Antirassismus mit einem Hauch von Harry Potter
Von Christoph PetersenDie vierfach oscarnominierte Stephen-King-Verfilmung „The Green Mile“ ist ein toller Film. Aber das ändert nichts daran, dass man gerade die Figur von Michael Clarke Duncan durchaus kritisch hinterfragen sollte: John Coffey sitzt (vermutlich zu Unrecht) wegen Vergewaltigung und Mordes an zwei neunjährigen Mädchen im Todestrakt. Ein sanfter Riese, nicht unbedingt die hellste Kerze auf der Torte, aber dafür mit heilenden Kräften ausgestattet. In der wohl legendärsten Szene des Films greift sich der Zwei-Meter-Goliath die Genitalien des überraschten, von Tom Hanks verkörperten Gefängniswärters Paul Edgecomb – und befreit ihn so von seinen schmerzhaften Prostataproblemen. Endlich wieder richtig pissen!
John Coffey ist der Inbegriff eines sogenannten „Magical Negroes“, also einer Nebenfigur in Romanen, Serien oder Filmen, die ganz besonders weise ist oder sogar über übersinnliche Fähigkeiten verfügt, aber am Ende eben doch nur dazu dient, selbstlos die weiße Hauptfigur auf ihrem Heldenpfad voranzubringen. In seiner satirischen Fantasy-Komödie „The American Society Of Magical Negroes“ stellt sich Regisseur und Drehbuchautor Kobi Libii die Frage, wie es wohl wäre, wenn „Magical Negroes“ nicht länger nur auf Buchseiten und Filmstreifen, sondern in der realen Welt existieren würden? Und zwar als Geheimbund mit magischen Kräften, deren Mitglieder nur einen einzigen Job haben: das Frustrationslevel der Weißen soweit herunterzuschrauben, dass sie ihren Stress nicht länger einfach an der nächsten Schwarzen Person auslassen.
Aren (Justice Smith) fertigt zwar Kunstinstallationen aus Garn an, aber bei seiner eigenen Vernissage wird er von einem wohlhabenden Sammler trotzdem für einen Kellner gehalten. Statt den eingebildeten Snob zur Schnecke zu machen oder das Missverständnis zumindest aufzuklären, erträgt Aren die Demütigung widerwortlos – und trägt das dreckige Geschirr mit hängenden Schultern zur Bar. Mit diesem Auftreten ist er der perfekte Kandidat für die „American Society Of Magical Negroes“. Diese agiert schon seit Jahrzehnten im Geheimen und ihre magisch begabten Mitglieder haben es sich zur Aufgabe gemacht, besonders unzufriedenen Weißen beiseite zu stehen – um so wiederum die alltägliche (Lebens-)Gefahr für die Schwarze Bevölkerung der USA abzusenken.
Nachdem er in einem Café die zauberhafte Lizzie (An-Li Bogan) kennengelernt hat, führt Aren sein erster Auftrag in die L.A.-Büros des Facebook-Klons MeetBox. Hier soll er sich um den frustrierten Designer Jason (Drew Tarver) kümmern. Aber es fällt dem Neuling zunächst gar nicht leicht, auch nur herauszubekommen, ob die Unzufriedenheit seines „Klienten“ nun beruflicher oder privater Natur ist. Es stellt sich heraus: beides! Zum einen will er unbedingt in der Gunst des Guru-artigen MeetBox-CEO (Rupert Friend) aufsteigen, zum anderen ist er unglücklich in eine Kollegin verknallt – und zwar ausgerechnet in Lizzie! Aren muss sich also entscheiden, ob er seinen Job macht und Jason verkuppelt – oder ob er selbst um Lizzie kämpft…
Natürlich ist von Anfang an klar, dass Aren nicht einfach nur stumpf seinen Job erledigen, sondern sich irgendwann gegen die Regeln der Vereinigung auflehnen wird. Trotzdem zeichnet der Film die an allerhand Geheimbünde aus der anhaltenden Young-Adult-Welle erinnernde „American Society Of Magical Negroes“ insgesamt eher positiv. Speziell der erfahrene Roger (David Alan Grier), der Aren überhaupt erst anheuert, bleibt bis zum Schluss ein absoluter Sympathieträger – obwohl er zwischendurch einmal sagt, dass die Besänftigung eines wütenden Weißen mehr für die Schwarze Bevölkerung ausrichten würde als 100 Protestmärsche. Dass der Film deshalb nicht nur wie ohnehin erwartet von rechten, sondern teilweise überraschend deutlich auch von linken Kommentator*innen kritisiert wird, ist da kaum verwunderlich.
Nun wäre eine Satire, die bei wirklich allen Seiten aneckt, an sich ja erst mal ’ne gute Sache. Aber die provokanten Passagen finden sich vor allem in arg Proseminar-artigen Monologen, während das Geschehen ansonsten relativ unspektakulär vor sich hinplätschert. Im Gegensatz zu „Dear White People“ oder „Sorry To Bother You“ finden sich hier nur Spurenelemente des berichtigten Furors – und so wirkt der Film selbst ein wenig wie der von ihm angeprangerte Figurentypus: weise, aber soweit zurückgenommen, dass sich bloß niemand von ihm eingeschüchtert fühlt.
Jason taugt auch wenig, um an ihm die Idee von White Privilege zu demonstrieren. Schließlich ist er weniger (Alltags-)Rassist als vielmehr eine ausgewachsene Vollhonk-Karikatur, die wirklich gar nichts um sich herum schnallt. So wird es auch den Weißen im Publikum sehr leicht gemacht, sich nicht mit ihm zu identifizieren, selbst wenn man sich in einigen Momenten sonst sehr wohl ertappt fühlen könnte. Ansonsten sehen wir immer wieder einen Kollegen von Aren, der seinem Klienten in den Schritt fasst – dabei ist die „The Green Mile“-Parodie nur beim ersten Mal noch leidlich amüsant. Und auch abseits der zentralen Satire wirken die meisten Gags eher schwerfällig.
Und so funktioniert „The American Society Of Magical Negroes“ erstaunlicherweise dann am besten, wenn man sich weniger auf die zahnlosen Pointen konzentriert, sondern den Film stattdessen wie eine romantische Komödie mit magischem Touch ansieht: Das zentrale Liebesdreieck bietet innerhalb des Genres zwar auch wenig Neues, aber dafür harmonieren Justice Smith („Dungeons & Dragons: Ehre unter Dieben“) und An-Li Bogan („After Yang“) ganz großartig miteinander. Ihnen drückt man tatsächlich von Anfang bis Ende gern die Daumen.
Fazit: „The American Society Of Magical Negroes“ teilt zwar in die richtige Richtung aus, das allerdings weitestgehend enttäuschend saft- und kraftlos. Die satirischen Spitzen verpuffen meist ebenso wirkungslos wie die ohnehin spärlich eingestreuten Gags. So hält einen über weite Strecken allein die großartige Chemie zwischen Justice Smith und An-Li Bogan bei der Stange.