Leonardo DiCaprios Auswege aus der Klimakrise
Von Carsten BaumgardtWissenschaftler sind sich einig: Wenn wir so weitermachen und die Welt in diesem rasanten Tempo mit Kohlenstoff vollpumpen, wird die globale Erwärmung für einen Großteil der Menschheit fatale Folgen haben. Steigt die Erderwärmung seit Beginn der industriellen Revolution über die kritische Grenze von zusätzlichen zwei Grad Celsius, schmelzen die Eisvorräte der Erde, was den Meeresspiegel um bis zu 80 Meter ansteigen lassen würde. Die größere Hitze macht das Leben und die Landwirtschaft in den Tropen praktisch unmöglich, immer mehr Menschen müssen sich immer weniger Landmasse teilen. Das ist das „Rezept für eine Katastrophe“, wie Umweltaktivistin und Filmemacherin Leila Conners („The 11th Hour“) in ihrer Öko-Dokumentation „Ice On Fire“ klipp und klar den Teufel an die Wand malt.
Das alles ist bekannt, auch wenn die Welt bisher nicht in einem angebrachten Maße darauf reagiert. Aber Conners klagt in ihrem Appell nicht nur an, sondern liefert zugleich mit viel Optimismus eine breite Palette an möglichen Lösungen, um den Effekt der verheerenden globalen Erwärmung in allerletzter Minute doch noch umzukehren. Inszenatorisch ist die von Hollywood-Superstar Leonardo DiCaprio („Once Upon A Time In… Hollywood“) produzierten HBO-Doku hingegen durch und durch konventionell, ein bunter Mix aus Talking Heads, Interviews an den Forschungsorten der Wissenschaftler und majestätische Naturkulissen, die uns vor Augen führen, was wir da gerade eigentlich zerstören.
Das Eis der Gletscher droht für immer zu schmelzen.
Kohlenstoffdioxid, Methan, Distickstoffmonoxid, Fluorkohlenwasserstoffe, Schwefelhexafluorid und Stickstofftrifluorid: Die sogenannten Treibhausgase heizen unsere Atmosphäre auf und tragen so entscheidend zum Anstieg der Erddurchschnittstemperatur bei. Das CO2, das vor allem durch das Verbrennen von fossilen Brennstoffen entsteht, kann schlicht nicht mehr in dem Maße durch die Natur abgebaut werden, wie es nötig wäre. Die Folge: Der Kohlenstoffzyklus ist aus der Balance geraten. Leila Conners und ihr Produzent Leonardo DiCaprio zeigen nach einer Analyse der Probleme eine ganze Reihe von teils neuen Lösungen auf, um diesen Prozess umzukehren. Dabei präsentieren die Filmemacherin und ihre Experten nicht nur die bekannten Ansätze wie klassische erneuerbare Energie aus Wind und Sonne, sondern auch progressive Methoden, die allesamt noch in der Entwicklung sind.
Schiffsartige Turbinen, die die Bewegung von Meereswasser zur Erzeugung von Strom nutzen, oder riesige Saugmaschinen, die Luft anziehen, die Treibhausgase herausfiltern und diese an ein angeschlossenes Treibhaus für die Produktion von Gemüse weitergeben. Von solch spektakulär anmutenden Beispielen fährt Conners viele auf. Wichtiger ist aber ihre Schlussfolgerung: Es lohnt sich inzwischen sogar aus wirtschaftlicher Sicht mehr, im Umweltschutz Jobs zu schaffen als in rückständigen Industrien, denen die Politiker weltweit aus purem Selbstzweck im Kampf um die Wählergunst nachhängen. Dabei ist die industrielle Vorzeigenation Deutschland nicht auszunehmen, schließlich verpassen auch wir regelmäßig die im Pariser Klimaschutzabkommen getroffenen Ziele. In der eindrucksvollsten Aufnahme des Films dokumentiert eine gigantische Brücke auf Island den menschgemachten Wahnsinn. Gebaut, um den Transport über das Wasser zu ermöglichen, ist das Gebiet inzwischen komplett trockengefallen, sodass diese unnötig gewordene Brücke als monströses Mahnmal des Klimawandels steht.
Wissenschaftler sind dem Klimawandel auf der Spur.
„Ice On Fire“ ist beim Vermitteln seiner dramatischen Botschaft nicht reißerisch, sondern argumentiert mit Fakten, die von Wissenschaftlern für das Publikum verständlich in Worten und Chart-Kurven erklärt und mit beeindruckenden Naturbildern untermalt werden (zumindest einen einzelnen abgemagerten Eisbären gibt es aber trotzdem zu sehen). Lange fragt man sich als Betrachter, ob Leila Conners tatsächlich die Chuzpe hat, den größten und ignorantesten aller Erderwärmungsleugner außen vor zu lassen und sich ausschließlich auf ihren positiven, zukunftsgerichteten Ansatz zu stürzen: Aber relativ spät kommt er dann doch noch, der unvermeidliche US-Präsident Donald Trump, der seinen persönlichen „War On Coal“ propagiert, um für seine Wähler Jobs in der untergehenden Kohleindustrie zu schaffen. Der Klimawandel sei schließlich sowieso Nonsens. Aber immerhin ist Trumps Auftritt nur kurz. Er wird in dieser Doku nicht zum Feindbild hochstilisiert, sondern bleibt nur eine Randnotiz.
Ebenso verzichtet Connors auf eine sichtbare Galionsfigur vor der Kamera. Stattdessen stellt sie allein ihr Anliegen in den Mittelpunkt, nicht so wie bei „Eine unbequeme Wahrheit“ und dem Nachfolger „Immer noch eine unbequeme Wahrheit“, wo der Ex-US-Vize-Präsident Al Gore sich auf seinem Klimaschutz-Kreuzzug mit all seinem Charisma vor der Kamera in den Dienst der guten Sache gestellt und die Aufmerksamkeit so auch ein Stück weit auf sich selbst gezogen hat. Zwar setzt Conners auch auf ein PR-Zugpferd, aber der Einfluss von Leonardo DiCaprio als Sprecher in der englischen Originalfassung ist weit geringer als bei einer erlebbaren, mitreißenden Rampensau wie Al Gore.
Fazit: „Ice On Fire“ ist eine zwar konventionell erzählte, aber deshalb nicht minder eindringliche Umwelt-Dokumentation mit einer wichtigen Botschaft, die Regisseurin Leila Conners ohne Hysterie und mit möglichen Lösungskonzepten im Gepäck vorträgt. Der Film allein wird die Welt nicht ändern, es lohnt sich aber, trotzdem genau hinzuhören.
Wir haben „Ice On Fire“ beim Filmfestival in Cannes gesehen, wo er als außer Konkurrenz im offiziellen Wettbewerb gezeigt wurde.