Die Fallstricke des Jüngerwerdens
Von Christoph PetersenNach dem telepathischen Serienmörder-Autoreifen in „Rubber“ und der im Kofferraum eines gestohlenen Autos gefundenen Riesenfliege in „Mandibules“ beackert der französische Surrealismus-Fan Quentin Dupieux auch in „Incredible But True“ erneut ein nur vermeintlich beliebiges Fantasy-Szenario – und dafür braucht er diesmal nicht viel mehr als ein simples schwarzes Loch im Fußboden.
Mit dem ihm eigenen trockenen Humor rechnet der in Techno-Kreisen als Mr. OIZO (seinen „Flat Beat“ kennt jeder!) legendäre Auteur diesmal in knackig-kurzweiligen 73 Minuten mit Jugendwahn und Midlife-Crisis ab – und zeigt dabei im selben Moment eine solche Empathie für seine tragischen Figuren, dass ihr Schicksal nicht nur an den Lachmuskeln zerrt, sondern auch zu Herzen geht.
Alain (Alain Chabat) und Marie (Léa Drucker) kaufen sich ein Traumhaus - mit einer ganz besonderen Überraschung im Keller...
Alain (Alain Chabat) und Marie (Léa Drucker) sind von dem Haus auch so schon angetan, da erwähnt der Makler (Mikaël Halimi), dass das eigentliche Highlight im Keller auf sie wartet. Unter einer Holzklappe befindet sich dort ein schwarzes rundes Loch, das ziemlich genau so aussieht wie ein x-beliebiger Gully. Allerdings kommt man, wenn man die Leiter ins Dunkel hinabsteigt, nicht nur im oberen Stockwerk desselben Hauses wieder heraus – man springt dabei auch zwölf Stunden in die Zukunft, während man selbst drei Tage jünger wird.
Aber auch Alains guter Freund und cholerisches Chef (Benoît Magimel) hat Neuigkeiten: Weil die Technik in der Europäischen Union noch nicht offiziell zugelassen ist, hat er sich in Japan einen per App steuerbaren Elektro-Penis installieren lassen, um seine jüngere Geliebte (Anaïs Demoustier) auch weiterhin befriedigen zu können…
Anders als zuletzt der japanische Indie-Hit „Beyond The Infinite Two Minutes“ nutzt Quentin Dupieux seine Zeitsprung-Prämisse nicht für clevere Spielereien, sondern als absurde Metapher – und der Humor entsteht zunächst einmal draus, wie sich die Figuren an die brüchige Vorstellung einer rational-aufgeklärten Welt klammern:
So meint etwa Alain, dass ihn das mit den zwölf Stunden gar nicht so sehr überraschen würde, etwas Ähnliches hätte er auch schon mal irgendwo gelesen. Aber dass man im Keller zwar nach unten steigt und trotzdem im obersten Stockwerk wieder herauskommt, das wolle ihm jetzt trotzdem nicht sofort in den Kopf…
Während sich Alain gar nicht groß vom Zeitreise-Loch im Keller beeindrucken lässt, sondern seine ganze Aufmerksamkeit weiterhin einer besonders schwierigen Akte in der Firma schenkt, erwachen in Marie plötzlich wieder die früheren Träume von der Supermodel-Karriere – nur hat der Jungbrunnen im Keller womöglich auch einen Haken: Zwar ist der mitgenommene verfaulte Apfel außen wieder schön und straff – aber wenn man reinbeißt, ist der Kern voller Ameisen. Und auch Benoît Magimel („In Liebe lassen“) hat als Archetyp eines mit Sportwagen gegen seine Midlife Crisis ankämpfender Manager nur wenige Freude an seiner neuen Omnipotenz, zumal er für jede kleine Reparatur seines besten Stücks gleich nach Japan fliegen muss.
Benoît Magimel und Léa Drucker („Synonymes“) verkörpern offensichtliche Klischees – und ringen ihnen dabei doch eine unerwartete Menschlichkeit ab. „Incredible But True“ ist als Satire eher absurd-bitter als zubeißend-komisch – und so endet sie auch nicht in einer knallenden Schlusspointe, sondern in einer elliptischen, trotz der insgesamt so kurzen Laufzeit fast 15 Minuten langen So-geht-es-weiter-Szenen-Collage, die noch einmal die ganze Tragik der Figuren dick und fett unterstreicht, das Publikum zugleich aber auch meisterhaft-melancholisch aus dem Film hinausgleiten lässt…
Fazit: „Rubber“-Regisseur Quentin Dupieux versteht es wie wenige andere, einen Film abzuliefern, der sich zwar wie eine locker-leichte Fingerübung anfühlt, in dem auf den zweiten Blick aber trotzdem so viel mehr drinsteckt. Im Gegensatz zu seinen vorangegangenen Werken, also dem Lederjacken-Slasher „Monsieur Killerstyle“ und der Riesenfliege-Groteske „Mandibules“, ist „Incredible But True“ allerdings eher bitter-tragisch als absurd-komisch.
Wir haben „Incredible But True“ im Rahmen der Berlinale 2022 gesehen, wo er in der Sektion Berlinale Special seine Weltpremiere gefeiert hat.