Jäger des verlorenen Nazi-Schatzes
Von Lutz GranertArnaldur Indriðason ist der derzeit wohl größte literarische Exportschlager Islands: Seine inzwischen 24 Bücher wurden weltweit in 40 Sprachen übersetzt und gingen millionenfach über die Ladentheke. Die Kriminalromane des studierten Historikers bieten jedoch mehr als nur Spannung: Häufig verwebt er die Recherchen seiner Ermittlerinnen und Ermittler zu lange zurückliegenden Verbrechen mit gesellschaftlichen (gerne: typisch isländischen) Themen. In seinem ersten internationalen Krimi-Erfolg „Nordermoor“ geschieht so ein Mord im Umfeld des weltweit einzigartigen isländischen Genomprojekts, welches die Homogenität der Bevölkerung erforscht. Diese Verquickung von Spannung und so etwas wie isländischem Nationalkolorit macht seine Kriminalromane einzigartig.
Bei seinen wenigen Ausflügen Weg von der Verbrecherjagd hin zum Thriller macht er dagegen gerne die urwüchsige Natur Islands zur Kulisse, vor der sich deutlich austauschbarere, dafür mehr auf Action und Spannung getrimmte Plots abspielen. Nachdem er für „Reykjavík - Rotterdam: Tödliche Lieferung“, zu dem mit „Contraband“ ein US-Remake folgte, am Drehbuch mitschrieb, wurde nun der erste Thriller-Bestseller aus der Feder von Arnaldur Indriðason fürs Kino adaptiert. Der Plot von „Gletschergrab“ kommt allerdings auch durch das Zusammenrühren mehrere Nazi-Mythen reichlich konstruiert und beliebig daher. Dafür ist der u. a. mit Wotan Wilke Möhring („Caveman“) und „Game Of Thrones“-Star Iain Glen prominent besetzte Thriller unter der handwerklich sauberen Regie von Óskar Thór Axelsson („Black's Game – Kaltes Land“) jedoch treibend erzählt.
Killer Simon ist auf der Jagd.
Zusammen mit zwei Freunden bricht der abenteuerlustige Elías (Atli Óskar Fjalarsson) zu einer Schneemobil-Tour über einen durch den Klimawandel bereits stark abgeschmolzenen Gletscher auf. Dabei entdeckt das Trio zufällig das nun freigelegte Wrack eines Ende des Zweiten Weltkriegs abgestürzten Flugzeugs aus Nazideutschland. Dumm nur, dass der skrupellose CIA-Agent William Carr (Iain Glen) und sein Team, die schon mehrere Jahrzehnte erfolglos nach der brisanten Ladung suchen, auf den Fund aufmerksam geworden sind. Als seine Freunde vor seinen Augen ermordet werden, gelingt Elías geistesgegenwärtig die Flucht in die endlos erscheinende Gletscherlandschaft – und ein letzter Anruf...
Am anderen Ende: seine Schwester Kristín (Vivian Ólafsdóttir). Die Finanzanalystin hält die hastig-aufgeregten Schilderungen und Fotos von Nazi-Akten zu einer „Operation Napeoleon“ zunächst für einen dummen Scherz. Doch als sie plötzlich vom CIA-Killer Simon (Wotan Wilke Möhring) verfolgt wird, erkennt sie den Ernst der Lage. Zusammen mit einem abservierten Date, dem US-Bürger und Geschichtsprofessor Steve Rush (Jack Fox), versucht sie, die geheimnisvolle Fracht zu finden – und damit vielleicht auch das Leben ihres Bruders zu retten...
Óskar Thór Axelsson konnte schon in seinem stilisierten Gangsterthriller „Black's Game – Kaltes Land“ sein Gespür für eine düstere Atmosphäre unter Beweis stellen – auch wenn er damit keine neuen Akzente setzte, wie wir auch in unserer Kritik resümierten. Genauso verhält es sich mit „Gletschergrab“: In entsättigten Bilder, aber inszenatorisch sonst brav schraubt er langsam, aber stetig an der Spannungsschraube. Die erste tödliche Aktion von Simon wird nur kurz durch hektische Gitarrenriffs unterlegt, bis der Metal-Einschub sich wieder zum gewöhnlichen musikalischen „Grundrauschen“ dramatischer Streicher wandelt – so als ob Axelsson hier von seinen internationalen Produzenten arg streng auf die Finger geklopft wurde, visuell und auditiv bloß nicht zu sehr zu experimentieren. (Erst bei den animierten Credits mit großen Lettern durfte er sich kreativ wieder ausleben.)
Abgesehen von ein paar wenigen blutigen Brutalitäten ist „Gletschergrab“ zwar ein sehr formelhaft abgespulter Thriller, aber die geheimnisvolle lange Zeit ungeklärte Ladung des Flugzeugs funktioniert als antreibender MacGuffin hervorragend – und die einzelnen Puzzleteile, welche Kristín und Steve bei ihrer atemosen Hatz vom Archiv der US-Botschaft bis zum Vatnajöküll-Gletscher zu einem immer größeren Bild zusammensetzen, sorgen für ein hohes Spannungslevel. Während Jack Fox als immer etwas schnöseliger Besserwisser und der spät hinzustoßende Ólafur Darri Ólafsson („The Tourist: Duell im Outback“) als ebenso grober wie liebenswürdiger Farmer-Sidekick Einar die Sympathien auf ihrer Seite haben, enttäuscht die Performance von Charakterkopf Wotan Wilke Möhring. Der streng gescheitelte, aber stets versagende Killer Simon, der mit Pseudo-Coolness auch bei bedecktem Himmel mit Sonnenbrille und Knarre im Anschlag anrückt, bleibt so recht tumb.
Fazit: Die Verfilmung von Arnaldur Indriðasons gleichnamigen Thriller ist zwar immer wieder tempo- wie actionreich und spannend erzählt – aber auch spürbar darum bemüht, das Publikum mit kreativen Einfällen bloß nicht zu vergrätzen. Diese Mischung geht leider nicht ganz auf: Eine eigene Handschrift entwickelt „Gletschergrab“ zu keiner Zeit.