendt findet für jeden seiner famos dargestellten Figuren ein bisschen Trost, ein bisschen Silberstreifen und auch ein bisschen Sympathie für eine triviale Sprache, an die man sich überraschend gewöhnt. Hat man selbst pubertierende Kids, hat der Film noch zusätzlichen Mehrwert.
____________________________________________________
Mehr Reviews und Analysen gibt#s auf filmgenuss.com!