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    Titane
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Titane

    "Fast & Furious" als feministischer Body-Horror

    Von Teresa Vena

    Es ist fünf Jahre her, dass Julia Ducournau mit „Raw“ dem Publikum in Cannes buchstäblich den Magen umdrehte. Damals lief der Film noch in der Auswahl der Critic’s Week, also nicht im offiziellen Teil des Festivals. Trotzdem erlangte die radikale Horror-Farce über eine vegetarische Tiermedizinstudentin, die nach einem blutigen Aufnahmeritual an der Uni ihre Lust auf Menschenfleisch entdeckt, sofortigen Kultstatus. Dieser Nimbus des Radikalen und Aufregenden hat sicherlich mit dazu beigetragen, dass Ducournaus langerwarteter Nachfolger „Titane“ diesmal sogar direkt in den Wettbewerb von Cannes aufgenommen wurde.

    Auch diesmal sorgte das Werk der französischen Regisseurin wieder dafür, dass bei der Premiere einige Zuschauer frühzeitig den Saal verließen. Teilweise sicherlich, weil „Titane“, gerade zu Beginn, mit einigen brutalen Gewaltausbrüchen aufwartet. Aber anders als „Raw“ ist der Film auch mit derart absurden bis geradeheraus lächerlichen Motiven durchsetzt, dass einem eigentlich nur zwei Optionen bleiben: Entweder lehnt man sich zurück, schaltete den Verstand aus und lässt sich von dem Wahnsinn auf der Leinwand zu ein paar befreienden Gelächtern verleiten – oder man verabschiedete sich eben kopfschüttelnd.

    Schon als junges Mädchen macht Alexia nach einem Autounfall Erfahrungen mit Metall in ihrem Körper.

    Als Kind wird Alexia bei einem Autounfall, an dem sie eine wesentliche Mitschuld trägt, schwer am Kopf verletzt. Sogar eine Titanplatte muss ihr deshalb eingesetzt werden. Als erwachsene Frau tritt Alexia (Agathe Rousselle) bei einer Autoschau als erotische Tänzerin auf – und wird dort von den Männern wie Frauen gleichermaßen begehrt. Mit körperlicher Nähe kann sie allerdings nur sehr schwer umgehen, weswegen der Typ, der es wagt, sie ungefragt zu küssen, direkt ihre Haarnadel ins Ohr gerammt bekommt: Sein Hirn fließt daraufhin in Form weißen Schleims durch seinen Mund hinaus – und wenn man dabei an einen Samenerguss denkt, ist das sicherlich nicht zu weit hergeholt.

    Nach einer Reihe weiterer Opfer muss Alexia untertauchen. Sie will sich zur Tarnung als Mann ausgeben, allerdings nicht als irgendeiner. Sie schlüpft in die Haut des als Kind verschwundenen Adrien, der noch immer von seinem Vater Vincent (Vincent Lindon) gesucht wird. Ohne groß Fragen zu stellen, nimmt Vincent seinen wiederaufgetauchten „Sohn“ bei sich auf. Seine aufdringliche, fordernde Art setzt Alexia-Adrien allerdings zunehmend unter Druck. Immer schwieriger wird es, ihren Frauenkörper, der im Übrigen eindeutige Merkmale einer sich rasant entwickelnden Schwangerschaft zeigt, vor Vincent zu verbergen…

    Der eigene Körper als größter Feind

    Kamera, Farbgebung, Tonspur - Julia Ducournau liefert mit „Titane“ eine handwerklich überzeugende, aber im Horror-Fach sicherlich nicht bahnbrechende Arbeit ab. Der Kern der Originalität liegt hier also eindeutig auf der Handlungsebene: Wieder nimmt sie eine junge Frau in den Fokus, deren radikale Verwandlung im Laufe des Films stellvertretend für die Intention der Regisseurin steht, eingefahrene gesellschaftliche Überzeugungen, die die Identität eines Menschen maßgeblich über sein Geschlecht definieren, ins Leere laufen zu lassen. Sie selbst definiert ihre Haltung als feministisch. Aber ob es tatsächlich etwas Emanzipatorisches oder Selbstbestimmtes hat, wenn sich eine Frau in ihrer Körperlichkeit selbst zerstört, möchte man da zumindest als Frage entgegenstellen.

