Mit der Laserwumme gegen Killer-Dinos
Von Oliver KubeMit „65“ kommt ein Science-Fiction-Abenteuer eines der größten Hollywood-Studios mit Original-Story – also endlich mal kein Sequel, Remake oder Spin-Off – in die Kinos. Inszeniert und geschrieben haben den Film Scott Beck und Bryan Woods, die gefeierten Autoren von „A Quiet Place“, eines der erfolgreichsten Horror-Hits der letzten Jahre. Als Produzent ist zudem Kultfilmer Sam Raimi („Spider-Man“) mit an Bord und in der Hauptrolle ist mit Adam Driver („House Of Gucci“) einer der populärsten und fähigsten Leinwandstars der Gegenwart zu sehen. Im Trailer erfährt man zudem, dass „65“ interplanetare Reisen, einen spektakulären Raumschiff-Crash, futuristische Waffen und als Krönung noch jede Menge offenbar extrem blutrünstige Dinosaurier bietet.
Im Zentrum der Story steht dabei eine (Ersatz-)Vater-Tochter-Beziehung, die der von „The Last Of Us“ – aktuell immerhin die angesagteste TV-Serie überhaupt – nicht unähnlich zu sein scheint. Das klingt doch alles nach einem potenziellen Blockbuster. Stattdessen wurde der Starttermin des offenbar bereits seit Ende 2021 fertiggestellten Titels aber mehrfach verschoben. Zudem fiel die Werbekampagne vergleichsweise klein aus und auch Pressevorführungen wurden keine eingesetzt. Da liegt die Vermutung, dass „65“ eher mies geraten ist, zumindest nahe. Ist er aber gar nicht – zumindest wenn man mit den richtigen Erwartungen ins Kino geht.
Sein Scanner zeigt Mills (Adam Driver) nicht nur den Weg zur Absturzstelle, sondern sorgt auch für einen der visuell am kreativsten umgesetzten Dino-Fights des Films.
65 Millionen Jahre vor unserer Zeit auf dem Planeten Somaris: Der Raumschiffspilot Mills (Adam Driver) nimmt eine zweijährige Mission an, um das Geld für die Behandlung seiner schwerkranken Tochter Nevine (Chloe Coleman) aufbringen zu können. In der nächsten Szene fliegt er Siedler*innen in Stasis, die zu einer weit entfernten Kolonie gebracht werden sollen. Dabei gerät sein Schiff in ein in den Sternenkarten offenbar noch nicht verzeichnetes Asteroidenfeld. Mills versucht der Gefahr auszuweichen, crasht dabei aber auf einem ihm unbekannten Planeten: der Erde.
Das Raumschiff zerschellt, Mills übersteht den Absturz mit leichten Verletzungen. Zunächst glaubt er, seine Passagiere seien allesamt tot. Doch dann entdeckt er die neunjährige Koa (Ariana Greenblatt) außerhalb des Wracks. Mit ihr im Schlepptau versucht er, zu einem abgebrochenen Segment des Raumschiffs zu gelangen, das er einige Kilometer entfernt auf einem Berggipfel geortet hat. In diesem befindet sich auch eine Rettungskapsel, die unbeschädigt sein könnte. Auf dem Weg dorthin trifft das Duo, das wegen eines kaputten Übersetzers nur per Zeichensprache miteinander kommunizieren kann, allerdings immer wieder auf die Bewohner der Erde: Dinosaurier in allen Formen und Größen, die aus irgendeinem Grund allesamt extrem aggressiv sind…
„65“ ist 93 Minuten kurz – und die im Verlauf des gerade einmal 15 Kilometer langen Querfeldein-Trips präsentierte Dino-Action würde in einem modernen „Jurassic World“-Blockbuster allenfalls für ein fünfminütiges Scharmützel irgendwo in der Mitte des Films reichen. „65“ ist sehr viel kleiner und intimer, als man es sich von einem Sci-Fi-Actioner, in dem sich ein Pilot mit Laserwaffe seinen Weg durch Dino-Horden ballert, erwarten würde. Aber wenn man das weiß und seine Erwartungen dementsprechend anpasst, dann hat „65“ definitiv auch seine Stärken: Die Dino-Begegnungen sind abwechslungsreich und spannend inszeniert, was neben den soliden CGI-Effekten vor allem an den geschickten Einstellungen von Chef-Kameramann Salvatore Totino („Bird Box“) liegt.
