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    Muxmäuschenstillˣ
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Muxmäuschenstillˣ

    Der kultige Weltverbesserer ist zurück!

    Von Lars-Christian Daniels

    Mit seiner rabenschwarzen und urkomischen Mockumentary „Muxmäuschenstill“ schrieb sich Drehbuchautor und Hauptdarsteller Jan Henrik Stahlberg vor 20 Jahren wohl die Filmfigur seiner Karriere auf den Leib. Die Geschichte des vom unmoralischen Teil der Gesellschaft enttäuschten und zu radikaler Selbstjustiz greifenden Weltverbesserers Mux, die mit nur 40.000 Euro umgesetzt wurde und bis heute nicht auf Blu-ray erhältlich ist, gewann mehrere Preise und avancierte zum Kultfilm. Am Ende der Genreperle läuft der Chef der „Gesellschaft für Gemeinsinnspflege“ allerdings in Italien vor ein Auto und meldet sich nur noch kurz als (vermeintlich) Toter aus dem Off. Wie also kann eine Fortsetzung aussehen?

    Ganz einfach: Stahlberg, der die Regie beim ersten Teil noch Marcus Mittermaier überließ und beim Sequel „Muxmäuschenstillˣ“ nun selbst an allen Rudern sitzt, hat Mux gar nicht sterben, sondern ins Wachkoma fallen lassen. Jetzt haucht er ihm neues Leben ein: Während sich die Welt da draußen durch soziale Medien, die Corona-Pandemie oder die Klimakatastrophe verändert hat, ist Mux derselbe Idealist geblieben. Die Fortsetzung des Films hingegen setzt einen noch deutlich politischeren Schwerpunkt als der Vorgänger. Wer „Muxmäuschenstill“ vor allem für seinen tiefschwarzen Humor und die köstliche Situationskomik geliebt hat, wird mit dem Nachfolger deshalb nicht unbedingt glücklich – wenngleich auch „Muxmäuschenstillˣ“ wieder einige starke und entlarvende Momente hat.

    MUXFILM FILMPRODUKTION
    Im Muxismus werden Arbeitslose zu maskentragenden Guerilla-Polit-Propagandisten umgeschult.

    Mux (Jan Henrik Stahlberg) kommt nach Jahren des Dahinschlummerns im Wachkoma wieder zu sich – und befindet sich plötzlich in einer Welt, in der er große Teile seiner Mitmenschen noch weniger versteht als je zuvor. Nachdem er sein „Manifest des Muxismus“ auf dem Krankenbett fertiggeschrieben und veröffentlicht hat, macht er sich deshalb mit seinem 30 Jahre jüngeren Langzeitpfleger Karsten (Tilman Vellguth) in die ostdeutsche Provinz auf, um die dort lebenden Menschen für seine politische Mission zu gewinnen und dem Neoliberalismus den Kampf anzusagen. Schon bald hat der selbsternannte Revolutionär ein Dutzend arbeitslose Unterstützer mit Mux-Masken um sich geschart, mit denen er Jagd auf abgehobene Besserverdienende macht…

    Während Jan Henrik Stahlberg seinen kultigen Muxismus-Begründer durch den Koma-Kniff mühelos auferstehen lassen konnte, stand er an anderer Stelle vor einem unlösbaren Dilemma: Viele der besten Momente in „Muxmäuschenstill“ ergaben sich aus den grandiosen Wortwechseln und der tollen Chemie zwischen Mux und seinem treudoofen Assistenten und Kameramann Gerd (Fritz Roth), der das Treiben seines Arbeitgebers auf dem Camcorder dokumentierte und an dem Mux bei seinen schnippischen Off-Kommentaren oft kein gutes Haar ließ. Schauspieler Fritz Roth ist aber im Jahr 2022 verstorben – und so musste für „Muxmäuschenstillˣ“, der mit zahlreichen Seitenhieben auf das aktuelle Zeitgeschehen (Stichwort: Deutsche Bahn) gespickt ist, ein neuer Sidekick her.

    Gerd lässt sich einfach nicht ersetzen

    Diese Rolle kommt nun Langzeitpfleger Karsten zu, der als Gen-Z-Sparringspartner des alten, weißen Cis-Mannes fungiert – oder es zumindest versucht. Lockte der Langzeitarbeitslose Gerd den ehemaligen Philosophiestudenten Mux schon mal mit seiner Vorliebe für Käsekuchen oder Kommentaren zu dessen Geheimratsecken aus der Reserve, stellt sich hier eher die Frage, warum Mux überhaupt einen Pfleger (und Kameramann) braucht. Gesundheitlich ist ihm keine Schwäche anzumerken und auch die Handyvideos bekommt er eigentlich ganz gut selbst hin. Karsten darf Mux hier und da zwar erklären, wie die Jugend von heute so tickt, aber einen spürbaren Mehrwert für die Geschichte hat die Figur nicht. Wenig würde sich ändern, wenn Mux diese Gespräche stattdessen etwa an den besuchten Unis oder Schulen führen würde, in denen er stattdessen schon mal von der „Fridays For Future“-Bewegung niedergeschrien wird.