    Dass man in den USA auch sein eigenes Auto heiraten kann, davon hat man schon gehört. Aber dass man diese Ehe auch vollziehen kann? Sex im Auto klar, aber Sex mit einem Auto? Und dass man davon auch noch schwanger werden kann? Das ist nur eines von vielen absurden Motiven in „Titane“ – aber sicherlich das originellste und spannendste. Da stecken viele Ideen zugleich drin: Das Milieu der Autoshows gilt als typisch männlich. Die Frauen dienen als Sexsymbol – sie werden zu genau solchen Objekten degradiert, wie es auch die Boliden sind, auf denen sie sich räkeln. Alexia verschmilzt regelrecht mit dem Auto, das später ihr Liebhaber werden wird – und führt so gewissermaßen die männliche Erotikfantasie vollkommen ad absurdum.

    Alexia verschmilz bei der erotisierenden Promo-Show regelrecht mit ihrem Auto.

    Gleichzeitig zeigt Alexia, dass sie den „klassischen“ Mann nicht mehr braucht. Sie ersetzt ihn durch eine Maschine, die sie sich nicht zufällig auswählt – sie will ein Auto mit einer besonders hohen PS-Leistung, das sie im wahrsten Sinne des Wortes auf Touren bringt. Motorenstärke und Erotik sind an sich keine neue Kopplung. Oft unterstellt man Männern, die sich besonders leistungsstarke Wagen anschaffen, sie würden damit ihre eigene Potenz zu unterstreichen oder Impotenz zu kaschieren versuchen. Mit diesen Assoziationen spielt „Titane“ nicht gerade subtil.

    Julia Ducournau macht sich erotische Klischees wie etwa das des sexy Feuerwehrmannes vielmehr gewaltsam zu eigen. Dabei mag sie deren Oberflächlichkeit denunzieren, doch wiederholt sie hier im Grunde nur Altbekanntes. Das Aufbrechen dieser Gedankengebilde ist, auch wenn man anfänglich von der Dichte der Inszenierung und dem suggestiven visuellen Konzepts überwältigt wird, letztendlich weit weniger bahnbrechend als vorgegeben.

    Absolute Körperlichkeit

    Betrachtet man „Titane“ losgelöst von seiner möglichen oder tatsächlichen politischen Botschaft, bleibt eine Mischung aus Horror-Thriller und Tragikomödie, bei der man sich nicht ganz sicher sein kann, ob die amüsanten Szenen auch wirklich alle als solche gemeint sind. Nach „Raw“ steigt Julia Ducournau diesmal noch tiefer in das einst von David Cronenberg mit Filmen wie „Videodrome“ und natürlich „Crash“, bei dem sich die Protagonisten beim Ansehen bzw. Verursachen von Autounfällen ihren erotischen Kick abholen, mitbegründete Body-Horror-Genre hinab. Aber auch hier fehlt es ihrem Entwurf letztendlich an der nötigen Radikalität. Ein paar besonders eindrückliche Schockmomente, etwas wenn Alexia einen Barhocker als Waffe zweckentfremdet oder sich ihr eigenes Gesicht „umgestaltet“, bleiben dennoch sicher noch lange in der Erinnerung haften.

    Ähnliches gilt für die sehr gelungene Darstellung von Körperlichkeit. Der magere, geschundene Körper von Alexia, ihre Narbe über dem Ohr, die gebrochene Nase, das achtlos zurückgeschorene Haar, aber auch die unnatürlich aufgepumpten Muskeln von Vincent, seine blauen Flecken an Hinterteil und Oberschenkeln – all das wird hier derart plastisch präsentiert, dass man all das fast zwangsläufig selbst physisch mit spürt.

    Fazit: Unbestritten wartet „Titane“ mit einigen ausgefallenen Einfällen auf, die sich aber nicht so richtig zu einem überzeugenden Ganzen zusammenfügen. Unklar bleibt etwa, ob Julia Ducournau eine Satire, ein politisches Manifest oder einen Horrorschocker angestrebt hat. Vermutlich von allem ein bisschen. Aber dann ergibt sich eben das Problem, dass „Titane“ – anders als die besten Filme von David Cronenberg – seine Intensität in den besonders absurden Momenten nicht halten kann, sondern zu oft (ob unfreiwillig oder absichtlich) ins Lächerliche abgleitet.

    Wir haben „Titane“ auf dem Filmfestival in Cannes gesehen, wo er als Teil des offiziellen Wettbewerbs gezeigt wurde.

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