EHEMANN OHNE EIGENSCHAFTEN
von Michael Grünwald / filmgenuss.com
Autoritäten in der Ehe haben ausgedient – Frauen sind den Männern nicht mehr Untertan und denken nicht daran, nochmal Heimchen am Herd zu werden. In den 50ern war das noch anders, da stand das Essen auf dem Tisch, wenn der Ehemann von der Arbeit nach Hause kam. Und wehe, die Filzpantoffeln waren nicht an Ort und Stelle und das Bier nicht eingekühlt. Man(n) hätte sich damals wohl kaum vorstellen können, wie es wohl gewesen wäre, hätte die Frau tun und lassen können, was ihr in den Sinn kam. Vielleicht gar: anderen Männern schöne Augen machen. Ein Alptraum für den durchschnittlichen Familienpatriarchen.
Andere Männer mögen da wohl ihrer Zeit voraus gewesen sein, wie in Tiefe Wasser, einem Kriminalroman von Patricia Highsmith, verfasst 1957. In diesem fein ausbalancierten Suspense-Krimi ist Privatier Vic Van Allen einer, der seine Frau Melinda geradezu vergöttert, ihrer nymphomanischen Veranlagung aber freien Lauf lässt. Zu bestimmen, was die bessere Hälfte tun soll, so Vic, liegt nicht in dessen Pflicht. Blöd nur, dass dieser beziehungstechnische Liberalismus auf die Dauer etwas erniedrigend rüberkommt. Wo es nur geht, trägt Melinda ihr promiskuitives Verhalten zur Schau, wenn’s hochkommt gar vor den Augen ihres mittlerweile mehrmals gehörnten Gatten, dem diese offensichtliche Provokation langsam sauer aufstößt. Er beginnt, Melindas männliche Beute vorerst mal verbal zu vergraulen – bis auch das nicht mehr reicht. Sonnenklar also, was dann folgt. Ein Mann ist schließlich ein Mann, und nicht dafür gemacht, als geschasster Loser vorgeführt zu werden.
Angesichts der betörenden Ausstrahlung einer stets kokett gekleideten Ana de Armas wundern diese Wanderpokal-Ambitionen niemanden mehr. Die gebürtige Kubanerin ist ein Hingucker, wie schon zuvor in James Bond – Keine Zeit zu sterben, wo diese einen kurzen, aber knackigen Auftritt hatte. Ana de Armas sieht in der dritten Verfilmung von Highsmiths Roman auch in jeder Sekunde so aus, als wäre sie für ein konventionelles Dasein zwischen Küche, Kind und Ehebett deutlich ungeeignet. Was andere vielleicht zur Scheidung veranlasst hätte, will Dreitagebart Ben Affleck nicht über sich ergehen lassen. Ben Affleck verlässt man auch nicht, trotz der mimischen Langeweile, die er an den Tag legt, die wiederum nicht ganz frei von einer gewissen, vielleicht auch Ana de Armas provozierenden unfreiwilligen Komik bleibt. Isabelle Huppert hätte Afflecks stoische Art vermutlich auch provoziert – aber da war anno 1983, in einer weiteren Adaption des Romans, Jean-Louis Trintignant schneller.
Dank dieser gerne etwas düsteren und am Ende auch in so mancher Grauzone verweilenden Vorlage ist auch Adrian Lynes Interpretation eine solide Angelegenheit. Kein Wunder, könnte man meinen. Lyne, der seit 20 Jahren nichts mehr inszeniert hat, kann auf Klassiker wie 9 1/2 Wochen oder Eine verhängnisvolle Affäre zurückgreifen. Er weiß, wie das freie Spiel der Mächte in einer Beziehung funktioniert. Demnach ist Tiefe Wasser ein Hingucker nicht nur aufgrund von Ana de Armas, sondern auch aufgrund der Tatsache, dass Lyne die inszenatorischen Zügel straff hält.
Am Ende aber obsiegt der Kompromiss. Highsmiths Buch in das Zeitalter der Mobiltelefone zu hieven, mag einige Stolpersteine bereithalten, die auf Kosten einer gewissen Handlungslogik umschifft werden wollten. Leider reitet sich der Film da noch tiefer in kausale Widersprüche hinein, die, ich bin davon überzeugt, wohl kaum in der literarischen Vorlage enthalten waren. Wenn doch, dann kostet das Highsmith einige Genius-Punkte. Lynes Film wiederum, der über weite Strecken durchwegs in der Spur bleibt, nimmt am Ende eine wenig plausible Abzweigung, um zum Schlussakkord zu gelangen.
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