Immer wieder tauchen überraschend Viecher aller Größen und Formen im Bild auf (wenn sie sich nicht eh schon längst darin verstecken, aber das Publikum sie erst nach und nach entdeckt). Der zufällig am selben Tag wie „Scream VI“ startende „65“ wirkt so mitunter fast wie ein Horror-Slasher mit Dinos statt Ghostface. Die Spannung wird noch dadurch gesteigert, dass sich das Duo bei seiner Wanderung nicht allzu viel Zeit lassen darf. Denn wer im Biologieunterricht aufgepasst hat, der ahnt schließlich schon bei der Einblendung des Titels, wie katastrophal der sich von Beginn an ankündigende Meteoriteneinschlag ausfallen wird. Mills wird dabei von einem handgehaltenen Gerät, das von seinen Funktionen an einen „Star Trek“-Tricorder erinnert, ständig darüber auf dem Laufenden gehalten (wobei die Technik auch noch für einen der visuell verspieltesten Dino-Kämpfe des Films „zweckentfremdet“ wird).
Nicht immer hören Mills und Koa (Ariana Greenblatt) die Gefahr schon aus der Ferne kommen – stattdessen schleicht sie sich meist heimlich aus dem Dunkeln an…
Die Survival-Story auf dem für Mills „außerirdischen“ Planeten, der uns zwar vertraut vorkommen sollte, aber dann eben doch ziemlich fremd wirkt (gedreht wurde in der Wildnis Oregons, Louisianas und Irlands), ist offen gesagt nicht gerade anspruchsvoll. Fast wie in einem Videospiel geht es allein darum, eine (Dino-)Herausforderung nach der anderen zu bewältigen. Das haben wohl auch Beck und Woods selbst realisiert – und so reichern sie ihre Uhrzeitriesen-Hatz mit Mills‘ traurigen Gedanken an seine Tochter sowie der ständigen Sorge um seine „Ersatztochter“ Koa an. Und das ist in seiner Einfachheit erstaunlich effektiv.
Die Kombination eher sparsam umgesetzter High-Concept-Science-Fiction mit einem ganz bodenständigen, darunter verborgenen dramatischen Kern erinnert angenehm an die Werke von Justin Benson und Aaron Moorhead. Ein Vergleich, der sich nicht nur erzählerisch und gelegentlich visuell, sondern vor allem atmosphärisch aufdrängt. Wie bei den „The Endless“- und „Synchronic“-Machern gibt es auch bei „65“ immer wieder ruhige, nachdenkliche Passagen, die den Charakteren Tiefe verleihen und dem Publikum trotz des abgefahrenen Plots eine emotionale Bindung ermöglichen. Extrem hilfreich ist dabei, dass Adam Driver und sein junger Co-Star Ariana Greenblatt („Love And Monsters“) auch ohne eine gemeinsame Sprache sehr glaubhaft miteinander agieren. Da fiebert man als Zuschauer*in schnell mit.
Fazit: Sci-Fi mit abwechslungsreicher (Horror-)Action, erstaunlich viel Herz und Dinos, die sich wie die Killer in einem Slasher ins Bild schleichen. Wenn man seine Erwartungen anpasst und mit dem Wissen ins Kino geht, hier einen intimen Survival-Thriller statt eines hochtourigen Sci-Fi-Blockbusters serviert zu bekommen, ist „65“ definitiv besser als die Umstände rund um den wiederholt verschobenen Kinostart vermuten ließen.