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    Der letzte Mieter
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Der letzte Mieter

    Genre-Geheimtipp aus Deutschland!

    Von Thorsten Hanisch

    Frage: Was kommt dabei raus, wenn sich ein deutscher Regisseur und Drehbuchautor, zudem noch aus Berlin, die Schreckgespenster Gentrifizierung und Entmietung vorknöpft? Wer jetzt auf „rührseliges Betroffenheitskino mit steil gerecktem Zeigefinger“ tippt, ist entschuldigt, die Vermutung ist ja auch nur allzu naheliegend. Doch wundersamerweise ist bei „Der letzte Mieter“ das exakte Gegenteil der Fall: Gregor Erler beweist mit seinem ersten Kinofilm eindrucksvoll, dass Sozialkritik nicht unbedingt zur faden Lehrstunde verkommen muss, sondern durchaus in einen packenden, druckvollen, erstaunlich kompromisslosen Thriller eingewoben werden kann, der eineinhalb Stunden prächtig unterhält, einen aber auch mit einem - völlig gerechtfertigten - Schlag in die Magengrube aus dem Kinosaal entlässt.

    In einer schicken Berliner Wohngegend soll das letzte unsanierte Haus geräumt werden – die alten Mieter werden nach und nach in Sozialunterkünfte verfrachtet. Doch Dietmar (Wolfgang Packhäuser) ist stur, er hat schließlich den größten Teil seines Lebens in der Wohnung verbracht. Selbst sein Sohn Tobias (Matthias Ziesing), der momentan für die Immobilienfirma Klempner-Arbeiten an den frisch renovierten Wohnungen verrichtet, schafft es nicht, ihn zum Umzug zu bewegen. Als der junge Mann seinem Vater, zu dem er ein schwieriges Verhältnis hat, vergessene Medikamente vorbeibringen will, befindet sich scheinbar zufällig Makler Franke (Moritz Heidelbach) in der Wohnung. Die angespannte Situation zwischen den drei Männern eskaliert, zumal plötzlich auch noch die junge Polizistin Shirin (Pegah Ferydoni) vor der Tür steht…

    Das perfekte Motiv für die Gentrefizierung - und einen klaustrophobischen Thriller!

    Im Folgenden entwickelt sich ein klassisches, aber stets um größtmöglichen Realismus bemühtes Geiseldrama. Drinnen der Täter und seine Opfer, draußen ein großes Polizeiaufgebot, das versucht, die Situation in den Griff zu kriegen. Im Unterschied zu artverwandten Beiträgen handelt es sich bei Tobias aber nicht um einen abgebrühten Gangster, sondern um einen Jedermann, der einst Ambitionen hatte, sich aber mittlerweile mehr schlecht als recht durch den Alltag quält. Das hat offenbar aber auch ein wenig mit seinem Charakter zu tun, denn wie man während des Besuchs bei seinem alten, kämpferischen Herren erfährt, steht der Junior für nichts ein und bringt nie was zu Ende.

    Tobias sieht dann aber allmählich die Chance, dem Vater doch noch gerecht zu werden, Rückgrat zu beweisen und zu versuchen, die Lage für alle, die noch im Haus sind, zu verbessern. Obwohl „Der letzte Mieter“ nicht unbedingt einen Hehl draus macht, wem die Sympathien gelten, wird der Film dennoch nie zum schlichten Gut-gegen-Böse-Moralstück, sondern besticht durch kleine Brüche: Der ohnehin als übermäßig angriffslustig gezeichnete Dietmar hatte vor der Eskalation der Situation noch einen mehr als fragwürdigen Plan, genauso weicht die Chefin der Immobilienfirma (Mignon Remé) signifikant von der Vorstellung ab, die Tobias anfänglich von ihr hatte.

    Kein Gramm erzählerisches Fett zu viel

    Apropos Charakterzeichnungen: Es ist wirklich erstaunlich, wie dicht gestrickt das Drehbuch von Erler und seinem Co-Autoren Benjamin Karalic ist, da könnten sich die immer expositionslastiger werdenden Hollywood-Kollegen gerne mal ein Stück abschneiden. Definiert werden die Charaktere in erster Linie durch ihr Tun, zusätzliche Info wird nur eingereicht, wenn der Plot danach verlangt. Dasselbe gilt für die zentralen Themen Gentrifizierung und Entmietung, die angenehm unaufdringlich vertieft werden: Als etwa Shirin, die zuvor noch bei den Räumungen der Wohnungen behilflich war, auf die Toilette muss, wird ihr anhand des einst von Tobias’ Papa in zweijähriger Handarbeit gebauten, aber dank begonnener Renovierungsarbeiten nun völlig zertrümmerten Badezimmers das ganze Ausmaß der Situation klar. Nicht nur Menschen werden vertrieben, sondern auch Erinnerungen zerstört.

    Erlers an Paul Greengrass’ semi-dokumentarischen Stil erinnernde Inszenierung wird von der natürlich agierenden, jederzeit glaubwürdigen Besetzung kongenial unterstützt. Man ist sofort mittendrin im Geschehen und deswegen ist es bedauerlich, dass der Regisseur seinen eigenen Fähigkeiten an ein paar wenigen Stellen nicht so ganz über dem Weg traut und es mit dem Musikeinsatz etwas übertreibt. Der größte Ausrutscher findet gleich im ersten Viertel statt, als Tobias den toten Vater entdeckt und seinen Emotionen entsprechend freien Lauf lässt. Statt in diesem ohnehin berührenden Moment auf Zurückhaltung zu setzen oder die Szene vielleicht sogar gänzlich ohne Musik zu lassen, heulen auf der Tonspur überflüssigerweise tieftraurige Streicher auf. Letztendlich aber nur ein kleiner Kratzer im edlen Blech.

    Fazit: Gregor Erler liefert mit seinem – übrigens nahezu vollständig unabhängig finanzierten - Debüt einen weiteren der leider viel zu seltenen Beweise, dass packendes Genrekino aus Deutschland durchaus möglich ist. „Der letzte Mieter“ ist deshalb die Geburtsstunde eines neuen Hoffnungsträgers.

    Wir haben „Der letzte Mieter“ beim 7. Hard:Line - Festival in Regensburg gesehen, wo Regisseur Gregor Erler anschließend auch noch Gast der Podiumsdiskussion „Der deutschen Genrefilm“ war.

     

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