Nach Godzilla bekommt die nächste japanische Legende ein Update
Von Kamil MollWenn ein reptilienähnliches, hochhaushohes Wesen, das sich erst von Stromstößen ernährt, um dann mit der gewonnen Energie verheerende Strahlen zu verschießen, nacheinander die Elektrizitätswerke Japans angreift, scheint eine besondere Art von Taskforce erforderlich: Die – wenig handlich – S-Class Species Suppression Protocol (kurz: SSSP) genannte Einheit aus Mitgliedern des Geheimdienstes und des Verteidigungsministeriums, verstärkt von Bioanalytiker*innen und Wissenschaftler*innen, soll etwas beherrschbar machen, bei dem klassische Verteidigungsstrategien mit Kampfjets und Bomben kläglich versagt haben. Es geht um die Abwehr von überdimensionierten Monstern, die ausschließlich in Japan auftauchen und in der dortigen Popkultur auf den Namen Kaijus getauft wurden.
Das Ultraman-Franchise bildet dabei seit Mitte der 1960er Jahre so etwas wie das Bindeglied zwischen Monsterfilmen in der Tradition der Godzilla-Reihe sowie klassischen Superheld*innen-Geschichten. Für nicht japanische Zuschauer*innen liefet der 37. Ultraman-Film „Shin Ultraman“ trotzdem nicht einfach nur mehr vom selben – stattdessen erweist sich die Origin Story des Superhelden in diesem Reboot als entwaffnend-spleenig: Ultraman, das ist zum einen ein riesiger Koloss aus silbernem Metall vom Planeten des Lichts, der nicht nur menschliche Konturen besitz, sondern auch die Fähigkeit, jede Form von Energie in seinem Körper absorbieren und neutralisieren zu können. Zum anderen übernimmt er im Laufe des Films auch den Körper des bei einem Einsatz ums Leben gekommenen SSSP-Beamten Kaminaga (Takumi Saitoh). Mit Hilfe einer elektronischen Zündkapsel kann Ultraman fortan von einer Form in die andere wechseln. Als außerirdisch-menschliches Mischwesen wird er so zu einem inoffiziellen Mitglied der SSSP.
Bei „Shin Ultraman“ soll der Held trotz CGI weiterhin so aussehen, als seien die Effekte handgemacht – und würde einfach ein Mann im Kostüm durch eine Miniatur-Modelbaustadt marschieren.
Als Regisseur des Films beweist Shinji Higuchi dabei ein Traditionsbewusstsein, das so nostalgisch wie ironisch ist: Zwar ist der neue Ultraman digital, wobei die Bewegungen im Motion-Capture-Studio immer noch der fast 80-jährige (!) Schauspieler der Originalserie selbst ausführt. Trotzdem soll die Figur ganz bewusst nicht modern oder technisch elaboriert wirken (vor allem eine Szene, in der eine Ultraman-große Frau im Bürodress durch die Stadt marschiert und mit Ellenbogen und High Heel Fensterfassaden einschlägt, offenbart einen erstaunlich ästhetischen Old-School-Low-Budget-Look). Statt tricktechnischer Perfektion wird eher die Illusion angestrebt, es immer noch mit handgemachter Tricktechnik zu tun zu haben. Auch die Fluggeräusche des Superhelden, die wie das beschleunigte Triebwerk eines Flugzeugs klingen, sowie der grell mit Fanfaren-Sounds dramatisierende Soundtrack bedienen sich bei Effekten aus der langen Geschichte des Superhelden.
Zugleich ist „Shin Ultraman“ längerfristig aber auch Teil eines übergeordneten Reboots, den Higuchi zusammen mit Hideaki Anno, dem Schöpfer der bis heute immens einflussreichen und vergötterten Kaiju-Serie „Neon Genesis Evangelion“, einige Jahre zuvor mit „Shin Godzilla“ begonnen hat und in dem in Folge weitere langlebige Genre-Franchises zu einem gemeinsamen filmischen Kosmos gebündelt werden sollen (bereits 2023 soll etwa „Shin Kamen Rider“ folgen). Beide Filme funktionieren als liebevoll-humorige Hommage, aber auch als zeitgemäßes Update, was die Krisenbewältigung im 21. Jahrhundert angeht. Sichtlich sind die Filme, in denen Parlamente und Behörden meist in einem seltenschlechten Licht stehen, geprägt von zwei gravierenden Katastrophenerfahrungen zu Beginn des letzten Jahrzehnts, deren traumatisierende Auswirkungen bis heute in der japanischen Bevölkerung spürbar sind: das Erdbeben in der Tohoku-Region und der Fukushima-Nuklearunfall.
„Shin Ultraman“ endet angemessen mit einem psychedelischen Multiversum-Finale.
Im Kampf gegen das so fantasievolle wie eklektisch zusammengebastelte Monsterangebot von „Shin Ultraman“ lässt sich deswegen auch leicht das Durchspielen von realeren Bedrohungsszenarien erkennen: Ein Kaiju mit Tunnelbohrer-Fangarmen gräbt sich unterirdisch einen Weg zu einer Atommüll-Lagerstätte, die er zerstören will. „Shin Godzilla“ befasste sich noch geradezu satirisch mit den Irrungen bürokratischer Amtswege bei der Abwehr einer Gefahr von außen und dessen langwieriger praktischer Überwindung. „Shin Ultraman“ wandelt sich nach der ersten Hälfte, die extrem episodenhaft erzählt ist und deshalb auch mit einigen Längen zu kämpfen hat, zu einer entschleunigten Betrachtung über die menschliche Abhängigkeit von Superheldenfiguren, die man durchaus auch als eine Reaktion auf die Selbstidentitätskrisen-Dramen der Marvel- und DC-Franchises lesen kann:
Ein Außerirdischer mit politischem Handlungsgeschick bietet der japanischen Regierung den unbeschränkten Zugang zu jener Technologie an, mit der Ultraman in seine überdimensionierte Form wechseln kann (dann stünde man auch nicht länger unter der Fuchtel der USA, der man aktuell noch all die Bomben teuer bezahlen muss, die zur Kaiju-Bekämpfung eingesetzt werden). Ob sich die Menschheit aber nicht in dem Moment selbst abschafft, in dem jeder die Möglichkeit bekommt, selbst zum Superhelden zu mutieren, wägt „Shin Ultraman“ zum Schluss allerdings nicht mit Worten ab. Stattdessen stürzt er sich Genre-bewusst in einen wunderbar psychedelischen, multidimensionalen Showdown…
Fazit: „Shin Ultraman“ funktioniert als eine technisch liebevolle und traditionsbewusste Hommage an das jahrzehntelange Superhelden- und Monster-Franchise und als dessen modernes Update. Fans von „Shin Godzilla“ sollten bei dieser Reboot-Reihe also weiter dranbleiben.
„Shin Ultraman“ läuft im Programm der Woche der Kritik, die im Februar 2023 parallel zur Berlinale in den Hackeschen Höfe Kinos in Berlin stattfindet.