    Viel reizvoller gestalten sich da die Debatten mit seiner gewieften PR-Beraterin Vera (Bettina Hoppe): Die weiß genau, wie kurz unsere Aufmerksamkeitsspanne dank TikTok & Co. geworden ist, und dass nur noch wenige die Zeit dafür finden, sich Manifeste durchzulesen – ganz gleich, wie klug sie auch geschrieben sein mögen. Die erneut konsequent im Mockumentary-Stil gehaltenen, meist köstlich authentischen Begegnungen mit den Menschen im sächsischen Elstertrebnitz generieren wiederum bittere Lacher, die uns im Halse stecken bleiben – wohlwissend darum, dass es genau diese auf „die da oben“ abzielenden Parolen sind, mit denen die von Mux als „Rattenfänger“ titulierte AfD bei der Europawahl 2024 in fast allen ostdeutschen Landkreisen zur meistgewählten Partei avanciert ist. Zuspruch und Versprechungen für die Abgehängten der Gesellschaft.

    MUXFILM FILMPRODUKTION
    Mux (Jan Henrik Stahlberg) lässt keine Chance aus, seinen Muxismus unters Volk zu bringen.

    „Muxmäuschenstillˣ“ ist damit ein noch viel politischerer Film als sein Vorgänger und führt uns die Schwächen der sozialen Marktwirtschaft gnadenlos vor Augen. Und macht sogar einen konkreten Verbesserungsvorschlag, statt sich in gefälliger Systemkritik zu erschöpfen: Würden vier Arbeitnehmer*innen bei gleichem Lohn nur noch vier statt fünf Tage die Woche arbeiten, würde das einen neuen Arbeitsplatz schaffen. Den könnte man in Form eines „Solidarjobs“ mit einem Arbeitslosen oder einer Fachkraft besetzen, die ihren Job durch den Strukturwandel verloren hat und im Niedriglohnsektor arbeitet. Gleichzeitig hätten die anderen vier Arbeitnehmer mehr Privatleben und weniger Stress. Finanzieren solle das nach Mux‘ Idee eine progressive Vermögenssteuer, die aber nur die Millionär*innen in unserem Land beträfe, die sich in den vergangenen Jahrzehnten ohnehin auf Kosten der Geringverdiener bereichert hätten.

    Ein reizvolles Gedankenspiel, das sicher keine Chance auf eine Mehrheit im Bundestag hätte – und genau an diesem Punkt legt der Film, dessen Produktionsfirma sogar eine Website für Mux‘ Forderungen eingerichtet hat, den Finger in die Wunde. Ob die Rechnung aufginge und ob sich der gravierende Fachkräftemangel in Deutschland wirklich durch solch simple Modelle lösen ließe, erscheint allerdings fragwürdig. Im Mittelteil fühlt sich „Muxmäuschenstillˣ“ fast wie ein auf Parolen und Establishment-Bashing zugespitztes Wahlkampfvideo an, während die Figuren dabei auf der Strecke bleiben: Die sächsische Schmusesängerin Rike (Sophie Roeder) etwa bildet das Pendant zur von Mux angebeteten Kira (Wanda Perdelwitz) aus „Muxmäuschenstill“, bleibt bei der Tiefenschärfe aber klar hinter ihrer Vorgängerin zurück.

    Guerilla im Sternerestaurant

    Rikes Auftritt bleibt nicht das einzige Zugeständnis an den Teil des Publikums, der den Erstling von 2004 liebte und mit entsprechender Erwartungshaltung ins Kino geht: Auch im Nachfolger gibt es zwar deutlich weniger, aber nichtsdestotrotz sehr spaßige Guerilla-Szenen, in denen Mux mit der Waffe im Holster Selbstjustiz übt oder Steuerhinterziehern die Leviten liest. Eine eskalierende Kassensituation im Supermarkt, eine Erbsensuppenattacke im Sternerestaurant oder ein musikalisches Duett, das dank kompromittierender Fotos zustande kommt – hier ist der unverblümt Klartext sprechende Mux genau der gnadenlose Rädelsführer, der einst in die Herzen des Publikums stürmte. Seine erneute Rückkehr scheint am Ende nicht ganz ausgeschlossen – denn wer einen schweren Autounfall überlebt, meistert sicher auch andere Notsituationen…

    Fazit: Mux ist zurück und will die Welt zu einer besseren machen. Ihm dabei zuzusehen, ist auch in der Fortsetzung oft ein Vergnügen – die Originalität und den Charme des viel gelobten Erstlings erreicht „Muxmäuschenstillˣ“ allerdings nicht. Stattdessen liefert der Film Denkanstöße, mit der man die politisch Verantwortlichen von heute gern einmal konfrontiert sähe.

    Wir haben „Muxmäuschenstillˣ“ beim Filmfest München 2024 gesehen, wo er in der Sektion „Neues Deutsches Kino“ gezeigt wurde.

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